Ob im Job, auf Wohnungs- oder Partnersuche: Viele Mütter verheimlichen ihren Nachwuchs. Und dafür haben sie auch 2023 noch gute Gründe. Schauspielerin Katrin Heß erzählt, warum sie das auch getan hat – und das #momingout trotzdem eine gute Idee war.
Mutter & Karrierefrau – immer noch nicht ganz so akzeptiert
Wer Katrin Heß googelt, findet jede Menge Infos über die Schauspielerin, die viele aus "Alarm für Cobra 11 – die Autobahnpolizei" kennen: zu ihren Projekten, zu ihrem Dialekt (Kölsch), zu ihren Hobbys (Gitarre, Fußball, Jazzdance), dazu, dass sie seit 2015 strikt vegan lebt und man erfährt sogar ihre exakte Haar- und Augenfarbe. Dass die 37-Jährige eine zweieinhalbjährige Tochter hat und dieses Jahr ihr zweites Kind bekommen hat – darüber schwieg das Netz lange.
Mit uns spricht die Schauspielerin nun zum ersten Mal darüber, wieso sie bisher so ein Geheimnis aus ihrer Tochter gemacht hat, denn es geht ihr nicht vor allem darum, ihre Privatsphäre zu schützen, sondern: "Ich hatte Angst vor einem Karriereknick", sagt sie, "oft ist es in der Filmbranche ein Nachteil, Mutter zu sein. Ich hatte Sorge, beruflich aufs Abstellgleis zu geraten." Ein Gedanke, mit dem sie nicht allein ist.
"Die ist doch Mutter, die hat bestimmt kein Interesse daran!"
Auch andere Mütter verschweigen ihre Kinder im beruflichen Kontext. Anne-Lu Kitzerow-Manthey, Bloggerin (grossekoepfe.de), Zukunftsforscherin (zukunftsforscherin.de) und Mutter von drei Kindern, erzählt: "Ich habe im Job jahrelang nicht über meine Kinder gesprochen. Ich wollte nicht darüber definiert werden. Sobald Kolleg:innen erfahren haben, dass ich Mama bin, wurde ich anders behandelt: Weiterbildungen? Aufstiege? Die ist doch Mutter, die hat bestimmt kein Interesse daran!"
Das Cover-up-Syndrom
Das Phänomen, Kinder im Job zu verheimlichen, hat inzwischen sogar einen Namen: Cover-up-Syndrom. Kein Wunder, dass einige Mütter Kind und Karriere strikt trennen. Nach wie vor gibt es unzählige Vorurteile, die an uns Working Moms kleben wie Kaugummi. Mit einigen davon wurde ich als Mama von zwei Kindern selbst im beruflichen Alltag konfrontiert: dass uns der Job plötzlich nicht mehr wichtig sei. Dass wir ständig wegen unserer (kranken) Kinder fehlten. Dass wir weniger belastbar seien. Als hätten wir sämtliche Karriereambitionen an der Tür zum Kreißsaal abgegeben. Die Folge: Frauen mit Kindern werden nicht befördert, Arbeitsverträge werden nicht verlängert und sogar gekündigt, oder uns wird Teilzeit verweigert nach dem Motto: ganz oder gar nicht! Und wird der Antrag auf Stundenreduzierung gewährt, landen Mütter oft in der berühmten "Teilzeit-Falle": Wir arbeiten mehr, als vertraglich vorgesehen, bekommen trotzdem weniger Geld (mit fatalen Folgen, Stichwort: Altersvorsorge), und in Vollzeit zurückzukehren ist oft schwierig bis unmöglich – nach wie vor besteht kein Rechtsanspruch.
Muttersein als Last für Arbeitgeber
Dass die Diskriminierung von Müttern real ist, bestätigen jetzt endlich auch offizielle Zahlen: Einer aktuellen Statistik der Antidiskriminierungsstelle des Bundes nach haben 64 Prozent der befragten Eltern am Arbeitsplatz bereits mindestens eine diskriminierende Erfahrung gemacht – davon waren Mütter mit 74 Prozent häufiger betroffen als Väter (52 Prozent)*. Die Angst vor dem Abstellgleis schien auch bei Katrin Heß nur zu berechtigt: "Ein paar Monate nach der Geburt hatte ich dieses tolle Dreh-Angebot und habe mich sehr auf die Rolle gefreut", erzählt sie. "Als die Produzent:innen vor Beginn der Dreharbeiten erfuhren, dass ich währenddessen stillen muss, sollte ich ausgetauscht werden. Zeit ist in meiner Branche Geld. Eine stillende Mutter bedeutet einen Mehraufwand, der nicht gewünscht ist."
Mütter in der Filmbranche werden auf ihre Körper reduziert
Besonders perfide: Auch ihr Mom Bod war Thema. "Hinter vorgehaltener Hand wurde spekuliert, wie gut ich nach der Geburt in shape bin und ob mein Body noch zur Rolle passt", erzählt sie. In der immer noch stark männerdominierten Filmbranche sind die Ansprüche an Frauen und ihre Körper besonders krass. Aber auch in anderen Bereichen gilt der Grundsatz: Wir Mütter sollen im Job performen, als ob wir keine Kinder haben, uns um die Kinder kümmern, als ob wir keinen Job hätten – und dabei so aussehen, als hätten wir weder das eine noch das andere. Nicht umsonst gilt es als größtes Kompliment für eine Mutter: "Wow, man sieht dir gar nicht an, dass du ein Kind bekommen hast!"
Kinder haben ja, aber bitte nicht anmerken lassen!
