Verschwörungstheorien scheinen momentan die Medien zu dominieren. Wie gefährlich ist der Glaube an Verschwörungen? Und wie gehe ich mit "Verschwörungstheoretikern" um?
Diskussionen mit Menschen, die an Verschwörungen glauben können skurril und witzig, aber auch besorgniserregend sein. Die Psychologin und Autorin von "Fake Facts" Pia Lamberty forscht seit sechs Jahren zu sogenannten Verschwörungserzählungen. Den Begriff „Verschwörungstheorien“ vermeidet sie bewusst, da es sich dabei nicht um wissenschaftliche Theorien, sondern eben um nicht nachweisbare Erzählungen handelt. Mit der Digitalexpertin Katharina Nocun hat sie das Buch „Fake Facts“ geschrieben, das die Entstehung von Verschwörungsglauben erklärt. Das Buch erschien am 15. Mai. Das Interesse an dem Thema ist so groß, dass das Buch bereits vor Veröffentlichung in die 2. Auflage genommen wurde.
Hätten Sie damit gerechnet, dass das Thema so viel Aufmerksamkeit erlangen wird?
Wir haben uns vor zwei Jahren dazu entschieden über dieses Thema ein Buch zu schreiben. Ich arbeite zu dem Thema auch schon seit einigen Jahren, weil ich es sehr wichtig finde. Aber ich hatte natürlich nicht damit gerechnet, dass das jetzt so sehr im Fokus steht. Eine globale Pandemie hatten wir nicht eingeplant!
Wie sind Sie zu dem Thema gekommen?
Ich habe mich viel mit Abwertungen und Diskriminierungen auseinander gesetzt. Der Glaube an Verschwörungen ist etwas, das überall in der Gesellschaft vorkommt und auch das Potenzial hat, verschiedene Gruppen miteinander zu verbinden. Das war auch vor sechs Jahren schon so: Es gab im esoterischen Bereich Verschwörungen und in der extremen Rechten, das waren wie Bindemittel. Und ich wollte aus einer psychologischen Perspektive verstehen, was da passiert.
Was war die Idee hinter diesem Buch?
Meine Co-Autorin Katharina Nocun und ich haben über dieses Thema diskutiert und festgestellt, dass sich unsere beiden Perspektiven gut ergänzen. Ich als Psychologin, sie als Digitalexpertin. Wir wollten ein Buch schreiben, das multiperspektivisch ist und versucht, die wissenschaftliche Forschung in dem Bereich näher zu bringen und Menschen zu erklären, was der Glaube an Verschwörungen eigentlich ist. Und auch mit ein paar Mythen und Stereotypen aufzuräumen.
Wie wird momentan mit diesen Verschwörungsmythen umgegangen?
Es gibt ein großes mediales Interesse. Das ist einerseits gut, weil viel darüber gesprochen wird. Auf der anderen Seite befürchte ich aber, dass wenn die Demonstrationen vorbei sind, die Auseinandersetzung damit nicht nachhaltig ist. Aber das Thema war vor Corona relevant und es wird auch nach Corona relevant sein. Ich würde mir einfach wünschen, dass man sich als Gesellschaft wirklich damit auseinander setzt, woher der Glaube an Verschwörungserzählungen kommt und was das auch mit uns als Gesellschaft macht.
Interessieren sich jetzt mehr Menschen für Verschwörungen?
Es reden auf jeden Fall mehr Menschen darüber. Aber es gibt noch nicht genug Daten zur Verbreitung des Verschwörungsglauben. Es gibt erste Studien, die zeigen, dass 17% in Deutschland sagen, Corona sei ein Schwindel und ebenfalls 17% glauben, Corona sei mit einer negativen Intention von Menschen gemacht. Zehn Prozent glauben an Beides. Das ist keine absolute Mehrheit, aber es ist trotzdem knapp ein Viertel der Bevölkerung. Davon kann man noch nicht ableiten, ob es zu einem Anstieg gekommen ist, weil es natürlich vor Corona keine Corona-Verschwörung gab. Wir müssen also schauen, ob es zu einem Anstieg von generellem Verschwörungsglauben gekommen ist oder ob Menschen, die vorher schon an Verschwörungen geglaubt haben, jetzt mehr daran glauben. Es kann aber auch zu einer Polarisierung gekommen sein. Wir sehen, dass während der Krise das Vertrauen in die Wissenschaft und in die Medien insgesamt angestiegen ist. Es sind viele Entwicklungen möglich.
