Tennis-Star Angelique Kerber ist eigentlich immer in Bewegung. Wie die Corona-Krise sie ausbremste und ihre Strategie zur Krisenbewältigung verrät sie im EMOTION-Interview.
Tennis-Star Angelique Kerber im Interview
Schon als Kind war Angelique Kerber immer in Bewegung. Dass sie gerade nicht Tennis spielen oder durch die Welt jetten kann, ist für die Sportlerin „wie eine Vollbremsung im vollen Lauf“. Eins hilft ihr aber: Sie weiß, wie man nach Krisen wieder aufsteht.
Erst machte uns Orkantief Sabine einen Strich durch die Interview-Rechnung, da der Sturm sämtliche Verkehrsmittel lahmlegte. Dann konnten wir uns wegen der Corona-Pandemie nicht persönlich treffen. Also verabredete ich mich mit Angie Kerber, 32, für einen telefonischen Plausch von Sofa zu Sofa. Die ehemalige Weltranglistenerste im Tennis applaudierte mir höflich für die polnische Begrüßung, die ich extra für sie auswendig gelernt und offenbar einigermaßen verständlich herausgebracht hatte. Und sprach dann mit mir über ihre polnische Oma und die neuen Herausforderungen in ihrem Leben.
Emotion: Kannst du so richtig faul sein?
Angelique Kerber: Offen gestanden, nicht wirklich. Irgendetwas mache ich immer. Ich bin nicht der Typ dafür, nur auf dem Sofa zu liegen und an die Decke zu starren.
Wie ist es für dich als Sportlerin, dass nun alle Turniere abgesagt wurden und man nicht gemeinsam trainieren kann?
Das ist wie eine Vollbremsung im vollen Lauf. Die ganze Zeit zu Hause sein, und nicht rauszukönnen – da heißt es, die Zeit individuell zu nutzen. Ich habe mir in meiner Wohnung in einem Zimmer eine Matte ausgebreitet, damit ich meine Übungen machen kann. Zwar allein – aber irgendwie doch gemeinsam mit anderen: Denn gerade habe ich mit Generali ein Fitnessprogramm neu aufgelegt, das man wunderbar in den derzeitigen Alltag integrieren kann. Bewegung ist nicht nur gut für den Körper, sondern auch für das allgemeine Wohlbefinden. Aktivität macht den Kopf frei, man kommt auf andere Gedanken.
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Inwiefern kannst du diese unfreiwillige Auszeit auch genießen?
Ich habe angefangen zu kochen. Es kann nicht schaden, wenn ich das mal lerne. Und ich muss sagen: Es macht wirklich Spaß! Etwas Selbstgekochtes hat in der eigenen Wahrnehmung natürlich eine ganz andere Wertigkeit als etwas Bestelltes. Ansonsten schaue ich mir Filme an und Serien über Serien, die ich immer schon mal sehen wollte. Ach ja, ich habe auch eine Sache durchgezogen, die schon lange auf meiner To-do-Liste stand: Kleiderschrank aufräumen!
Wie motivierst du dich in schwierigen Zeiten?
Bei mir ist es essenziell, dass ich ein großes Ziel vor Augen habe, auf das ich Woche für Woche, Tag für Tag, Stunde für Stunde hinarbeiten kann. Schon als Kind wollte ich viel lieber direkt um Punkte, um einen Lolli oder ein Eis spielen als einfach nur hin und her. In allem, was ich mache, muss ich einen Sinn sehen. Nur wenn das so ist, kann ich im Match, im Training und bei jeder noch so quälenden Fitnesseinheit an die Grenzen gehen – und darüber hinaus. Was im Kampf um die bedeutendsten Titel im Damentennis auch absolut notwendig ist. Diese Never-give-up-Mentalität, die sich wie ein roter Faden durch meine Karriere zieht, war schon immer ein Teil von mir.
Inwiefern erfindest du dich auch sonst immer wieder neu?
Ich probiere mich generell gern aus. Stillstand ist für mich keine Option. Und auch im Sport gilt: Man muss sich immer weiterentwickeln, denn die Konkurrenz schläft nicht. Wobei ich schon sagen muss, dass ich eher ein Mensch bin, der tief greifende Veränderungen im Umfeld nicht mal so eben zwischen Tür und Angel vornimmt. Ist die Entscheidung dann aber erst einmal getroffen, ziehe ich sie konsequent durch.
Wie gehst du mit Enttäuschungen um? Zuletzt wurde dein Herzensprojekt „Bad Homburg Open“ wegen der Pandemie auf 2021 verschoben. Bei dem Turnier wolltest du mittelfristig die Rolle als Mitorganisatorin und Direktorin einnehmen – möglicherweise ein erster Schritt in eine zweite Karriere.
In den vergangenen Wochen gab es wegen der Covid-19-Pandemie wichtigere Dinge als Tennis. Da rückte der Sport komplett in den Hintergrund. Aber aufgeschoben ist ja nicht aufgehoben. Mein Ziel war und ist es, für die Elite des Damentennis ein besonderes Boutique-Turnier zu gestalten. Diese neue Aufgabe liegt mir sehr am Herzen, und ich habe viel Zeit in die Organisation investiert und all meine Erfahrungen mit eingebracht.
Mit welchen Gefühlen gehst du an neue Herausforderungen heran?
