Ob er als singender Maulwurf die Bühne rockt oder im Talk die Nische zum Hotspot macht: Daniel Donskoy bleibt sich selbst treu. Kaum jemand ist zugleich so mainstreamtauglich und so bereit, den Mainstream herauszufordern. Gute Voraussetzungen für ein Interview über das Leben in der Öffentlichkeit, politische Statements und Empathie.
Als er 2021 den Deutschen Fernsehpreis moderiert hat, dürften sich einige der männlichen Stars die Augen gerieben haben: Wie er durch den Abend führte, tanzte, sang – so nonchalant seine Präsenz, so zwingend die Beobachtungen – katapultierte er die Veranstaltung ins Jetzt. Und das Ganze mit einer Ausstrahlung, die über Alters- und Geschlechtergrenzen hinweg für beschleunigten Herzschlag sorgen kann. Da stand einer, der gekommen ist, um zu bleiben: Daniel Donskoy. Egal, ob als Schauspieler, Regisseur, Moderator, Talk-Host, Model oder Musiker – läuft. Und seit er als unförmiger Maulwurf "Mauli" mit Stimme, Moves und Energie die siebte Staffel der ProSieben-Show "The Masked Singer" gewonnen hat, ist der 33-jährige Berliner, der aus einer ukrainisch-russisch jüdischen Familie stammt, endgültig bekannt. Sein 1. Platz war sogar News im israelischen Frühstücksfernsehen. Kurzum: Der Mann ist hot shit. Alle wollen Donskoy. Und wir wollten wissen: Was will er?
Warum suchst du die Bühne, Daniel?
Hirn und Herz signalisieren mir da Freiheit. Ich habe die Chance, mich auf der Bühne kreativ auszudrücken. Ich strebe nach Lebens- und Emotionsmaximierung, und da kommt einem die kreative Arbeit sehr gelegen.
Die Öffentlichkeit ist ein extrem ungeschützter Raum.
Ja, das ist der Preis, den man zahlt. Und welche Räume sind denn geschützt? Zwar werde ich ständig beobachtet, oft auch angefeindet, aber ich schaffe mir in meiner Arbeit große Freiheitsfenster.
Spürst du das nur, wenn du dich exponierst?
Ich habe oft das Gefühl, nur in der Kunst gehöre ich mir wirklich selbst.
Bitte erklär.
Ich hatte lange Zeit wenig freie Wahl im Leben. Das viele Umziehen und an neue Kulturen und Umgebungen anpassen ... Ich musste mich von meinem Elternhaus und meinen sozio-kulturellen Prägungen lösen, um frei denken zu können.
Welche Prägungen meinst du?
Da kommt einiges zusammen: Deutschland, die Sowjetunion, Israel, jüdisch zu sein. In meiner Jugend war ich eigentlich nur damit beschäftigt, mich anzupassen. Musste in jedem neuen Land andocken, und mich dafür oft auf den kleinsten gemeinsamen Nenner fokussieren. Es war zu viel von allem. Und ich konnte mir immer nur Stückchen herauspicken. Das Puzzle meines Lebens war nie komplett. In jeder neuen Stadt war ich ein neuer Mensch. In der Kunst habe ich mir alles selbst erarbeitet, meine Persönlichkeit aufgebaut. Mit 18 Jahren wusste ich kaum, wer ich war.
Du hast dich mit 18 kennengelernt?
Ja!
Und wen hast du angetroffen?
Einen angstfreien, jungen, neugierigen, engagierten Menschen. Ich war immer jemand, der viel will. Aber damals wusste ich noch nicht, wie ich meine ganze Energy kanalisieren kann, damit sie in konstruktive Kanäle gelangt. Mit jedem neuen Projekt lerne ich mich auch heute ein bisschen besser kennen. Als öffentliche Person bin ich jetzt eine Projektionsfläche und werde ständig durch die Social Media Feedbacks gespiegelt, in dem, was ich abliefere.
Gratulation auf jeden Fall, du hast die Nabelschnur durchtrennt!
Das ist mir bis heute noch nicht 100 Prozent gelungen. Meine Eltern sehen mich bestimmt erst als erwachsenen Menschen, wenn ich ihnen Enkelkinder präsentiere. (lacht)
Bist du noch du als Projektionsfläche?
Je weniger ich versuche, mein privates Ich und mein Arbeits-Ich zu trennen, desto näher komme ich mir politisch und menschlich. Ich gebe nichts vor der Kamera preis, was ich nicht lebe und fühle. Ich werde wohl langsam erwachsen.
Wie kannst du dich in einer Show wie "The Masked Singer" politisch äußern?
Ich habe den kurzen Moment genutzt, den ich hatte, als ich die Maske abgenommen habe.
Wofür hast du ihn genutzt?
