Sie waren Teenager, als ihnen 2005 mit "Durch den Monsun" der Durchbruch gelang. Doch dann wurde die Magdeburger Band "Tokio Hotel" so schlimm von Fans belagert, dass die Brüder Bill und Tom Kaulitz schließlich nach L.A. flohen, wo sie bis heute leben. Wie stehen sie mittlerweile zu ihren Fans? Ein Interview mit Sänger Bill und Bassist Georg.
Euer Video zu "When we were younger" zeigt Bilder aus der Zeit, als die Fan-Hysterie um euch auf dem Höhepunkt war. Damals sind Fans sogar bei dir und Tom in euer Zuhause eingebrochen, Bill. Was hat das mit euch gemacht?
Bill Kaulitz: Als Teenager war ich überfordert mit dem ganzen Rummel, mit der Liebe und auch dem Hass. Dadurch bin ich irgendwann abgestumpft.
Wie hat sich das Verhältnis zu euren Fans seitdem verändert?
Georg Listing: Der Kontakt mit den Fans ist heute selbstbestimmter. Wir treffen Fans nach den Shows, weil es uns heute viel mehr positive Energie gibt, als dass es Energie zieht. Die Leute sind mit uns erwachsen geworden und so viel respektvoller.
Bill: Als wir vor 15 Jahren angefangen haben, gab es weder Social Media noch Shitstorms. Wir wurden damals mit Flaschen und Eiern beworfen. Einen 15-Jährigen mit Zeug bewerfen? Das kannst du zum Glück nicht mehr bringen. Damals haben jedes Wochenende vor unserem Haus 50 Leute campiert. Wir haben wie im Gefängnis gelebt und irgendwann sind Tom und ich mit unserer Mutter und unserem Stiefvater nach L.A. ausgewandert.
Georg: Heute ist alles viel transparenter. Man ist durch die sozialen Medien aber auch gezwungen, viel mehr mit den Leuten zu teilen als früher.
Bill: Trotzdem kann ich heute meine Fans ganz anders umarmen. Wir lesen jetzt auch alle Zuschriften, die uns erreichen, vor allem über unseren Podcast "Kaulitz Hills".
Gibt es heute noch diese Die-hard-Fans?
Bill: Als wir anfingen, war Fan-sein eine Lebenseinstellung und Bands hinterherzureisen, das war ein Lebensgefühl. Heute reicht ein Blick auf Instagram und du weißt, was Justin Bieber gefrühstückt hat! Dafür musst du nicht mehr vorm Hotel schlafen.
Georg, du lebst in Berlin. Wirst du oft angesprochen?
Georg: Seit ich mir die Haare abgeschnitten habe, ist es ruhiger geworden.
Wen feiert ihr selbst so richtig ab?
Bill: Ich bin totaler Adele-Fan. Mit der würde ich gern mal einen saufen gehen. Als Kind war ich ein riesiger Fan von David Bowie und Prince wird immer mein Style-Icon sein.
Georg: Ich war neulich auf einem Billie-Eilish-Konzert, eins der besten meines Lebens. Ich war überrascht. Ich dachte, sie würde gelangweilt ihr Album runterspielen, aber die Stimmung war gigantisch. Anquatschen würde ich aber niemanden, das mag ich selbst auch nicht.
Bill: Vor ein paar Jahren habe ich Britney Spears im Rahmen eines Meet & Greets getroffen. Es war klar, dass sie überhaupt keinen Bock darauf hat, aber das war mir egal. Ich dachte, sorry, aber du musst mich jetzt mal kurz treffen!
Und wie gehst du selbst mit Fans um, die in unpassenden Momenten nach einem Selfie fragen?
Bill: Ich habe noch nie Nein gesagt, wenn mich die Leute auf der Straße nett ansprechen und nach einem Foto fragen. Das gehört einfach dazu. Eigentlich muss man das auch machen.
Fans mit viel Geld können heute Tickets für die vorderen Reihen kaufen, da stehen also nicht mehr unbedingt die größten Fans – wie erlebt ihr das?
Bill: Bei uns kannst du sogar ein VIP-Ticket für den Backstagebereich kaufen! Das ist sehr amerikanisch, aber unsere Fans lieben das. Die VIP-Tickets sind immer als erstes weg! Viele haben keinen Bock mehr, stundenlang im Regen anzustehen. Wenn wir dann kommen, flippen die genauso aus. Wir machen natürlich auch Meet & Greets für alle. Es darf nicht sein, dass man super viel Geld braucht, um ein gutes Konzert zu erleben. Ich habe das Gefühl, dass die Leute sich heute ein Konzert lieber gemütlich im Sitzen mit einem Bierchen anschauen.
Früher war mehr Ekstase, oder?