Wie kommen Menschen dazu, an Verschwörungen zu glauben?
Eine der Haupterklärungen ist, dass Menschen, die einen Kontrollverlust erleben, zu Verschwörungsglauben neigen. Dieses Gefühl von Machtlosigkeit erleben wir gerade in der Corona-Krise. Man kann nicht bestimmen, was passiert. Das führt bei Menschen zu Stress und Unsicherheit. Diese Gefühle versuchen sie zu kompensieren, indem sie Muster sehen, die es nicht gibt und indem sie alles auf den Verschwörer projizieren. Dadurch haben sie das Gefühl, wieder handlungsfähig zu sein. Das Virus ist eine unsichtbare Bedrohung. Der Verschwörer ist greifbarer, gegen den kann man auf die Straße gehen.
Gibt es noch andere Erklärungen?
Ja, nicht alle Menschen, die Verschwörungen verbreiten, scheinen ja verunsichert zu sein. Das Bedürfnis nach Einzigartigkeit spielt auch eine Rolle. Menschen, die ein starkes Bedürfnis haben, sich von der Masse abzuheben und sich besonders zu fühlen, glauben auch stärker an Verschwörungen. Es wird dann wie eine Art „Geheimwissen“ empfunden und dass man alles durchblickt hat. Dann hat man das Gefühl, man hat die Wahrheit gefunden, während alle anderen naiv sind oder gleich Teil der Verschwörung.
Wie passiert es, dass sich Menschen darin regelrecht verlieren?
Dieser Radikalisierungsprozess ist noch nicht gut erforscht. Wir wissen wie gesagt, dass Gefühle von Machtlosigkeit Verschwörungsglauben befeuern. Menschen fühlen sich aber auch machtloser, wenn sie sich mit Verschwörungserzählungen auseinander setzen. Man könnte also eine Abwärtsspirale annehmen: Jemand fühlt sich machtlos, sucht sich als eine Art „Heilsversprechen“ Verschwörungserzählungen, die Konfrontation damit löst ein Gefühl von Machtlosigkeit aus und die wird dann wieder mit Verschwörungserzählungen kompensiert. Einzelfallstudien zeigen auch, dass Menschen, die einschneidende, persönliche Erlebnisse erfahren haben, an Verschwörungen glauben. Das nutzen sie als Coping-Strategie. Sie vermuten, dass es einzelne Personen gibt, die hinter ihren Problemen stecken.
Wie gehe ich mit Menschen um, die an Verschwörungen glauben?
Bei einer unbekannten Person im Internet ist man wahrscheinlich nicht in der Lage, die Person umzustimmen. Meinungen und Weltbilder sind relativ stabil. Man selber schmeißt ja seine Meinung auch nicht einfach um, weil jemand einen Link schickt. Dementsprechend hat man da online wenig Einflussmöglichkeiten. Dennoch kann es Sinn machen auf die Aussagen einzugehen, damit andere Personen diese Aussagen besser einordnen können.
Und wie gehe ich mit Menschen im persönlichen Umfeld um?
Da würde ich vorschlagen, dass man durchatmet, ruhig bleibt und sich überlegt, welche Funktion der Verschwörungsglaube für die Person haben kann. Und dann auf diese Ebene eingeht. Je früher man interveniert, desto besser. Auch wenn das gerade in der Familie unangenehm sein kann. Es gibt auch Beratungsstellen, die einem dabei helfen können.
