Es ist ein Missverständnis des Feminismus, über den noch zu wenig gesprochen wird: dass man als Feministin jede Frau unterstützen muss, weil sie nun mal eine Frau ist. Dass das schlichtweg nicht stimmt, beweist eine neue Debatte um Italiens neue Regierungschefin Giorgia Meloni. Ein Kommentar.
Die Debatte hat, wie so oft, auf Twitter begonnen. Dort hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen der neuen italienischen Regierungschefin Giorgia Meloni zu ihrem Amt gratuliert. Unter anderem, weil sie die erste italienische Frau in dieser Position ist. Meloni ist Parteichefin der "Fratelli d'Italia", die als rechtsradikal eingestuft wird. Bereits kurz nach ihrem Wahlerfolg kritisierten viele Medien und Politiker:innen den Rechtsruck im italienischen Parlament. Dass von der Leyen ihr jetzt gratuliert hat, sorgte deshalb für Irritationen. Auch Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sendete seine Glückwünsche nach Italien – allerdings, ohne hervorzuheben, dass Meloni die erste Frau ist, die Italien regiert.
Und ja, es wirkt ein wenig deplatziert, die Chefin des rechtesten Kabinetts seit dem zweiten Weltkrieg in die Nähe der Frauenbewegung zu rücken. Zumal Meloni selbst bereits beteuerte, keine Feministin zu sein. Trotzdem wird sie immer wieder dafür gefeiert, eine Art leuchtende Symbolfigur und ein Vorbild für Frauen zu sein, die es bis ganz nach oben schaffen wollen. Hillary Clinton, ehemalige US-amerikanische Präsidentschaftskandidaten, sagte beispielsweise über Meloni: "Jedes Mal, wenn eine Frau an die Spitze eines Staates oder einer Regierung gewählt wird, ist das ein Schritt nach vorne." Das stimmt schlichtweg nicht – und ist so naiv, dass man schreien möchte. Denn nein, es ist nicht automatisch ein guter Schritt, wenn eine Frau an die Spitze eines Staates gewählt wird. Es kommt bei der Frage, ob das nun eine gute Sache ist, immer noch auf die Politikerin selbst an, auf ihre Werte und ihre Pläne für das Land.
Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) sieht das jedenfalls genauso und kommentierte von der Leyens Glückwünsche mit "Das ist kein Feminismus."
Es hat nichts mit Feminismus zu tun, alle Frauen zu feiern
Dass ausgerechnet Lauterbach diese Debatte erneut anstößt, mag einige überrascht haben – schließlich findet er in feministischen Diskursen nicht allzu häufig statt. Aber er macht auf einen ganz entscheidenden Denkfehler aufmerksam: dass man als Feministin alle Frauen gut finden muss, weil sie nun mal auch Frauen sind. Am Beispiel von Meloni wird das ganz besonders anschaulich. Denn warum sollte man es gut finden, dass Meloni gewählt wurde, wenn einem ihre ultrarechten Prinzipien vielleicht widerstreben? Ist allein ihr Geschlecht tatsächlich Grund genug, um ihre Wahl zur Regierungschefin zu beklatschen – ungeachtet dessen, was sie in ihrer Amtszeit vorhat? Wer das so sieht, hat offensichtlich etwas sehr Grundlegendes nicht verstanden. Denn – Überraschung – nicht alle Politikerinnen, geschweige denn alle Frauen, sind gleich. Und nicht alle sind gleich gut dafür geeignet, Politik zu machen, die eine Gesellschaft eint, anstatt sie zu spalten. Das trifft, nur mal nebenbei gesagt, auch auf Politiker zu.
Lange war es, auch in feministischen Kreisen, üblich, auf andere Frauen herabzusehen und sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit ohne jede Verhältnismäßigkeit zu kritisieren. Das ändert sich mittlerweile zum Glück. Aber das heißt noch lange nicht, dass man unter dem Vorwand der Frauen-Solidarität keine anderen Frauen kritisieren darf. Wenn politische oder persönliche Werte aufeinanderprallen, wäre es doch ein Verrat an einem selbst, der anderen Person trotzdem zuzustimmen, nur weil man zufällig das gleiche Geschlecht hat. Das wäre nicht nur moralisch fragwürdig, es wäre auch ungeheuer naiv.
Mut zur Haltung!
Wer denkt, dass eine fröhliche "Women support women"-Haltung auch im politischen Kontext feminismusförderlich ist, irrt jedenfalls gewaltig. Man tut feministischen Anliegen absolut keinen Gefallen damit, alle Frauen ungeachtet ihrer Taten in den Himmel zu loben. Ganz im Gegenteil, man füttert damit einen Vorwurf, der Frauenrechtlerinnen und Feministinnen immer wieder gemacht wird: dass sie ohne rationale Begründung alles feiern, solange es aus dem Mund einer Frau kommt.
Feminismus ist allen voran eine Frage der Haltung. Eine Frage des Rückgrats. Nicht eine des ewigen Ja-Sagens. Wie förderlich ist es also für den Feminismus, wenn eine Politikerin beglückwünscht wird, die zwar einen historischen Meilenstein setzt, auf deren Agenda die Verbesserung der Lebensumstände von Frauen aber ganz weit unten steht? Vor diesem Hintergrund wirkt es geradezu absurd lächerlich, dass Frauen wie Ursula von der Leyen oder Hillary Clinton die politischen Gräben, die sich zwischen ihnen und Giorgia Meloni auftun, mit Floskeln wie "wenigstens eine Frau im Amt" wegwischen. Man kann mit ziemlicher Sicherheit sagen: Das war es jedenfalls nicht, was Annalena Baerbock sich unter feministischer Außenpolitik vorgestellt hat.
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