Die ideale Frau hat Kinder (wer sich bewusst dagegen entscheidet, wird nach wie vor kritisch beäugt) – man sieht und merkt es ihr aber nicht an. Ist das der Grund, dass einige Mütter das Thema "Kind" auch in anderen Bereichen ausklammern – zum Beispiel beim Dating, auf Wohnungssuche oder in Gesprächen mit (kinderlosen) Freund:innen?
Kinder- und Mütterfeindlichkeit in Deutschland – ein gesellschaftliches Problem
Nathalie Klüver, Bloggerin (ganz-normalemama.com), Autorin des Buchs "Deutschland, ein kinderfeindliches Land?" (Kösel) und alleinerziehende Dreifach-Mama, meint, dass dahinter ein gesamtgesellschaftliches Problem steckt: "Ein Land, das kinderfeindlich ist, ist auch mütterfeindlich", sagt sie. Da Kinder nach wie vor vorrangig Sache der Frau sind, hängen Kinderfeindlichkeit und Misogynie, also Frauenfeindlichkeit, eng zusammen.
Die strukturelle Rücksichtslosigkeit der Gesellschaft gegenüber Familien und insbesondere Frauen zeigt sich an vielen Stellen: Familien werden im Steuerrecht, im Rentenrecht, beim Wahlrecht und den Sozialversicherungen benachteiligt. Nathalie Klüver: "Man denke nur an das Ehegattensplitting, das für Frauen viele Nachteile hat." Die 42-Jährige beklagt besonders die unsolidarische Geisteshaltung in unserem Land. Beispiel Wohnungsmarkt: Viele Annoncen enthalten Formulierungen wie "kinderloses Paar bevorzugt". Vermieter denken beim Stichwort "Kind" an störende Kinderwagen im Flur, bemalte Wände und lautstarke Wutanfälle – und nicht daran, wie bereichernd das Leben mit Kindern auch sein kann.
Kinder im öffentlichen Raum
Nathalie Klüver hat daher Verständnis dafür, dass Mütter ihren Nachwuchs in einigen Situationen bewusst nicht erwähnen: "Es sind schon Freundschaften mit Kinderlosen zerbrochen, weil totales Unverständnis füreinander da ist. Kinderlose sind mit Kindern und ihren Bedürfnissen oft ebenso wenig konfrontiert wie mit den Bedürfnissen der Freunde, die jetzt Eltern sind", sagt sie. "Kinder finden in der Öffentlichkeit, in Restaurants, am Arbeitsplatz nicht statt. Das sind richtige Parallelwelten."
Kinderfreundliche Politik & Sichtbarkeit von Müttern
Das ist zum Beispiel in Skandinavien anders. Was muss sich ändern – gesellschaftlich, politisch und strukturell? Nathalie Klüver sagt: "Dafür muss an mehreren Stellschrauben gedreht werden. Ich fordere unter anderem, dass Familien finanziell entlastet werden und dass der öffentliche Raum kinderfreundlicher gestaltet wird. Um für mehr Chancengleichheit und Gleichberechtigung zu sorgen, führt kein Weg an einer kinderfreundlicheren Politik vorbei."
Entscheidend ist aber auch unsere eigene Einstellung. Wer sich familienfeindlichen Strukturen anpasst, braucht sich nicht zu wundern, wenn sich nichts ändert. Wenn kinderlose Kolleg:innen oder Freund:innen nie mit dem Theman Berührung kommen, können wir auch kein Verständnis erwarten. Frauen mit Kindern müssen sichtbarer werden – im Job, auf Wohnungs- und Partnersuche, in der Gesellschaft. Das fängt damit an, dass wir offen über unseren Nachwuchs sprechen. Anne-Lu Kitzerow-Manthey: "Seit ich drei Kinder habe, kann ich diese kaum noch verheimlichen und spreche offen über sie auf der Arbeit. Ich breche damit Tabus, und das sollten viel mehr Menschen machen."
#MomToo
Kaitlyn Chang, Brand Innovation Lead bei der Digitalagentur Accenture Interactive in Wien, "outete" sich beim Forward Festival 2021 in Wien als Working Mom. Als Speakerin prangerte sie die Motherhood-Penalty, die systematische Benachteiligung von Müttern im Job, an, während ihre sechs Monate alte Tochter in der Babytrage an ihrer Brust schlummerte. Ein mutiger Auftritt, mit dem sie für viele Frauen zum Vorbild wurde. Nach ihrer Rede rief sie den Hashtag #MomToo ins Leben, um arbeitende Mütter sichtbar zu machen. Ihr Post auf LinkedIn wurde 72.992 Mal geliked, 1.451 Mal kommentiert und 3.437 Mal geteilt (Stand: 20. Januar).
Auch Männer müssen mit anpacken
Es bewegt sich also etwas. Klar ist aber auch: Alleine schaffen wir das nicht. Wir müssen auch die Männer in die Pflicht nehmen. Solange Kinder einreines Frauenthema bleiben, wird sich nichts ändern. Nur wenn wir die Väter bei der Sichtbarmachung von Erziehungsarbeit mit an Bord holen, können wir gesellschaftliche Muster aufbrechen.
Katrin Heß hatte übrigens Glück: Die Produzentin des Projekts, selbst Working Mom, sagte den patriarchalen Strukturen am Set den Kampf an und setzte sich für die junge Mutter ein. "Trotz Stillpausen hat alles prima geklappt, es gab keine Verzögerungen", sagt die Schauspielerin nicht ohne Stolz in der Stimme. Heute sitzt Katrin Heß schauspielerisch wieder fest im Sattel – und will von jetzt an zu ihrer Familie stehen: "Ich möchte mich für mehr Transparenz in unserer Branche einsetzen. Entgegen der ganzen Vorurteile von außen, klappt es für mich richtig gut, Kind und Drehtage zu verbinden."
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