Von Dawson's Creek über Gossip Girl bis Euphoria – wir Millennials sind süchtig nach den Geschichten der Jugendlichen in High-School-Serien. Warum nur?
Ich erinnere mich noch gut. Damals, in der neunten Klasse. Ich war fünfzehn und stylisch. Ich trug mein Chanel-Täschchen zum Gymnasium, als gehörte es zu mir wie ein Körperteil, steckte auf dem Schulflur mit meinen Freundinnen die Köpfe zusammen und schwärmte vom Quarterback des Football-Teams oder hinterließ meinem Crush kleine Liebesbriefe in seinem Schließfach. Pickel kannte ich nicht. In den Pausen rauchte ich lässig Zigaretten oder zog auf dem Klo eine Line. Wir hatten viele Pläne und wenige Sorgen. Außer vielleicht, wenn mal wieder jemand Intrigen spann, meine Geschlechtskrankheiten zu veröffentlichen drohte oder ein Vampir meine Mitschüler:innen angriff. Hach. Die guten alten Zeiten.
Okay, ich gebe es zu: Davon stimmt ungefähr ein Zehntel. Aber den Rest erlebte ich trotzdem – und ich erlebe ihn bis heute. Nicht im echten Leben, nein. In meinen regelmäßigen exzessiven Ausflügen in das Genre der Teenie-Serien.
Zeitreise in die Jugend
Ich bin erwachsen geworden mit "The O. C.", "Gossip Girl", "Vampire Diaries" und dem "90210" Reboot. Sprich: mit unverschämt reichen und unverschämt schönen jungen Menschen in austauschbaren amerikanischen Städten, die abwechselnd knutschen, morden, intrigieren, Blut saugen, Drogen nehmen und Designerklamotten shoppen. Irgendwann bin ich übergegangen zu den europäischen Produktionen, die die Probleme nicht in ganz so viel Hochglanz darstellen (aber genauso viele Rauschmittel und Verbrechen beinhalten), wie die gelangweilten Jugendlichen in "Skins", die sich in Bristol daneben benehmen.
Nichts und niemand könnte mich dazu bewegen, meine eigene Schulzeit noch einmal zu durchleben. Aber an die High Schools der TV-Teens reise ich regelmäßig gerne, tauche ein in ihre Geschichten, bekomme von Staffel zu Staffel mehr das Gefühl, als kenne ich die Charaktere, forme extreme parasoziale Beziehungen zu ihnen. High-School-Serien sind mein Streaming-Guilty-Pleasure – und ich bin bei weitem nicht die Einzige, die sie so liebt. Netflix und Co. produzieren eine nach der anderen, die Nachfrage ist riesig. Die kanadische High-School-Soap "Degrassi" ging nicht ohne Grund in ihr gefühlt siebenundzwanzigstes Reboot. Und nicht nur Teenager:innen, sondern vor allem Erwachsene sind süchtig nach ihnen. Warum sind wir so besessen von den Geschichten von Jugendlichen?
Nostalgie, Melancholie, Idealisierung
Wir erkennen uns wieder. Auch wenn die heutige Teenager:innen-Generation mit Klimawandel, Pandemie und Krieg mittlerweile etwas andere Lebensrealitäten und Sorgen hat als ich damals, so geht es doch immer um junge Menschen, die sich selbst zu finden versuchen. Die unter all dem großen Weltschmerz die gleichen kleinen Kämpfe kämpfen. Erste Liebe, Herzschmerz, schulische Leistungen, Alkohol und Drogen, Freundschaft, Mobbing, die Veränderungen des Körpers.
Ja, bei so manchen ist die Schulzeit, die Jugend, die Pubertät ein Lebensabschnitt, den sie am liebsten vergessen würden. Aber genau hier liegt der Punkt. Wir können eintauchen in diese Geschichten, ohne sie selbst noch einmal durchleben zu müssen. Ohne die Angst vor Klausuren, den Streit mit der Mitschülerin und die grauenvolle Zahnspange, mit der uns doch – da waren wir uns ganz sicher – eh niemals jemand würde küssen wollen.
Wir haben die einzigartige Möglichkeit, unsere Schulerfahrung so zu gestalten, wie wir sie selbst gern gehabt hätten. Einmal begehrt werden, einmal zu den Cool Kids gehören, einmal über die Stränge schlagen und trotzdem die Matheklausur mit guter Note bestehen. Einmal mit dem Objekt meiner Tagträume knutschen und Dinge tun, die ich in meiner eigenen (zugegeben, auch weniger amerikanischen) Schulzeit versäumt habe. Ich stelle mir vor, wie alles hätte sein können, wenn alles anders gewesen wäre. Aus diesem Grund sind Teenie-Shows so perfekt fürs Binge Watching: Sie können die Wunden unserer Jugend und Schulzeit ein Stück weit heilen mit der Möglichkeit, verpasste Chancen nachzuholen.
Schule mit einer Extraportion Glamour
Wenn ich High-School-Serien schaue, dann sehe ich natürlich eine idealisierte, ziemlich unrealistische Version meiner Jugendzeit. TV-Teenager:innen haben viel mehr Freiheit als im wirklichen Leben. Sie müssen selten die Erlaubnis ihrer Eltern einholen, um irgendetwas zu tun. Sie feiern, verreisen, führen ihr eigenes Business, ermitteln in Kriminalfällen. Neben all den klassischen High-School-Dramen gibt’s wahlweise noch eine Portion Übernatürliches ("Riverdale"), Musikalisches ("Glee"), Elitäres ("Élite") oder Urlaubsparadiesisches ("Summertime") oben drauf.
