Mit seinem Bestseller „Wir sind das Klima" trifft Jonathan Safran Foer den Nerv unserer Zeit. Wieso reagieren wir nicht? Und was kann jede*r Einzelne für's Klima tun?
Jonathan Safran Foer im Interview: „Weltretten fängt beim Frühstück an"
Als ihn sein Romandebüt „Alles ist erleuchtet“ von jetzt auf gleich auf die Bühne der Weltliteratur gebeamt hat, war der New Yorker Schriftsteller Jonathan Safran Foer erst 25. Mit 32 erschien sein erstes Sachbuch „Tiere essen“, das zeigte, er denkt nicht nur in Romanen über die Welt nach, sondern auch im Alltag. Inzwischen ist er 43 und sein Buch „Wir sind das Klima“ trifft den Nerv unserer Zeit.
Irgendwie ging es ihm nicht in den Kopf, dass wir wissen, was los ist, und nicht wirklich reagieren. Dabei nimmt er sich selbst gar nicht aus, wenn er fragt: Was kann jeder von uns im Alltag tun? Trotz unserer Bequemlichkeit, unserer Unlust? Wir haben uns in Köln getroffen, als wir noch nicht ahnten, dass Corona zu einer Pandemie würde. Doch auch wenn Corona vieles stillgelegt hat, kann so eine Auszeit den Klimawandel nicht stoppen. Aber sie gibt Zeit zum Nachdenken.
Bärbel Schäfer: Herr Foer, haben Sie den Klimawandel schon mal selbst unmittelbar gespürt?
Jonathan Safran Foer: Ja, im letzten Sommer in Paris. Es war unnatürlich heiß. Die höchsten Temperaturen, die je aufgezeichnet wurden, und irgendwie hat es kaum jemanden gestört. Ich glaube, jeder hat gespürt, dass das mit dem Klimawandel zu tun hatte; aber als es am nächsten Tag etwas kühler war, haben alle einfach achselzuckend weitergemacht.
China hat einen Plan für weniger Müll. Ab Ende dieses Jahres soll es keine Einwegplastiktüten in allen großen Metropolen und Supermärkten mehr geben, im Rest des Landes gilt das Verbot ab 2022. Eine gute Idee?
Ja, sie wollen auch die CO2-Emissionen weiter verringern, indem sie den Fleischkonsum der Bevölkerung in den nächsten zehn Jahren um 50 Prozent senken.
Die Greenpeace-Chefin Jennifer Morgan sagt, Regierungen und Unternehmen sollten endlich die Verantwortung für eine bessere Zukunft übernehmen. Halten Sie das für realistisch?
Schöne Idee, aber ich denke, das wird zeitnah nicht passieren. Wir haben ja Gesetze gegen die Luft und Wasserverschmutzung. Aber damit sie auch eingehalten werden, müssen wir viel mehr Druck machen. Würde die Fleischindustrie verantwortlich handeln, um mehr CO2 einzusparen, läge der Preis pro Hamburger bei neun Euro statt bei einem. Wir würden sofort seltener Burger essen. So eine Verschiebung in der Preispolitik würde uns Bürgern helfen, die richtige Entscheidung zu treffen.
Ist die Klimakatastrophe unsere Chance, als Menschheit endlich erwachsen zu werden?
Es wird sich zeigen, ob wir bereit sind, dem Konsum und den Verlockungen zu widerstehen, ob wir uns begrenzen können bei Produkten, die uns nur für einen winzigen Moment ein gutes Gefühl geben.
Diese globale Krise ist die erste Chance, zu sehen, wer wir wirklich sind.
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Wann war Ihr Moment zu sagen: Auch ich muss etwas ändern?
Es war ein Prozess. Ich mache ja auch nicht alles, was ich tun könnte. Ich mache jedenfalls nicht genug.
Werden Sie nach Ihren Bestsellern über den Fleischverzicht und das Klima nicht an Ihren Taten gemessen?
Das ist mir egal. Ich bewerte auch niemand anderes. Ich bewerte nur mein eigenes Handeln und muss vor mir geradestehen. Wir machen alle Fehler und sind Klimasünder.
Können wir denn alle Klimaheld*innen im eigenen Alltag werden?
Held ist ein sehr aufgeladenes Wort. Erfüllst du deine eigene Helden-Messlatte nicht, kommt schnell schlechte Laune auf. Jeder Beitrag zeigt Wirkung: Wenn Sie nur noch fleischlos essen, beeinflusst das die Menschen in Ihrem Umfeld. So verändern sich soziale Normen. Ich zweifle auch gar nicht daran, dass die Menschheit tun wird, was notwendig ist, um den Klimawandel einzudämmen. Ich bin mir nur nicht sicher, ob wir es rechtzeitig schaffen. Nachhaltigkeit, Achtsamkeit für die Natur, das ist doch das, worauf es jetzt ankommt.
Der Zustand unseres Planeten droht zu kippen. Warum reagieren wir nicht schneller?