Natürlich frage ich mich am Anfang immer ein bisschen besorgt, ob alles gut gehen wird. Etwas Skepsis ist schon dabei, wenn man Neues ausprobiert. Dennoch finde ich, dass man offen sein, Chancen mit beiden Händen ergreifen sollte. Sonst bereust du es nachher, dass du es nicht gewagt hast.
Wenn man älter wird, lernt man auch, über manchen Dingen zu stehen. Ich lasse vieles nicht mehr so an mich heran.
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Wie würdest du dich beschreiben?
Ich bin auf jeden Fall jemand, der seinen Weg geht. Der weiß, was er möchte, und das zielstrebig umsetzt. Was ich definitiv glaube: dass du alleine nicht so weit kommst. Ich übe zwar eine Einzelsportart aus, und auf dem Platz stehe ich alleine. Aber ich habe ein großes Team um mich herum – und ohne das hätte ich nie das erreicht, was ich erreicht habe. Da sehe ich mich eher als Teamplayer. Andererseits übernehme ich auch gern Verantwortung und habe dann auch den Anspruch, mitzureden und zu entscheiden.
Wie tankst du Energie?
Normalerweise bin ich nonstop unterwegs. Insofern ist die Corona-Krise für mich eine riesige Umstellung. Aber wenn ich dann zu Hause bin, ist das Erste, was ich mache: Zeit mit Freunden und meiner Familie verbringen, bevor ich wieder auf die nächste Reise gehe. Wenn ich zwei, drei Wochen Pause hatte, fragen die Ersten ganz erstaunt: Wann fährst du denn mal wieder weg? Aber auch wenn ich von Turnier zu Turnier reise: Ich bin immer für meine Freunde da, egal, wo ich auf der Welt bin, egal, ob tagsüber oder nachts. Per Telefon oder FaceTime halte ich so gut Kontakt, wie ich kann, helfe bei Problemen.
Der beste Rat deiner Oma Maria?
Schau nicht zurück, sondern nur nach vorn! Das Vergangene kannst du nicht mehr ändern, du kannst es nur in Zukunft besser machen. Wenn etwas nicht klappt, soll das so sein – dann öffnen sich andere Türen. Meine Oma hat mich gelehrt, davon auszugehen: Alles, was geschieht, hat seinen Sinn. Sie und mein Opa haben mich immer unterstützt und an mich geglaubt. Ich habe meinen Großeltern viel zu verdanken.
Welche Werte hast du von deinen Eltern vermittelt bekommen?
Ich bin zur Höflichkeit erzogen worden. Immer freundlich zu sein, „Danke“ und „Bitte“ zu sagen. Was ich auch vorgelebt bekommen habe: positiv zu denken. Meine Eltern haben mich gefördert, mich weiterzuentwickeln, mich selbst kennenzulernen. Natürlich haben sie auch typische Elternsprüche gesagt wie „Pass auf dich auf!“ oder mir Ratschläge gegeben, wie ich ihrer Meinung nach etwas machen soll. Aber sie waren nicht überängstlich und haben mich auch mal auf die Nase fallen lassen. So ist es ja im Leben: Man lernt nur aus den eigenen Fehlern. Jeder muss sich selbst eine Meinung bilden.
Mit welchem Gefühl denkst du an deine Kindheit zurück?
Ich erinnere mich gerne an meine Kindheit zurück. Mit meiner vier Jahre jüngeren Schwester Jessica hatte ich eine fröhliche Zeit. Ich bin ohne Social Media aufgewachsen, habe erst mit 16 ein Handy bekommen. Wir waren viel draußen – auf dem Spielplatz oder im Garten. Ich habe immer Sport gemacht, neben Tennis auch Hockey und Schwimmen. Still sitzen war noch nie mein Ding. Zum Glück haben mich meine Eltern viele Dinge ausprobieren lassen. Beispielsweise habe ich Klavierunterricht genommen. Das würde ich irgendwann gerne weiterverfolgen.
Du bist katholisch erzogen worden. Wie hat dich das geprägt?
Natürlich ist mir der Glaube wichtig – das ist ein Teil von mir. Ich bin zur Kommunion und zur Firmung gegangen, und die christlichen Werte prägen mich bis heute. In schwierigen Momenten ist der Glaube an Gott für mich ein Anker. Wobei der Glaube für mich verschiedene Ausprägungen hat und auch darin zum Tragen kommt, an sich und seinen eigenen Weg zu glauben.
Das ist bestimmt besonders wichtig, wenn du negative Schlagzeilen über dich lesen musst.
Damit kann ich inzwischen viel besser umgehen als noch vor einigen Jahren. Wenn man älter wird, lernt man auch, über manchen Dingen zu stehen. Das hat sicher auch mit den gesammelten Erfahrungen zu tun, durch die man reifer und selbstbewusster wird. Ich lasse vieles nicht mehr so an mich heran.
Wie willst du dein Leben in Zukunft gestalten?
Ich habe dank Corona gelernt, dass man nicht so weit im Vorhinein planen sollte. Das ganze Jahr 2020 war durchgeplant und komplett durchgetaktet – und jetzt ist alles über den Haufen geworfen worden. Was aber feststeht: Ich will weiter Sachen ausprobieren, die ich jetzt vielleicht noch gar nicht im Kopf habe. Dass ich mein eigenes Zuhause habe, wo ich Wurzeln schlagen kann. Immerhin gehört zu meinem Leben schon ein Jack Russell Terrier – und der kann genau wie ich nicht still sitzen.
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