Wie wirkt es sich auf den Verschwörungsglauben aus, wenn ich dem widerspreche?
Dazu gibt es noch keine konkreten Studien. In der Psychologie kennt man aber die sogenannte Reaktanz, bei der Menschen an ihren Meinungen eher festhalten, wenn sie kritisiert werden. Menschen, die an Verschwörungserzählungen glauben, machen sich gegen Kritik immun, indem sie Kritiker als naiv oder Teil der Verschwörung wahrnehmen. Das macht eine kritische Auseinandersetzung extrem schwierig. Außerdem glauben Menschen mit einem starken Bedürfnis nach Einzigartigkeit besonders an Dinge, die von einer Minderheit geglaubt werden. Das befeuert das Einzigartigkeitsgefühl noch. Die vermeintliche Position des Unterdrückten kann da ein positives Gefühl geben: Man ist der Kämpfer im Untergrund, der sich gegen die da oben wendet. Diese Narrative sieht man auch gerade bei verschiedenen Prominenten.
Welche Rolle spielt bei der Tendenz an Verschwörungen zu glauben die mediale Kompetenz?
Da bin ich zweigeteilt. Menschen, die einen starken Verschwörungsglauben haben, sehen in allem was mächtig ist den Feind. Da geht es darum, wie die Welt gesehen wird und nicht um Kompetenzen. Trotzdem finde ich eine kritische Medienbildung unerlässlich. Auch außerhalb der Schule sollten Menschen lernen, was valide Informationen und verlässliche Quellen sind. Und auch wie ich differenzieren kann. „Das habe ich im Internet gelesen“, ist ja keine Quellenangabe.
Ist Verschwörungsglauben in neuen und alten Bundesländern unterschiedlich verbreitet?
Es gab lange große Ost- und West-Unterschiede, die sich in den letzten zwei, drei Jahren angeglichen haben. Im ehemaligen Osten ist der Verschwörungsglaube zurück gegangen. Verschwörungsglauben hat natürlich auch etwas mit den Interaktionen der realen Welt zu tun. Teilweise glauben Mitglieder von Minoritäten entweder stärker an Verschwörungen oder haben ihre eigene Verschwörungsnarrative. In den USA gibt es beispielsweise unter der schwarzen Bevölkerung die Narrative, dass es sich bei HIV um einen Genozid Versuch gegenüber Schwarzen handeln würde. Das hat natürlich auch etwas mit realweltlichen Erfahrungen zu tun. Unterdrückungs- Rassismus- und Imperialismuserfahrungen machen etwas mit den Menschen.
Verschwörungsglauben scheint so weit verbreitet zu sein. Müssen wir einfach akzeptieren, dass der Mensch immer diese Tendenz dazu haben wird?
Einerseits ja. Seitdem Menschen in Gemeinschaften zusammen leben, gibt es auch Verschwörungen. Das ist kein neues Phänomen. Andererseits, sollten wir uns als Gesellschaft damit auseinander setzen, weil Verschwörungsglauben nicht ungefährlich sind. Im Mittelalter wurden Juden bezichtigt, die Brunnen vergiftet zu haben. Das hat in zahlreichen Pogromen geendet. Die Terroranschläge der vergangenen Jahren aus dem rechtsextremen Milieu wurden über Verschwörungserzählungen legitimiert. Man sieht empirisch, dass der abstrakte Glaube an Verschwörungen mit einer stärkeren Gewalt einhergeht, dass sich Menschen stärker aus dem demokratischen System zurück ziehen, weniger wählen gehen und stattdessen eher bereit sind, gewalttätige Alternativen zu wählen, um ihre politischen Ziele durchzusetzen. Menschen, die glauben, Corona sei eine Krankheit, die durch 5G-Masten ausgelöst wurde, sind in verschiedenen Ländern losgezogen und haben versucht, diese Masten zu zerstören oder lahm zu legen.