Viele sind sexier, glamouröser und deutlich melodramatischer als das, was die durchschnittliche 16-Jährige im wirklichen Leben erfährt. Die Charaktere sehen nie aus wie picklige pubertierende Teenager:innen, die mit Stimmbruch, wachsenden Körperteilen und einer glänzenden T-Zone zu kämpfen haben. Hier kommen reiche, überdurchschnittlich attraktive Teenager:innen, in deren Welt etwas wie Akne scheinbar nicht existiert, in 2000-Dollar-Outfits zur Schule. Und zugegeben, ich ertappe mich hin und wieder dabei, wie ich laut zu meinem Fernseher sage: "Niemand hat mit 15 so viel Sex in so vielen öffentlichen Schulräumen." Aber böse bin ich nicht drum.
Wenn attraktive Mittzwanziger:innen Teenies spielen
Ein guter Teil des Anschauens von Gossip Girl & Co. besteht ja im Anschmachten der Figuren. Denn – vollkommen oberflächlich, aber nicht weniger wichtig – Teenies in High-School-Serien sind heiß. Heute schaue ich eigentlich nie, ohne parallel auf meinem Handy wahlweise Trivia über die Schauspieler:innen zu lesen oder sämtliche Online-Shops zu durchwühlen, um ihre wahnsinnig stylischen Outfits nachzukaufen.
Nach der zweiten Staffel Euphoria wollte ich Maddys gesamten Kleiderschrank, aber so richtig praktisch sind diese Gen-Z-Techno-Club-Klamotten fürs Büro nicht – geschweige denn für eine amerikanische High School (passend dazu dieser großartige TikTok-Trend). Auch wenn sich die Gen Z anders kleidet als ich damals mit Billig-Ballerinas, Halstüchern und Leggings unter Jeansröcken – niemand sieht mit 16 so aus wie auf Netflix und HBO. Heute weiß ich: Natürlich nicht, denn viele der 15- bis 17-Jährigen werden gespielt von 20- bis 30-jährigen Erwachsenen.
Flucht vor unseren Erwachsenenproblemen
In den frühen Teenie-Serien waren sie nicht einmal besonders verloren und verwirrt. Das hat sich mit den neueren Produktionen verändert. Zwar sind es immer noch coole Charaktere mit unnormal guten Outfits, aber ihre Geschichten sind echter, roher, rauer und verletzlicher. "Sex Education", "Atypical", "Never Have I Ever" & Co. machen vieles richtig; die Serien werden diverser, inklusiver, feministischer, moderner. Und in manchen gibt es sogar Figuren mit Pickeln.
Die Charaktere sind wie wir damals maximal hormongesteuert und minimal verantwortungsbewusst. Ihre Beziehungen sind oberflächlich und dazu bestimmt, letztlich zu enden. Aber das wussten wir damals noch nicht. Jede erste Liebe war direkt die große Liebe. Dass jemals etwas enden würde, war nicht in Aussicht, höchstens die Schulzeit selbst. Unsere Probleme fühlten sich gigantisch an. Aber wir waren auch verletzlich, sorgloser und unschuldiger, hatten weniger Lebenserfahrung und kaum Kontrolle über uns selbst. In Retrospektive waren die Probleme von damals gar nichts.
(Serien-) Teens kennen keine Rechnungen und Versicherungen, haben keinen eigenen Haushalt, leisten weder Care-Arbeit noch Erwerbsarbeit (außer sie sind Drogendealer). In ihrer Welt übernimmt das noch die Elterngeneration. Die Probleme der Serien-Teenies sehen folgendermaßen aus: Wann küsst mich endlich mal jemand? Bestehe ich die nächste Klausur? Werde ich auf die nächste Party der Popular Kids im Haus derer unverschämt reicher Eltern eingeladen? Traue ich mich endlich, meinem Schwarm zu gestehen, wie toll ich sie/ihn finde? Und wahlweise auch noch: Wie schaffe ich es, in meiner Freizeit Dämonen zu bekämpfen, während in der Schule niemand herausfindet, dass ich in Wahrheit eine Hexe bin?
Viel mehr als ein Guilty Pleasure
Als Teenager:innen glaubten wir, dass unsere Zweifel und Unsicherheiten irgendwann verschwinden würden. Wir hatten keine Ahnung, dass das Erwachsenwerden daraus besteht, uns damit abzufinden, dass sie das niemals tun würden. Im Grunde genommen sind wir heute immer noch Teenager:innen auf der Suche nach uns selbst, nach Verbindung, nach dem Sinn von allem. Wir sind nur weniger naiv dabei. Und machen nicht mehr in vergleichbarer Frequenz so bedeutsame, lebensverändernde Transformationen durch. Auf diesem Wege werden wir alle erwachsen, egal ob wir zur Euphoria High gegangen sind oder zu einem Gymnasium in Niedersachsen. Irgendwie durchlaufen wir doch alle die gleichen Meilensteine.
Es muss also nicht alles ganz realitätsgetreu sein. Das ist gar nicht mein Anspruch an diese Serien. Im Kern zeigen sie genau die Dinge, die auch mich damals bewegt haben. Und wenn eine Portion mehr Glamour, Coolness oder Fantasy reingeworfen wird – warum denn nicht? Insofern ist mein Guilty Pleasure gar nicht so sehr Guilty Pleasure als vielmehr eine niedliche kleine Schrulle, die ziemlich viele Bedürfnisse befriedigt. Und damit werde ich so schnell bestimmt nicht aufhören.
XOXO
Mehr Themen: