Insekten essen – dafür kennt Kolumnistin Nina Anika Klotz viele Gründe. Doch vor Heuschrecken, Mehlwürmern, Ameisen ekelt sich häufig sogar selbst der Normal-Fleischesser. Ist das Problem nur in unserem Kopf?
Was soll man als moderner Mensch des 21. Jahrhunderts anderes sagen als: Ist es nicht großartig, wozu das Gehirn fähig ist? Doch gibt es immer wieder diese Momente, in denen man sich eine Pause vom Kopf wünscht. In der Liebe hilft das. Oder beim Essen. Beispiel? Bitte: Maden essen? Ih, ruft das Hirn. Shrimps essen? Zustimmende Stille da oben.
Finnlands führender Insektenkoch kennt eine Lösung
Was passiert nun, wenn einer sagt: Insekten sind die Zukunft? Topi Kairenius ist Finnlands führender Insektenkoch. Er tourt durch ganz Europa und hält Vorträge an Universitäten und auf Food-Events. Seine Message: Der wachsende Hunger der Welt soll mit tierischem Protein nachhaltig und klimaschonend gestillt werden. Seiner Meinung nach können (und werden!) in den nächsten 20 Jahren etwa 40 Prozent des von uns verzehrten Fleisches durch andere Lebensmittel ersetzt werden, darunter eben auch Insekten.
Käfer & Co. könnten Proteinbedarf der ganzen Bevölkerung stillen
Zu Topis Rezeptfundus gehören unter anderem Falafel aus Mehlwurmpulver, Süßkartoffelsuppe mit getrockneten Ameisen, in Honig und Essig marinierte Heuschrecken, kurz frittiert und mit einer Ingwer-Zitronengras-Paste serviert. "Ein toller Bar-Snack", wie der Finne sagt. Pfui Spinne, entgegnen da die meisten Normal-Fleischesser, mit denen er spricht. Das Ganze sei aber lediglich ein Kopfproblem, meint der Koch.
Unser Ekel vor Insekten ist kulturell bedingt
Bei Maden, Käfern, Kriechgetier auf dem Teller meldet unser Gehirn uns ungefragt und spontan erst einmal Ekel. "Uns fehlt der Zugang zu Insekten als Lebensmittel", sagt Topi. Kulturell bedingt. "Logisch ist das aber nicht: Wir essen Austern, aber Maden gehen gar nicht. Wo ist der Unterschied?"
Na, wenn er so fragt: Hübsch allein kann als Kriterium für lecker nicht durchgehen, denn so rein ästhetisch nehmen sich Mehlwürmer und das Innere einer Miesmuschel nicht viel. Flusskrebse (oh, yummie!) und Heuschrecken (mhm!) sehen frisch aus der Pfanne, im Halbdunkel eines feinen Restaurants, unter einem bisschen Salat und nach den ersten beiden Gläsern Chardonnay schon ziemlich ähnlich aus. Und hat sich schon mal jemand die Entenmuschel bei Tageslicht angeschaut? Also, bitte! Das ist die hässlichste Delikatesse, die man sich vorstellen kann – und die Leute zahlen 150 Euro pro Kilo, Fischer riskieren dafür ihr Leben.
Maden, Ameisen, Heuschrecken: die Delikatessen der Zukunft?
Mehlwürmer hingegen kosten fast nichts und können absolut gefahrlos so ziemlich überall gezüchtet werden. Sie stellen auch keine besonderen Ansprüche an ihre Ernährung. Topi Kairenius, der neben seiner Insektenkocherei auch eine Brauerei in Helsinki betreibt, hat eine kleine Farm zwischen Sudhaus und Gärtanks für sehr interessante Experimente: Single-Hop-Mehlwürmer. Kurz vor der „Ernte“ (man muss Mehlwürmer zu einem bestimmten Zeitpunkt ihrer Entwicklung essen oder zumindest einfrieren, frittieren oder zu Mehl zerreiben, sonst werden sie zu Käfern, und die schmecken nicht) füttert er den Würmchen getrocknete Hopfendolden bestimmter Sorten. Das Aroma geht ins Wurmfleisch über. Bierkenner können bei den daraus gemachten Wurmsnacks tatsächlich Unterschiede schmecken.
Bier mit Würmchen: über Bier macht Kairenius das Thema zugänglich
Was erst einmal supernerdig und mehr als nur ein kleines bisschen crazy klingt, ist eigentlich ziemlich genial: Über Bier hat Topi Kairenius einen niedrigschwelligen Zugang zum Thema Insekten geschaffen. Er gibt "Beer and Bugs"-Tastings. Bier mag ja jeder, eh klar. Und dann mal so ein knuspriges, gut gewürztes Würmchen dazu – ach, warum nicht?
Die Idee von "Beer and Bugs" ist auch deshalb super, weil Bier ja auch hilft, das Hirn sanft einzulullen und zum Schweigen zu bringen. Ist im Kopf erst mal wohlige Ruhe, dann ist der Bauch bereit, sich auf Neues einzulassen.
Insekten auch bei uns probieren: Pesto mit Buffalowürmern oder Heuschrecken in dunkler Schokolade kann man z.B. auf ausgewählten Street Food Markets in Wien probieren oder bei ZIRP Insects direkt online bestellen. Bei FOOD INSECTS findet man Rezepte, Wissenswertes und einen Überblick über Insekten-Kochkurse in der Nähe.