Bill: Ich weiß, was du meinst. Die Leute haben heute nicht mehr so krasse Idole wie früher. Wenn Heidis Kids (Anm. d. Red.: Bill redet von seiner Schwägerin Heidi Klum) mal Songs hören und ich frage: "Ach, cool, wer ist denn das?", dann müssen die erst mal nachgucken. Sie hören nur noch die Songs, und es ist ihnen egal, von wem das ist. In den Kinderzimmern hängen auch keine Poster. Bei mir war früher alles zutapeziert.
Georg: Dieses Die-hard-Fan-sein gibt's nicht mehr. Trotzdem hatte ich neulich auf dem Konzert von Harry Styles das Gefühl, die Leute haben die Zeit ihres Lebens und lassen die ganze aufgestaute Energie der letzten Jahre raus.
2019 habt ihr zum zweiten Mal euer "Summercamp" veranstaltet. Ein mehrtägiges, nicht ganz billiges Festival (Anm. d. Red.: VIP-Tickets kosteten 3600 €), auf dem Fans Zeit mit euch verbringen können. Ist euch das nicht zu nah?
Bill: Dadurch, dass ich heute ausgeglichener bin und auch ausgelassener sein kann, wir alle ein glückliches Privatleben haben – also, außer mir so ein bisschen (lacht) – kann ich die Dinge heute genießen. Wir haben Spaß daran, Konzerte zu geben, Musik zu machen, Fans zu treffen. Vorhin haben wir einen Fan aus der Ukraine getroffen. Früher hätte ich das so nebenbei mit abgefertigt, heute berührt mich das richtig.
Habt ihr durch euren Podcast "Kaulitz Hills", in dem ihr wahnsinnig offen und amüsant über euer Leben in Hollywood plaudert, andere Fans hinzugewonnen?
Bill: Unser Publikum ist mit uns gewachsen. Es gibt auch Leute, die unsere Musik gar nicht hören, aber uns trotzdem abfeiern. Die Leute sind heute so ... respektvoll.
Ihr seid einfach Kult.
Bill: Das hört man gerne! (lacht) Auch wenn wir optisch kein Jahr älter geworden sind. (Er streicht sich kokett durch die blond gefärbten Locken)
Bill, du bist ein riesiger Fan von "Sex and the City". Was hat es mit dir gemacht, als mehrere Frauen "Mr. Big"-Darsteller Chris Noth sexuellen Missbrauch vorwarfen? Könnt ihr Künstler:innen vom Werk trennen?
Bill: So etwas beeinflusst mich total. Seit der Doku "Leaving Neverland" kann ich die Songs von Michael Jackson nicht mehr so genießen wie vorher. Schauspieler schlüpfen in Rollen und sind privat ganz anders. Bei "Tokio Hotel" könnte das gar nicht passieren. Uns hat keiner ein Image aufgedrückt. Wir waren immer authentisch und haben das gemacht, worauf wir Bock haben.
Auf eurem neuen Album, Bill, singst du sehr offen, wie es sich anfühlt, wenn man in der Liebe von vorne anfangen muss und seinen Liebeskummer in Rosé ertränkt. Habt ihr heute weniger Angst, euch verletzlich zu zeigen?
Bill: Wir gehen viel tiefer, trauen uns ehrlicher und offener zu sein. Mir hat es sehr geholfen, in meiner Autobiografie die letzten 30 Jahre Revue passieren zu lassen und im Podcast offen über vieles zu sprechen. Das entwaffnet total. Wir haben keine Angst mehr, sind nicht mehr so angreifbar. Wir räumen im Podcast auch jede Woche mit den Schlagzeilen auf. Sobald etwas schiefläuft, kann man sofort Stellung beziehen. Das ging früher nicht.
Georg: Wir machen nur Musik, wenn wir etwas zu erzählen haben. Aber wenn Bill in jedem Jahr so viele schlimme Liebesgeschichten zu verarbeiten hätte und so viel Rosé trinken würde, hätten wir ihn nicht mehr so lange. (beide lachen)
Im Podcast hat Bill erzählt, er will der neue "Bachelor" werden. Was sagst du dazu, Georg?
Georg: Bill als "Bachelor" würde ich fühlen.
Bill: Ich wäre "Bachelor" und "Bachelorette" in einem! Neulich wurde mir schon ein Datingformat angeboten, das ist dann aber nicht zustande gekommen.
Es ist ja wahnsinnig intim, Leute vor der Kamera zu daten ...
Bill: Wenn die Bedingungen stimmen, würde ich es machen. Ich müsste es produzieren, schneiden, gestalten. Es gibt so viele, die sich im TV verlieben!
Georg: Ich sehe dich eher als Host von so einer Datingshow.
Bill: Genau und dann schleppe ich hinterher einen von denen ab, die nicht gewählt wurden. (lacht)
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 1/2 22/23.
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