Weil wir so sind. Wir haben alle unsere Gewohnheiten. Ich schlucke Vitamine, treibe Sport und gehe zum Check-up beim Zahnarzt, auch wenn es nicht immer angenehm ist. Und mit der Gleichgültigkeit ist es ähnlich, wenn wir sie erst einmal angenommen haben.
Welchen Plan für unsere Gewohnheiten brauchen wir?
Ich werde 2020 nicht in ein Flugzeug steigen, um damit in die Ferien zu fliegen. Ich werde nicht öfter als dreimal die Woche ein Taxi in New York nehmen. Ich esse keine tierischen Produkte mehr bis zum Abend, und ich engagiere mich einmal pro Woche ehrenamtlich. Das ist mein Plan. Was ist Ihrer? Vielleicht sollten wir alle nicht dauernd einen Plan von unserer Regierung erwarten, sondern bei uns selbst anfangen.
Vielleicht sollten wir alle nicht dauernd einen Plan von unserer Regierung erwarten, sondern bei uns selbst anfangen.
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Und wer anfängt, macht auch weiter?
Ja, davon bin ich überzeugt. Wer nicht anfängt was zu tun, bleibt jedenfalls stehen.
Greta Thunberg hat angefangen. Das Entsetzen darüber, wie langsam politische Maßnahmen in Sachen Umweltschutz umgesetzt werden, bringt die Fridays-for-Future-Bewegung seit Monaten auf die Straße. Was muss diese Bewegung als Nächstes tun?
Sie werden eine größere, globale Bewegung werden müssen. Der Druck, den sie auf Regierungen ausüben, muss steigen. Und es muss ein ökonomischer Druck entstehen. In den USA entziehen Leute Banken ihr Geld, wenn die Bank fossile Energie oder Massentierhaltung unterstützt. Dass wir zusammen die Welt verändern, ist nicht unrealistisch. Greta Thunberg ist sicherlich gerade die wichtigste Person auf unserem Planeten, und sie hat einen wahnsinnig guten Job gemacht, sie hat ihre Stimme erhoben. Aber wöchentlich auf die Straße zu gehen, ist vielleicht viel weniger effektiv, als wir denken. Und die jungen Leute haben vielleicht viel mehr Macht, als sie denken.
Dass wir zusammen die Welt verändern, ist nicht unrealistisch.
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Reicht die Geschichte der Schülerin aus Schweden mit dem Pappplakat nicht mehr aus, um uns zu empowern?
Eine Geschichte, auch wenn sie noch so faszinierend ist, wird für die vielen Aspekte des globalen Klimaproblems nicht reichen. Beim Klima brauchen wir ganz verschiedene Ansätze, um Menschen abzuholen. Einige triggern wir über Wissenschaft, andere über die Zukunft ihrer Kinder, andere über einen historischen Blickwinkel. Greta Thunberg verkörpert diese Bewegung, sie ist ihr Gesicht, aber handeln muss jeder von uns.
Schüler*innen dürfen nicht wählen, was schlagen Sie vor, um ihre Power zu wecken?
Schüler*innen sollten lieber Fleisch boykottieren als die Schule. Schule ist nicht der Feind. Schule produziert kein CO2. Lehrer*innen sind nicht die Vorstandsvorsitzenden von weltweit agierenden Ölkonzernen. Umweltschutz wurde in den letzten Jahren immer über das Gefühl diskutiert, jetzt müssen wir die Gefühle umwandeln in echtes Handeln. Das Geld, das junge Menschen für die Produkte ihrer Wahl ausgeben, hat einen enormen Einfluss auf die Industrie. Da kann etwas in Bewegung kommen, hoffentlich zum Wohl der Umwelt.
Schüler*innen sollten lieber Fleisch boykottieren als die Schule.
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Sie sagen, wir könnten schon beim Frühstück anfangen, unsere Welt zu verändern – wie geht das?
Neben Fliegen, Autofahren und der Anzahl unserer Kinder ist die Tierhaltung einer der größten Verursacher von CO2-Emissionen. Wir können schon morgens anfangen, anders zu essen.
Worin unterscheidet sich denn das Essen von den anderen Aspekten?
Beim Essen treffen wir jeden Tag freiwillig unsere eigene Entscheidung. Die Massentierhaltung wird nur verändert werden, wenn wir neue Entscheidungen bei der Auswahl von Lebensmitteln treffen. Fleisch schmeckt und riecht gut, es gehört zu unseren nationalen Feiertagen, Religionen oder Familienrezepten, das verstehe ich alles, aber ...
Die Welt kann sich schwer ab morgen vegan ernähren, oder?
Wohl kaum, aber wir müssen unseren Fleischkonsum trotzdem um 90 Prozent reduzieren und den von Milchprodukten um 60 Prozent, wenn wir unseren Planeten retten wollen. Bei den Golden Globes oder der Oscar-Verleihung ist das Catering mittlerweile vegetarisch, Kantinen bieten jetzt vegetarisches Essen an, es verändert sich etwas.
Und wie frühstücken Sie nun?
Zum Frühstück und zum Mittagessen gibt es keine Milchprodukte mehr für mich. Andere machen was anderes. Wichtig ist nur, dass wir uns langsam in diese Richtung bewegen.
Jonathan Safran Foer schafft es erneut, uns ein komplexes Thema wie die Klimakrise so nahe zu bringen wie niemand sonst. Und das Beste: Einen Lösungsansatz liefert er gleich mit.
Welche Geschichte müssen Sie uns als Autor erzählen, damit uns das Thema Klimawandel zum Handeln bewegt?
Ich werde wütend, wenn ich Donald Trump reden höre, und bei Greta Thunberg bekomme ich Tränen in den Augen. Es gibt Familiengeschichten, religiös motivierte Geschichten, nationale und internationale Geschichten – sie alle prägen unser Gefühl dafür, was eigentlich normal ist. Denken Sie ans Rauchen: Rauchen in der Wohnung, oder gar die Kids im Auto zuzuqualmen, ist heute nicht mehr normal.
Wie ist das mit den Bildern von schmelzenden Eisbergen, Dürre, einem brennenden Australien, sind die nicht heute fast normal?
Die Frage ist, bewegen diese Bilder etwas in mir oder klappe ich den Laptop einfach zu? Veränderungen können wir langfristig nur erreichen, wenn wir unsere Gewohnheiten ändern. Es kann nicht sein, das wir jedes Mal erst emotional zusammenbrechen müssen, bevor wir etwas tun. Ich gehe ja auch in keinen Laden und klaue die Dinge, die mir gefallen. Warum nicht? Ich bin einfach nicht der Typ, der das tut. Und wir müssen Menschen werden, die bestimmte Dinge einfach nicht mehr tun.
Es kann nicht sein, das wir jedes Mal erst emotional zusammenbrechen müssen, bevor wir etwas tun.
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Sind wir so abgestumpft von den Katastrophen, dass wir nicht handeln?
Vielleicht kennen Sie das auch: Schlimme Wetterereignisse fühlen sich oft vage und sonderbar abstrakt an. Manchmal weiß ich auch gar nicht, wo ich zuerst hingucken soll. Eine Katastrophe wird ersetzt durch die nächste – ja, vielleicht sind es einfach zu viele Bilder.
Heute kann keiner mehr sagen, wir haben es nicht gewusst, welche Schäden wir anrichten.
Stimmt, auch nicht die rechten Parteien, die jetzt dauernd versuchen den Klimawandel und die FfF-Bewegung zu leugnen oder lächerlich zu machen, sie stellen sich nur extra dumm.
Uns läuft die Zeit beim Klimawandel davon, wann werden Sie ungeduldig?
Ich werde eher panisch, wenn mir klar wird, was wir alles noch klären müssen und wie wenig Zeit uns noch bleibt. Wütend bin ich sowieso schon die ganze Zeit. Aber vielleicht unterschätzen wir auch, was wir gemeinsam in den nächsten zehn Jahren schaffen können. Wenn ich Sie frage: Können Sie ganz auf Flüge und Fleisch verzichten, antworten Sie sehr wahrscheinlich mit Nein. Frage ich Sie und die Leserinnen aber: Können Sie auf sechs Prozent Ihrer Flüge und Ihres Fleischkonsums in den nächsten zwölf Monaten verzichten? Dann antworten vermutlich die meisten schon mit Ja. Und im nächsten Jahr dann eben noch mal sechs Prozent.
Das Prinzip der kleinen Schritte?
Ja. Unsere Wut und der Ärger über den Zustand der Welt entfernen uns oft vom Handeln im Alltag. Wir müssen aufpassen, nicht in der Emotion stecken zu bleiben. Zorn allein ist noch keine politische Aktion.
Wut entfernt uns oft vom Handeln. Zorn allein ist noch keine politische Aktion.
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Sollten wir es vergeigen, was werden in Zukunft die Aliens über uns sagen?
Vielleicht bewerten sie unser maßloses Verhalten nicht. Vielleicht loben sie uns für unsere Bereitschaft, uns heute zu verändern, auch wenn es zu spät war. Wenn wir nicht bereit sind, uns auf die Veränderungen einzustellen, werden sie sagen: Das war eine Spezies, die nicht in der Lage war, ihr Konsumverhalten zu kontrollieren. Die Spezies Mensch brauchte stets die Sofortbefriedigung ihrer Bedürfnisse, und daran ist sie zugrunde gegangen.
Die Erde ist so wunderschön, ist das nicht Grund genug sie zu schützen?
Vielleicht haben wir vergessen zu fragen, warum wir all diese schönen Dinge schon so lange auf unserer Erde genießen dürfen. Wir haben doch diese faszinierende Welt, ich sehe die Schönheit unseres Planeten jeden Tag. Wie kann es da so schwer sein, über Fleischkonsum, Plastiktüten, Flugreisen, Nachhaltigkeit von Kleidung nachzudenken? Aber das ist für viele leider schon zu an strengend. Wenn man alles hat, ist es schwer, die schönen Dinge überhaupt noch bewusst wahrzunehmen.
Danke für das Gespräch, Herr Foer.
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