Die Grenzen zwischen Privatem und Beruflichem verschwimmen zunehmend. Nicht immer ist das Grund zur Freude. Aber jetzt! Denn – Remote Work macht es möglich – Menschen arbeiten nicht mehr nur aus dem Homeoffice, sondern aus den Alpen, Dänemark, Bali. Das sind die größten Trends, die die sogenannten "Anywhere-Worker" gerade vorantreiben.
Es gibt Begriffe, die steile Karriere machen: Workation zum Beispiel. Vor Corona so exotisch wie gegrillte Insekten, heute etwas, mit dem unsere Bankberaterin genauso locker hantiert wie die befreundeten Eltern aus der Kita. Was ist passiert? Arbeiten im Ausland ist immer noch kein Massenphänomen, aber mehr in die Mitte der Gesellschaft gerückt. Waren die "Digitalnomaden" meist Menschen am Berufseinstieg, nach dem Karriereausstieg oder selbstständig, haben Homeoffice und Remote Work die freie Arbeitsplatzwahl einen Markt neu kreiert: den der Anywhere-Worker.
Laptop, WLAN, los: Arbeiten von überall
Als solcher gilt, wer remote in mindestens zwei Ländern im Jahr arbeitet. Wer genau reist gerade zum Arbeiten ins Ausland? 70 Prozent sind zwischen 25 und 44 Jahre alt, 13 Prozent zwischen 45 und 54, mehr als die Hälfte arbeitet Vollzeit – diese Zahlen nennt die „Anywhere-Worker“-Studie von Fiverr und Lonely Planet. Vorrangig internationale Konzerne ermöglichen ihren Mitarbeitenden diese neue Form zu arbeiten und regeln das in den Verträgen. Doch auch deutsche Unternehmen schließen sich an.
Trend 1: Ferienhaus in der Natur
70 Prozent der Anywhere-Worker sind Eltern. Und die brauchen mehr als Hängematte, Bulli oder Backpackerhostel: Ferienhäuser und Ferienwohnungen zählen mit 88 Prozent Zustimmung zu den beliebtesten Unterkünften insgesamt, wie die Newoka-Workation-Studie ergab. Nur so wird die Workation nämlich für alle gut: mit Platz für spielende Kinder und Rückzugsraum für die Arbeit. Häuser sind noch beliebter als Wohnungen – klar. Meist stehen sie in schöner Umgebung mit Blick in die Natur. Diese sensorischen Eindrücke schaffen tatsächlich einen neuen Fokus. Das Arbeiten wird so zu einer Art Wohnretreat. Auf den gängigen Suchportalen wie Fewo-direkt, Airbnb und Hometogo lässt sich ganz gezielt nach individuellen Wünschen suchen. Der Anbieter Airbnb hat sogar einen eigenen Filter in der Suche für die WLAN-Qualität eingeführt. Denn der schönste Ort nützt ja nichts, wenn Dateien sich nicht öffnen lassen oder die Videoschalte ständig kollabiert ...
All das trägt zum Wohlfühlfaktor bei. Für Anywhere-Worker ist er besonders wichtig: Anders als die Digitalnomaden ziehen sie nicht gleich wieder weiter, sie bleiben meist drei Monate oder mehr. Man nennt sie deshalb auch Slowmads. Den Trend der digitalen Wanderarbeiter haben auch Start-ups schon als Markt erkannt. Das Projekt "Emma Wanderer" etwa hat dieses Jahr in Österreich eröffnet und bietet im Haupthaus einen Arbeitscampus mit 66 Arbeitsplätzen. Mitten im obersteirischen Nationalpark Gesäuse wird in angrenzenden Tiny Houses gewohnt, Vanlifer dürfen natürlich im Bus leben. Platz ist hier für 150 Slowmads. Entscheidend für das Grundstück zwischen Graz und Wien waren aber nicht nur Natur und Einsamkeit, sondern der Glasfaseranschluss – die perfekte digitale Infrastruktur. Mitten im Nichts.
Trend 2: Ab ins Hotel!
