Höher, schneller, weiter: Selbstoptimierung boomt. In unseren Köpfen, aber auch in der Werbeindustrie. Es ist langsam Zeit, diese "Ich kann immer noch besser werden"-Einstellung loszulassen, findet unsere Autorin.
Wer aufmerksam durch die Welt geht, dem wird in den letzten Jahren aufgefallen sein, dass es anscheinend viel Verbesserungsbedarf gibt in so ziemlich allen Bereichen eines durchschnittlichen Lebens. Genauer gesagt: Optimierungsbedarf. Von der Produktivität im Job über das Aussehen bis zum Charakter. Alles kann und, so scheint es manchmal, muss sogar optimiert werden. Eigentlich ist es ja ein schöner Gedanke, dass man jederzeit an sich arbeiten kann und darf. Man ist ja nicht irgendwann plötzlich fertig mit seiner Entwicklung, sondern lernt ständig Neues, ob bewusst oder unterbewusst. Mittlerweile ist aus diesem schönen, kleinen Gedanken aber eine ganze Industrie entstanden, die enorm von diesem kollektiven Bedürfnis, alles um sich herum noch ein kleines Stückchen besser zu machen, profitiert. Diese Industrie hat zu jedem Problemchen und Optimierungswunsch natürlich passende Produkte parat – und klärt ganz nebenbei auch darüber auf, was im eigenen Leben alles verbessert werden könnte. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.
Und selbst wenn man das Gefühl hat, zufrieden mit sich und dem eigenen Leben zu sein – optimiert werden kann immer noch. Dieser Annahme muss man sich ja auch nicht grundsätzlich verschließen. Wahrscheinlich wären wir ja tatsächlich alle gesünder, leistungsfähiger und ganz allgemein bessere Menschen, wenn wir immerzu an den richtigen Rädchen drehen. Aber dass wir auch automatisch glücklicher sind? Darf man stark bezweifeln.
"Jeden Tag ein Stückchen besser" – langsam übertreiben wir doch
Natürlich kann man auch auf völlig gesunde Weise an sich selbst arbeiten. Trotzdem: Ausmaß und Intensität, mit denen wir an uns selbst arbeiten (sollen), nehmen langsam absurde Züge an. Selbst, wenn man das aus "eigenem Antrieb" und wirklich nur für sich selbst macht: Wer kann in einer Welt, in der man jeden Tag hunderte Male bewusst oder unbewusst mit Werbung konfrontiert wird, wirklich noch sagen, welcher Gedanke von einem selbst kommt und welcher lediglich das Ergebnis eines fortwährenden Narrativs der Werbeindustrie ist? Die ist übrigens nicht der einzige Katalysator dieser "Jeden Tag ein bisschen besser"-Mentalität. Auch in den sozialen Medien sind Inhalte, die einem – natürlich anhand von ästhetisch inszeniertem Bild- und Videomaterial – erklären, wie man ein "gutes Leben" führt, außerordentlich beliebt. Und äußerst lukrativ, nebenbei bemerkt.
Die Soziologin Anja Röcke nennt das "Streben danach, besonders zu sein" als einen der Hauptgründe dafür, warum wir so verrückt danach sind, immer besser zu werden. Und sieht in dem daraus resultierenden Drang, sich selbst dauernd zu verbessern, "eine problematische Entwicklung". Denn – und da sind sich Wissenschaftler:innen und Soziologen:innen weitgehend einig – glücklicher wird man nicht davon.
Lies auch: Was ist Toxic Positivity? Und warum schadet ständiger Optimismus uns so?
Selbstoptimierung erfüllt uns nicht – sondern macht uns unglücklich
Der Facharzt für psychosomatische Medizin und Psychotherapie Josef Zierl sagt: "Der Wunsch und auch die gesellschaftliche Forderung nach ständiger Steigerung führen zur Entgleisung der Selbstverwirklichung. Weil sie immer neue, höhere Ideale erzeugt, an denen die Einzelnen immer wieder scheitern". Um mehr Bestätigung von außen zu bekommen, lässt man also nichts unversucht, um sich immer mehr Idealen (schlank, gesund, intelligent, ausgeglichen) anzupassen. Kaum hat man eines dieser Ziele erreicht, gibt es eine andere Stelle, die dringend optimiert werden muss. Wann ist die Dauerbaustelle, die man mit diesem "Mindset", wie Selbstoptimierungs-Influencer:innen es gerne nennen, aus sich macht, denn beendet? Vermutlich nie – und die Frustration und Sebstzweifel, die sich daraus ergeben, lassen jede Freude, die man verspürt, weil man jetzt endlich "die beste Version" von sich ist, ganz schnell wieder verpuffen. Am Ende ist man also vermutlich unglücklicher als vorher. Aber hat wahrscheinlich eine Menge Geld für grüne Smoothies und pseudo-psychologische Selbsthilfebücher ausgegeben. Allein aus Kostengründen ist es also vermutlich schlau, sich dem Selbstoptimierungs-Trend zu widersetzen – und aus psychologischen sowieso.
Mehr Themen: