Smoothies zubereiten, Sport machen, alles durchorganisieren, was ihnen zwischen die Finger kommt – so sieht der Alltag vieler Frauen aus. Zumindest, wenn man den Darstellungen auf ihren Social-Media-Accounts glaubt. Wie schnell Motivation und Selbstoptimierung toxisch werden können, zeigt der "That Girl"-Trend. Was hat es damit auf sich?
Mit Trends auf Social Media ist das so eine Sache – die meisten von ihnen kann man grundsätzlich vernachlässigen. Sie verschwinden so schnell, wie sie aufgetaucht sind, wieder in der Bedeutungslosigkeit des Internets. Andere finden so viel Zuspruch, dass man sich zwangsläufig fragen muss: Was sagt das über unsere Gesellschaft aus? Der "That Girl"-Trend, der die gängigen Social-Media-Plattformen seit beinahe einem Jahr fest im Griff hat, ist zweifellos Teil der letzteren Kategorie.
Wer ist "that girl?"
Sie ist die, die alles unter Kontrolle hat. Ihre Wohnung ist immer ordentlich, sie würde nie ein Training im Fitnessstudio sausen lassen und ihre To-do-Lists sehen nicht nur aus wie in einer Moleskine-Reklame, sondern sie schafft es auch ohne Ausnahme, alles, was darauf steht, abzuhaken.
Anders gesagt: "That girl", also dieses Mädchen, ist ein Mythos – ein weiteres Ideal, dem man zwar nachjagen, das man aber niemals erreichen kann. Trotzdem begeistert dieses Perfektionismuskonzept Hunderttausende in den sozialen Netzwerken. Alleine auf Instagram gibt es mehr als 870.000 Beiträge unter dem Hashtag #thatgirl, auf TikTok hat der Hashtag insgesamt sage und schreibe 7,8 Milliarden Aufrufe. Hunderttausende sehen also meist jungen Frauen dabei zu, wie sie versuchen, „that girl“ zu sein – also um fünf Uhr morgens aufstehen, Yoga machen, danach ihren Kühlschrank organisieren (ja, das gibt es wirklich!), gesunde Smoothies zubereiten und einen "weekly reset" machen (damit ist schlicht der Wohnungsputz gemeint).
Biedermeier im 21. Jahrhundert
Die Frauen, die diesen Lifestyle zur Schau stellen, sind der wahrgewordene Traum des Kapitalismus – sie arbeiten, sie konsumieren, sie räumen auf. Aber vor allem sorgen sie nicht für Probleme. Ein bisschen erinnert das an eine moderne Form der Biedermeier-Epoche – der Rückzug ins Häusliche, die Sehnsucht nach Idylle, die Abwesenheit von Kritik an Politik oder Gesellschaft.
Ein entscheidender Unterschied lässt sich natürlich nicht leugnen: Die Menschen, die Anfang bis Mitte des 19. Jahrhunderts tatsächlich im Biedermeier-Zeitalter lebten, haben keinen Gedanken daran verschwendet, welchen Song sie benutzen sollen, um ihren Lifestyle hunderttausenden Fremden zu präsentieren.
Aber selbst, wenn man dem Selbstoptimierungs-Trend tatsächlich etwas abgewinnen kann und ihn beispielsweise für motivierend hält: Sollten wir uns nicht Gedanken darüber machen, dass es allem Anschein nach nicht reicht, Alltag und Job und ggf. Familie unter einen Hut zu kriegen, sondern dass auch die Freizeitgestaltung bis hin zur Perfektion optimiert werden soll?
Sogar an Selbstfürsorge werden jetzt Erwartungen geknüpft
Im Grunde sind es ja lobenswerte Ideale, für die die "That Girl"-Trendsetterinnen einstehen: Gesundheit, sich selbst zur Priorität machen, ein aufgeräumtes Zuhause. Nicht nur Fans von Marie Kondo würden wahrscheinlich sofort unterschreiben, dass Ordnung in den eigenen vier Wänden vorteilhaft für die Psyche ist – auch wissenschaftliche Studien bestätigen das seit vielen Jahren immer wieder.
Aber ist es nicht ein Symptom unserer Zeit, des digitialen Zeitalters, dass sogar an diese Selbstfürsorge-Maßnahmen und an das Stillen unserer essentiellen Grundbedürfnisse Erwartungen geknüpft werden? Es reicht offenbar nicht, gesund und glücklich zu sein, das alles soll auch noch instagrammable sein – ansprechend genug, um anonyme Massen auf Social Media zu begeistern.
Muss man privilegiert, weiß und schlank sein, um "that girl" zu sein?
Die Creatorinnen, die diesen Trend maßgeblich prägen, predigen in vielen Videos: Jede:r könne so sein wie sie. Glücklich, erfolgreich, ausgeglichen, gesund. Man müsse sich eben aufraffen und Routinen einhalten. Wer einen genaueren Blick auf die Erstellerinnen der Clips wirft, bezweifelt dieses Narrativ schnell. Sie sind in den allermeisten Fällen jung, weiß und schlank, gleichen einander wie ein Ei dem anderen. Das muss per se noch nichts heißen. Aber wenn eine Gruppe, die zwar von sich sagt, dass jede:r Teil von ihr sein könne, trotzdem sehr homogen ist, ist das ein Indiz dafür, dass man, um dazuzugehören, doch ein paar Kriterien erfüllen muss. Der "That girl"-Lifestyle scheint eben doch einige Privilegien zu erfordern – flexible Arbeitszeiten etwa, die ausgedehnte Yoga-Sessions um neun Uhr morgens ermöglichen.
Und auch, dass viele Influencerinnen, die den Trend populär gemacht haben, immer wieder Produkte zeigen, die angeblich essentiell für den erfüllenden Lifestyle sind, deutet darauf hin, dass es eben nicht nur um reine Motivation und harmlose Selbstoptimierung geht, sondern um eine toxische Erwartungshaltung, mit der sich ganz nebenbei noch Geld verdienen lässt.
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