Ich habe an die Frauen im Iran gedacht, die nicht einfach singen können, und gebeten, die Perspektive zu wechseln, und darauf hingewiesen, warum wir Menschlichkeit brauchen. Ist doch ein geiles Privileg, Menschen über eine erfolgreiche TV-Show zu begegnen, die ich sonst nie erreichen würde.
Verlässt du immer deine Komfortzone?
Ich habe nichts, woran ich mich festhalten kann. Ich muss den Punkt Null in mir selbst finden, daher betrete ich immer und immer wieder neue Räume. Nur so habe ich die Kontrolle über mein Leben. Ich hatte keine feste Heimatstadt, mit einem gewachsenen Freundeskreis. Ich muss neue Türen aufstoßen, ob nun mit meiner Show "Freitagnacht Jews" oder mit meiner Musik. Wenn ich zu lange in einem kreativen Raum festsitze, bekomme ich Beklemmungen. Momentan kann ich gut so leben. Ich bin frei, mich zu bewegen, weil ich keinen großen Haushalt habe, kaum soziale Verpflichtungen, keine eigene Familie.
Willst du immer viel?
Ja, ich will viel. Ich will mich optimieren in dem, was ich tue. Immer. Um mich nicht komplett selbst zu zerstören, muss ich aber wissen, wo meine Grenzen sind.
Was ist der Motor für deine Kunst?
Alles, was mich an der Welt, in der Politik triggert. Würde ich nett, harmlos und nur zuckersüß agieren, würde ich mich zu Tode langweilen.
Gerade scheint ja alles immer unkalkulierbarer zu werden. Pandemie, Flutkatastrophe, Kriege – wie bleibst du bei all der Unruhe auf Kurs?
Die Zeiten waren immer unsicher. Es war nur alles mit bunten Schleifchen verpackt, die uns suggeriert haben, alles ist gut. Das hat schon im Nachkriegsdeutschland mit Heimatfilm und Schlager angefangen. Zuletzt dann 16 Jahre Regierung Angela Merkel, die uns im Glauben gelassen haben, Muddi macht das schon. Wirtschaft und Klima haben wir als Themen gar nicht angepackt. Wir müssen aushalten, dass diese schlichte Aufteilung der Welt – da ist das Gute, da das Böse – nicht mehr funktioniert.
Sind wir vorbereitet auf die Flexibilität, die die Welt von uns fordert?
Wir sind unvorbereitet. Wenn du dir deine Sicherheiten nur aus der Außenwelt holst, bist du fragil. Vieles kann zusammenbrechen. Banken, Stromleitungen, unser Sozialsystem. Wir dürfen aber nicht an vorauseilenden Ängsten zerbrechen. Zunehmende Unsicherheiten werden in den kommenden Jahren eine Herausforderung für uns alle sein.
Wohin wird das führen?
Wir werden politisch schwere Jahre haben, das sehen wir schon in Europa, den USA, in Israel. Es wird gesellschaftspolitische Spannungen geben. Die Welt entzweit sich in einen ultrakonservativen und einen liberalen Flügel. Ich bin sicher, viele werden sich in ihre Subkulturen zurückziehen. Gleichzeitig sind wir bei Themen wie Sexismus, Feminismus, Menschenfeindlichkeit – außer es geht um Juden – sehr vorangekommen.
Was gibt Sicherheit, wenn der Diskurs hitzig wird?
Man sucht natürlich gerne Menschen, die so denken wie man selbst. Aber 90 Prozent der Menschen holt man nicht mit Diskursen ab, sondern mit dem kleinen Einmaleins. Um Empathie zu erzeugen, musste ich Themen zum Judentum runterbrechen. Ich kann bei "Freitagnacht Jews" nicht mit der IHRA einsteigen, der Definition von Antisemitismus, sondern sage simpel: "Hallo, ich bin Daniel. Ich sehe aus wie du, ich bin jüdisch!" Um ehrlich zu sein: Das ist schwer. Man muss versuchen, das Publikum da abzuholen, wo es steht. Dafür muss man ihm gegenüber empathisch sein, ohne es zu unterfordern.
"Freitagnacht Jews" ist inzwischen preisgekrönt. Was wolltest du damit erreichen?
Ich hatte das Gefühl, ich kann was produzieren, was provoziert. Der Anlass war das Festjahr "1700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland". Die TV-Macher:innen sprechen oft über Juden in Deutschland, aber wir kommen selbst kaum zu Wort. Das wollten mein Team und ich ändern. Moderner jüdischer Alltag fand sich bisher nicht im Fernsehen wieder. Von simplen Tatsachen bis zu extremen. Mit dem Regisseur Dani Levy habe ich zum Beispiel gespielt: "Ich packe meinen Koffer nach Auschwitz und nehme mit ..."
Haarscharf an der Grenze, oder?
Ja, das hat es aber gebraucht. Ich will den Austausch. Ich bin nicht naiv. Ich habe den Dreck erwartet und weiß, wenn man eine Sendung von und mit Juden über Jüdischsein in Deutschland macht, dass ich nicht nur Schulterklopfen ernte.
Dein Rap-Song #Jude und ein Hashtag wie #nohate reichen nicht gegen den rechten Hass?
Nein, man kriegt den vollen Scheiß ab. Wenn ich an Individuen denke, spüre ich immer Empathie, denke ich an Gesellschaft, werde ich ein Misanthrop.
Warum gehst du nicht in die Politik?
Weil ich als Künstler direkter an die Herzen der Menschen komme. Außerdem haben Politiker:innen, vor allem bei uns in Deutschland, absolut keinen Sex-Appeal.
Am 24. Februar jährt sich der Angriff Russlands auf die Ukraine. Du trägst russische und ukrainische Wurzeln in dir. Spielt Politik eine Rolle, wenn du mit beiden Seiten deiner Familie zusammenkommst?
2021 habe ich im Spätherbst in Russland gearbeitet. Ich war zum ersten Mal in das Land meiner frühen Kindheit gereist, um künstlerische Kollaborationen zu knüpfen. Das ist heute nicht mehr möglich. Zu Beginn des Krieges wollten wir als Familie die Nachrichtenlage nicht mit am Tisch sitzen haben. Mittlerweile ist die Lage immer komplexer geworden. Der Krieg in der Ukraine hört nicht auf. Er dauert an, wie alle Kriege andauern. Mein Herz ist heute, ein Jahr später, schwerer, wenn ich an die Menschen in der Ukraine denke, die den Krieg täglich erleben.
Sind deine Großeltern noch in der Ukraine?
Nein, sie leben in Berlin. Zum Glück.
Kriege, die Toten, die Zerstörung, die Schäden an der Natur, all die Seelenwunden – eigentlich können Kriege nie gewonnen werden. Ich glaube, letztendlich nicht einmal Kriege, in denen versucht wird, die Menschenrechte anderer zu verteidigen.
Total. Krieg ist Krieg. Natürlich bedienen wir uns am Muster Gut und Böse. In diesem Krieg war ja schnell klar, wer das Böse verkörpert. Selenskyj ist auf der anderen Seite ein Präsident, der die Aufmerksamkeit auf die Zerstörung der Ukraine nicht weniger werden lässt. Das macht er fantastisch in einer Welt, die stets neue News braucht.
Wenn du den Kampf der iranischen Frauen für Freiheit siehst, weckt das bei dir Fragen, warum die russische Bevölkerung gegenüber Putins Angriffskrieg schweigt?
Wir können nicht alles miteinander vergleichen. Nicht die Proteste für mehr Klimaschutz mit den Rechten der Frauen in Palästina. Wenn wir immer alles miteinander in den Topf werfen, wird es unterkomplex. Es gibt ein Vakuum an Nichtwissen und gleichzeitig haben viele Teile der Gesellschaft eine sehr laute Meinung, oft passt das nicht zusammen. Das ist gefährlich und Nährboden für Populismus.
Wie kommen wir wieder miteinander ins Gespräch, ins Zuhören?
Lohnt sich der Dialog im öffentlichen Raum? Das ist eine wichtige Frage, die ich mir dabei immer stelle. Sitzt neben mir ein Militärexperte mit seinem Fachwissen in der Talkrunde, brauche ich mit meinem künstlerischen, empathischen, menschlichen Ansatz nicht zu starten. Dialog bringt nur was, wenn wir einsteigen in die Welt des anderen.
Wirst du manchmal dialogmüde?
Natürlich. Zum Thema der jüdischen Sache bin ich zu 100 Prozent dialogmüde. Ich schaue inzwischen nach neuen Wegen des Dialogs, abseits vom TV.
Gerade hast du mit dem US-Schauspieler Liev Schreiber in Prag gedreht. Du spielst einen Nazi, Karl Josef Silberbauer, SS-Kommandant von Amsterdam. Du gibst es dir aber, oder?
Ich kann in Deutschland "Freitagnacht Jews" moderieren, bei ProSieben als Maulwurf über die Bühne tanzen und am Sonntag den krassen Nazi spielen. Nur durch die Vielfalt meiner Tätigkeiten entfache ich Empathie, daran glaube ich zutiefst.
Alle fordern zurzeit Empathie von uns. Empathie für die Ukraine, für Iran, für die Natur, das Tierwohl. Wo siehst du den Level des Mitgefühls gerade?
Es ist noch Aufnahmefähigkeit da. Aber jeder ist sich selbst am nächsten. Alle wissen, wie schlecht es den Ukrainern geht und ärgern sich doch über die steigenden Energiepreise. Das passiert nicht aus Boshaftigkeit, wir wollen eben alle überleben. Ich verstehe den Egoismus und die Ängste, argumentiere auch nie von oben herab, aber ich fordere ebenso ein Zuhören für meine Sicht. Empathie habe ich durchs Leben gelernt, ich connecte mit anderen über Emotionen, und dafür muss man offen sein für andere.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 3/23.
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