Gibt es Zusammenhänge zwischen Religiosität und Verschwörungsglauben?
Dazu gibt es nicht viele Artikel und die Ergebnisse sind gemischt. Es gibt natürlich gewisse Überschneidungen. Auf der einen Seite projiziert man alles auf eine mächtige Figur, die hinter allem steckt. Aber Religion ist auch an Rituale und Traditionen gebunden, das ist Verschwörungsglauben nicht. Ich vermute, dass Religion und Verschwörungsglauben voneinander unabhängig sind. In Gesellschaften in denen Religion keine große Rolle spielt, wie in Deutschland oder Frankreich sind Verschwörungserzählungen genauso stark verbreitet wie zum Beispiel in der Türkei, wo Religion eine größere Rolle spielt.
Gibt es den oder die typische*n Verschwörungsgläubige*n?
Eigentlich nein. In einer repräsentativen Umfrage von 2019 hat das Alter keine Rolle gespielt. Der Schulabschluss hat eine Rolle gespielt, aber das hat nicht unbedingt etwas mit Intelligenz zu tun. Sondern eher mit der sozialen Position von Menschen mit niedriger Schulbildung. Diese fühlen sich von der Gesellschaft eher ausgeschlossen und weniger relevant. Es wurden Geschlechtsunterschiede gefunden: 45 Prozent der Männer glaubten an Verschwörungserzählungen und 34 Prozent der Frauen.
Gibt es Erklärungen, für den Geschlechtsunterschied?
Leider nein. Es gibt zwar diesen Geschlechtsunterschied, aber der sagt erstmal nicht so viel aus. Männer neigen tendenziell eher zu rigiden politischen Vorstellungen, wählen eher populistische Parteien und sind stärker vorurteilsbehaftet. Vielleicht spielt da eine männliche Sozialisation und Männlichkeitsbilder mit hinein: Sich durchkämpfen, stärker sein müssen. Oder auch eine Art Mansplaining, es scheinbar besser wissen zu müssen, als andere.
Gibt es Zusammenhänge zu psychischen Störungen?
Nein, es ist keine psychische Störung. Es gibt psychische Störungen, in dem Verschwörungsglaube eine Rolle spielen kann. Oft wird von Paranoia gesprochen, wenn eigentlich Verschwörungsglauben gemeint ist. Es ist aber trotzdem etwas anderes. Jemand, der paranoid ist, glaubt, dass er oder sie persönlich von allen anderen verfolgt wird. Jemand, der an Verschwörungen glaubt, glaubt, dass die da oben die Gesellschaft zerstören wollen. Das eine bezieht sich auf die Person, das andere auf die Gesellschaft. Der persönliche Kontrollverlust hängt viel stärker mit paranoiden Gedanken zusammen, während politischer, gesellschaftlicher Kontrollverlust viel stärker mit Verschwörungsglauben zusammenhängt.
Wie wird momentan in der Öffentlichkeit über Verschwörungsgläubige gesprochen?
Mein Gefühl ist, dass zumindest von Experten differenziert wird, wenn zum Beispiel über diese Demonstrationen gesprochen wird. Es tauchen dann aber doch Begriffe auf, die ich falsch finde und selber nicht verwende. Es wird von Idioten gesprochen oder dass die alle irre seien. Das ist inhaltlich nicht richtig, weder sind diese Menschen dümmer, noch verrückt. Sie sind Teil der Gesellschaft. Und diese Sichtweise entpolitisiert das Thema und stigmatisiert im schlimmsten Fall auch noch Menschen, die psychische Erkrankungen haben.
Was erhoffen Sie sich von Ihrem Buch?
Wir hoffen, dass das Buch eine gesellschaftliche Debatte los tritt. Wir wünschen uns, dass nachhaltig über dieses Thema diskutiert wird und geschaut wird, wie man damit umgehen kann. Es wäre schön, wenn es mehr Projekte gäbe, die das Thema adressieren. Und dass das Thema ernst genommen wird.