Merle Michaelsen ist Frauenärztin, Mutter und Klimaaktivistin bei der Letzten Generation. Was erstmal unvereinbar klingen mag, bedingt einander letztlich: Aus Sorge um die Zukunft ihrer Kinder leistet sie zivilen Widerstand. Darüber, was es für sie heißt, ihren Weg zu gehen, und was ihr dabei Kraft gibt.
Im Fenster des Zoom-Meetings erscheint eine Frau mit Brille und Kurzhaarschnitt. Wir kennen einander noch nicht. Merle hat sich Zeit genommen, um mit mir über ihren Aktivismus und die Aktionen der Letzten Generation zu sprechen. Sie findet klare Worte für das, was sie tut. Und ich möchte herausfinden, warum sie so viele Strapazen auf sich nimmt, um eine Gesellschaft zum Umdenken zu bewegen. Immerhin steht sie mitten im Leben und könnte vieles einfacher haben. Warum erscheinen ihr gerade die Aktionen der Letzten Generation als das Richtige? Was motiviert sie?
Merle, was das hat dich zum Klima-Aktivismus gebracht?
Merle Michaelsen: Eigentlich schaute ich mich gerade nach einem Ehrenamt um, als mir klar wurde, dass alles, wofür ich mich engagieren könnte, mit dem Fortschreiten der Klimakrise zunichte gemacht würde. Zunächst wollte ich dann einen recht konventionellen Weg einschlagen. Ich habe versucht, in der Kommunalpolitik Fuß zu fassen, musste jedoch feststellen, dass diesen Weg schon unzählige Menschen vor mir beschritten haben. Und das hat ja leider nicht zur Ergreifung der notwendigen Maßnahmen geführt. Diese Erkenntnis hat mich den Schritt in den zivilen Widerstand gehen lassen. Mit dem Zeitdruck im Nacken habe ich mich zunächst Extinction Rebellion und später der Letzten Generation angeschlossen.
Du bist Ärztin, Ehefrau, Mutter…
Genau, ich bin Frauenärztin in einem Krankenhaus und arbeite im Schichtdienst. Das ist mal hinderlich und mal förderlich, um aktivistisch tätig zu sein. Glücklicherweise sind unsere Kinder in guter Betreuung. Und mein Mann ist auch bei der Letzten Generation. Wir machen das zusammen und ich stelle es mir auch sehr schwierig vor, so etwas gegen Widerstand in der eigenen Kernfamilie zu machen.
Inwiefern sind diese Rollen für dich mit dem Aktivismus vereinbar?
Das werde ich oft gefragt. Aber es hängt für mich zusammen, denn ich habe einfach Angst um die Zukunft meiner Kinder. Das ist mein größter Antrieb. Ganz konkret habe ich Angst davor, dass meine Kinder von Verteilungskämpfen und Krieg betroffen sein werden. Viele Menschen sind das ja heute bereits. Diese Bedrohungen werden sich mit Fortschreiten der Klimakatastrophe auch hier weiter zuspitzen. Und wenn ich dann sehe, dass eine Regierung im Weiter-so verharrt, weil es unbequem ist, oder weil es vielleicht auch schwierig sein mag, dann möchte ich gerne in einer Bewegung der Bundesregierung den nötigen Antrieb geben, um mutige Entscheidungen zu treffen. Ich möchte sagen: Ja, wir können das als Gesellschaft mittragen.
„Ich habe Angst um die Zukunft meiner Kinder. Das ist mein größter Antrieb.“
Also glaubst du eigentlich daran, dass wir als Gesellschaft etwas bewegen können?
Das haben wir ja während der Pandemie bewiesen. Natürlich ist da vieles schiefgelaufen. Aber dennoch haben wir da gezeigt, dass wir etwas bewirken können. Ich glaube eigentlich an eine sehr starke Gesellschaft. Wenn Wissen gut kommuniziert wird, sind wir zu vielem in der Lage. Es muss nicht alles daran schrecklich sein, ein Problem zu bewältigen. Nicht jede Lösung ist nur Verzicht. Aber es muss eine große Veränderung geben. Diesbezüglich würde ich mir ein mutiges Vorangehen einer Bundesregierung wünschen und es auch erwarten.
