Man kann sich über den Zustand der Welt und der eigenen vier Wände ärgern. Oder man nimmt die Dinge selbst in die Hand. Denn dass Do-it-yourself mehr als süße Bastelei ist, wissen alle, die mal einen Toaster repariert haben – findet unsere Autorin.
Wieso gibt es eigentlich noch keine Spa-Hotels mit Schreinerwerkstätten und Strickzirkeln? Statt Yoga-Workshops würde es Intensivkurse in Duschkopf-Installation und Altbautür-Abbeizen geben. Statt in weißen Bademänteln würden die Gäst*innen in Blaumännern beisammensitzen und sich andächtig über den lebensverändernden Vortrag zum Fliesenmosaiklegen unterhalten. Klingt komisch? Doch jede*r, der schon einmal erfolgreich geheimwerkt hat, weiß: Dinge selbst zu machen ist heilsame Selfcare. Kein Wunder also, dass immer mehr Menschen auf den Do-it-yourself-Zug aufspringen: Es tut eben manchmal gut, sich im Klein-Klein des Bastelns zu verlieren, statt immer das große Ganze dieser herausfordernden Zeit vor Augen zu haben.
Selbstgemachte Geschenke drücken Wertschätzung aus
Der Bastel-Trend hat sich in den vergangenen Jahren vom Mauerblümchen zum Cool-Kid gemausert. Früher schauderte man noch vor biederen Strickheften am Kiosk zurück oder musste Sorge haben, zu Weihnachten "etwas Selbstgemachtes" zu bekommen. Heute kann man den gegenläufigen Trend beobachten: Für den Geburtstag der besten Freundin doch (schnell) etwas gekauft? Da stellt sich schon fast ein schlechtes Gewissen ein. DIY-Präsente gelten heute eben als Zeichen besonderer Wertschätzung. Vor allem Basteleien aus Papier sind gefragt, bestätigt auch der Pinterest Predicts Report 2023: Demnächst machen wir vermehrt in Quilling (das ist Basteln mit Papierstreifen), Origami und anderer Papierkunst. Wer zum dreikleistrigen Pappmaschee hätte das gedacht?
Sich Muße zum Basteln zu nehmen ist heute eben ein höheres Ideal, als stumpf zu konsumieren, weil Zeit für viele mittlerweile kostbarer ist als Geld. Was nicht bedeutet, dass im DIY-Trend nicht auch jede Menge Konsum steckt: 5 Milliarden Euro wurden im Viel-Zeit-für-Projekte-Pandemiejahr 2020 auf dem deutschen Do-it-yourself-Onlinemarkt umgesetzt – eine Steigerung von 10 Prozent im Vergleich zum Vorjahr.
Anleitungen gibt's inzwischen überall
Befeuert wird das Ganze auch durch die sozialen Medien, die Bastelwilligen dabei helfen, genau das zu finden, was man selber gestalten will: Auf Pinterest, YouTube oder Selbstmach-Blogs führen DIY-Stars vor, wie kinderleicht (und wunderschön) sich zum Beispiel Frühlingsblumen aus Papier falten lassen oder wie man sich seine halbe Garderobe zusammenstricken kann, ohne dass einen der Mief von 70er-Jahre-Wollpulli-Ökos umweht.
Neben den dekorativen Projekten gibt es auch immer mehr Anleitungen für handfeste Problemlösungen: Stühle reparieren, Knöpfe annähen, ein Garten-Hochbeet anlegen, Pflaumen fermentieren oder eine Lampe anschließen: Dank zahlloser Tutorials kann heute jede*r zur Handwerker*in werden.
Der Trend ist auch eine Reaktion auf die neue Mangelsituation
Sechs bis sieben Minuten pro Tag verbringen Menschen in Mehrpersonenhaushalten mit dem Reparieren, Warten und Pflegen ihrer materiellen Ausstattung, das schreiben die Autorinnen Melanie Jaeger-Erben und Sabine Hielscher in ihrem Buch "Verhältnisse reparieren". Darin zeigen sie, wie das Selbermachen die eigene Beziehung zur Welt verändert. Und wie sehr der Trend auch eine Reaktion auf die – zumindest in unseren Breitengraden – bisher ungekannte Mangelsituation ist: Es fehlt an allem – Rohstoffe, Arbeitskräfte und Geld sind knappe Güter geworden, da ist der Griff in den heimischen Werkzeugkasten keine schlechte Option. Der Klempnerbetrieb schickt erst in vier Wochen jemanden, um den Abfluss zu reinigen? YouTube an und schon schwingen wir selbst den Pömpel.
DIY ist also nicht nur Self-Empowerment, weil man das Gefühl hat, die Dinge im wahrsten Sinne des Wortes selbst in der Hand zu haben. Es ist vor allem eine logische Antwort auf die Krisen unserer Zeit: Eine Gesellschaft, die nachhaltig leben will, muss Ressourcen schonen. Menschen, die selber machen und reparieren, statt ständig neu zu kaufen, sind dafür eine starke Triebkraft. Aus welchem Grund man auch immer zum Hammer greift: Es tut gut. Also, was ist dein nächstes Projekt?
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 3/23.
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