Im Hotel zu arbeiten – die Idee entstand aus Not in der Pandemie: Hauptsache raus. Seit Reisen wieder möglich ist, boomt sie richtig: "Es gibt einen zunehmenden Trend in den Urlaubsregionen. Die Hotels passen sich dort an die Bedürfnisse der Remote-Worker und Anywhere-Worker an", sagt Tobias Kollewe, CEO der Cowork AG und Vorstand des Bundesverbands Coworking Spaces. "Die Zahl der Hotels, die Co-Working-Areas anbieten, hat allein in den letzten Monaten zugenommen." Aber was genau sind diese Bedürfnisse? Große Hotelanbieter wie TUI Blue, Robinson Hotels oder Motel One, vereinzelt auch kleine Luxushotels, bieten etwa schon Workation-Pakete an: Tagsüber den vollen Fokus auf die Arbeit und im Anschluss auf Entspannung – Wellness oder Spa. Und: Eine Workation im Hotel bedeutet nicht nur einen Schreibtisch im Hotelzimmer mit vernünftigem Stuhl sowie schnelles und stabiles WLAN. Viele wünschen sich die Möglichkeit, bei Bedarf Monitore dazuzubuchen, oder schätzen eigene Co-Working-Bereiche im Hotel, fernab des Lobbytrubels.
In den Hotels der Scandic-Kette kann man beispielsweise auch Hotelzimmer tageweise als Büros mieten und Tagungsräume stündlich. Es gibt Rabatte auf Speisen, und die Arbeitsbereiche können rund um die Uhr genutzt werden von jedem, der möchte – also von den Anywhere-Workern, von klassischen Geschäftsreisenden und Tagesgästen, die woanders wohnen, aber hier arbeiten. Mit diesen neuen Co-Working-Spaces etablieren sich Hotels gerade weltweit als die neue Anlaufstelle für Anywheres, aber auch für lokale Remote-Worker. Zu den boomenden, oft vollen Co-Working-Spaces sind sie die neue entspannte und manchmal sogar elegante Alternative ...
Trend 3: Andere Zeitzone
Die schönsten Gegenden liegen am anderen Ende der Welt? Stimmt. Wer mutig und gut organisiert ist, erfüllt sich mittlerweile trotzdem diesen Traum von einer Workation auf anderen Kontinenten – auf Bali, in Thailand oder den USA. Neben Versicherungsfragen, Visaanträgen oder dem Blick in den Impfpass klärt man vorher vor allem eines: Wie arbeite ich mit meinem Team? Wann bin ich erreichbar und wann nicht? Und auch die Frage nach der richtigen Unterkunft sollte nicht unterschätzt werden. Eine unserer Kolleginnen hat etwa ihr Ferienhaus für ihre vierwöchige Workation auf Bali über Airbnb gebucht. "Sorgen um das Internet habe ich mir nicht gemacht, schließlich ist Bali der Ort für Digitalnomaden", sagt sie. Da sie und ihr Mann beide auf Bali gearbeitet haben, hatten sie sich vorab eine Nanny organisiert, die ihre zwei Kinder betreute, während sie arbeiteten. Da Bali Deutschland um sechs Stunden voraus ist, hat unsere Kollegin nachmittags mit dem Arbeiten angefangen, in Deutschland war es zu dem Zeitpunkt erst morgens. Wiederkehrende Teammeetings hatte sie mit ihrem Team vorher gemeinsam auf eine passende Uhrzeit geschoben. Nach dem Abendessen, wenn die Kinder im Bett waren, hat sie nochmal ein paar Stunden gearbeitet. "Für mein Team war es so, als wäre ich im Homeoffice. Ich fand es sehr angenehm, dass ich nachmittags erst einmal ein paar Mails beantworten konnte, ohne gestört zu werden, weil alle in Deutschland noch geschlafen haben." Die Kultur, die gute Kinderbetreuung, der andere Rhythmus waren eine tolle Erfahrung und ein Luxus. Ihr Fazit: "Ich würde es immer wieder machen."
Dieser Text erschien zuerst in EMOTION WORKING WOMEN 01/22.
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