Das heißt, ihr fordert, dass die Regierung sich nicht an ihren selbstgesetzten Klimaziele hält?
Für uns wäre zunächst einmal wichtig, dass die Bundesregierung ein Signal sendet, dass sie die Bedrohung unserer Gesellschaft durch die Klimakrise ernst nimmt. Wenn das ein Feigenblatt bleibt, werden wir auch mit unseren Protesten nicht aufhören. Erste Schritte wären ganz einfach: Ein Tempolimit könnte man von heute auf morgen kostenlos umsetzen. Uns ist klar, dass das nur ein Anfang sein kann.
Warum stört ihr nicht die Verantwortlichen? Warum stellt ihr euch Bürger:innen in ihrem Alltag in den Weg?
Wir machen das, weil es gerade das ist, was funktioniert und uns genügend mediale Aufmerksamkeit bringt. Es hat unheimlich tolle Aktionen gegeben, wie beispielsweise das Abdrehen der Ölpipelines im ersten Halbjahr 2022. Aber erst jetzt im Rahmen der Hausdurchsuchungen wurde darüber berichtet. Es ist vorher gar nicht an die Öffentlichkeit gedrungen. Und natürlich waren wir schon vor dem Bundeskanzleramt. Auch Greenpeace und die Deutsche Umwelthilfe waren dort und trotzdem haben wir weiterhin hohe Co2-Emissionen und krass verfehlte Klimaziele. In meinem Demokratieverständnis hätten Fridays for Future und spätestens das Urteil des Bundesverfassungsgerichtes ja eigentlich zu einer verfassungskonformen Politik führen sollen. Ich wünschte, das hätte bereits genützt.
Also liegt gerade in der Protestform des Störens noch Hoffnung für dich, weil sie noch nicht gescheitert ist?
Wenn man sich Bewegungen in der Vergangenheit anschaut, sehen wir, dass friedlicher ziviler Widerstand wirkt. Und wir schaffen es gerade durch diese Protestform, den Alltag relativ vieler Menschen zu unterbrechen. Und zwar nicht nur den Alltag derer, die direkt von den Blockaden betroffen sind. Es geht auch um den Alltag von Richter:innen, Polizist:innen, Journalist:innen und Politiker:innen … In diesem Sinne erreichen wir gerade, was wir wollen. Dass das für uns zu negativen Konsequenzen führt, wissen wir. Wir nehmen das in Kauf.
„Wenn man sich Bewegungen in der Vergangenheit anschaut, sehen wir, dass friedlicher ziviler Widerstand wirkt.“
Hat dein Aktivismus für dich persönlich auch zu negativen Konsequenzen geführt?
Ich war einmal in Berlin in Polizeigewahrsam. Mir war relativ klar, dass das passieren könnte. Es war keine besonders schöne Erfahrung. Und ich würde sogar sagen, dass jede einzelne Blockade in Teilen unangenehm ist. Ich bin eigentlich eine eher angepasste Person und mache das nicht, weil es mir Spaß macht. Es ist jedes Mal ein schwerer Schritt, auf die Straße zu gehen und diese Unterbrechung des Weiter-so einzufordern. Ich bin darauf gefasst, dass Menschen wütend werden, wenn wir uns ihnen in den Weg stellen. Ich verstehe das völlig. Auch ich habe Alltagssituationen, in denen ich rasend werden würde, wenn mich eine Person aufhielte. Doch wir brauchen den Moment des Unterbrechens, um zu erkennen, wie dramatisch die Lage ist.
Gibt es etwas, was du noch loswerden möchtest, wonach ich nicht gefragt habe?
Ich möchte dazu ermutigen, den eigenen Weg zu finden. Informiert euch. Werdet mutig. Nehmt eure Verantwortung wahr, als Mensch in unserer Gesellschaft. Es gibt unzählige Wege, aber wir brauchen jetzt Menschen, die sie gehen.
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