RTL-Fernsehjournalistin Antonia Rados sprach im Interview über Mut, Arbeit unter Lebensgefahr und die Situation von Frauen im Nahen Osten.
Antonia Rados - Reporterin und Nahost-Expertin
Ein kalter Abend Ende Februar in Hamburg, im Hotel Vier Jahreszeiten an der Alster kommt der Club europäischer Unternehmerinnen zusammen. Das Frauen-Netzwerk hat Antonia Rados eingeladen, einen Vortrag zum Thema "Chaos im Nahen Osten und die Folgen für Europa" zu halten. Vor Beginn der Veranstaltung bekomme ich die Möglichkeit, mit der österreichischen Fernsehjournalistin über ihren Job als TV-Reporterin, Frauen im Nahen Osten und Erfolg im Beruf zu sprechen.
EMOTION: Frau Rados, wo haben Sie Ihre letzte Reisen hingeführt?
Antonia Rados: Nach Afghanistan und in den Iran. In Afghanistan war ich, um eine Reportage über eine außergewöhnlich mutige Frau zu machen. Im Iran habe ich, neben anderem, an einer Reportage gearbeitet, diesmal über eine geschiedene Taxifahrerin. Sie verdient sich selbst ihren Lebensunterhalt und zieht ihre Tochter auf. Zwei Beispiele, die mich daran erinnern: Wenn man als Frau in der arabischen bzw. muslimischen Welt unterwegs ist, sieht man Frauenthemen auf der Straße liegen, man muss sie nur aufheben.
Wie fühlen Sie sich als Frau, wenn Sie sich in einem der Länder bewegen?
Privilegiert. Westliche Frauen sind sich oft des Vorteils nicht bewusst, den Sie haben, allein durch die Tatsache, dass sie hier geboren wurden. In Wohlstandsgesellschaften, wo natürlich immer etwas von diesem Wohlstand im weitesten Sinne für die Frauen abfällt, ob nun materiell, ob in Form von Freiheiten oder anderem. Wenn es der ganzen Gesellschaft besser geht, geht es den Frauen gut. In extrem armen Ländern wie Ägypten oder gewalttätigen, wie dem syrischen Kriegsgebiet fallen diese beinahe natürlich scheinenden Privilegien weg. Wenn es der ganzen Gesellschaft schlecht geht, geht es den Frauen besonders schlecht. Andere sehen vielleicht im Nahen Osten Exotik oder Gefahren, ich sehe zunehmende Armut. Oder genauer: ich treffe Frauen, die nicht von ihren Rechten träumen, weil sie nur Hungerträume haben.
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Wie begegnen Ihnen die Frauen, die Sie dort treffen?
Gemischt. Auf der einen Seite sehr positiv. Vor allem sehr junge Frauen sind auf der Suche nach irgendeiner Form von alternativer Lebensform, um den familiären Zwängen zu entkommen. Sie sind froh, jemanden zu sehen, der etwas ganz anderes macht, woanders her kommt, anders aussieht. Auf der anderen Seite werden Frauen wie ich, unabhängig reisend, als Bedrohung der eigenen Gesellschaft wahrgenommen. Misstrauen schlägt Ihnen entgegen. Es kommen schon Fragen wie: „Was macht denn die hier? Und wie sieht sie aus? Und wieso trägt sie kein Kopftuch? Wieso ist sie so selbstständig und wo ist der Mann?“ Das hängt natürlich mit dem Mangel an Schulbildung zusammen. In Nahost sind 50 Prozent aller Menschen Analphabeten - Frauen und Männer.
Wie nähern Sie sich Frauen an, die so skeptisch sind?
Fragen, Reden, Zuhören hilft immer. Egal in welcher brenzligen, ungewöhnlichen Situation man ist. Man muss auf die Leute zugehen, selbst auf die konservativen, verschleierten Frauen. Eine Reporterin darf keine Berührungsängste haben. Andere Kulturen machen mich daher nicht argwöhnisch, sondern neugierig. Ich bleibe ja ohnehin eine westliche Frau, ob ich will oder nicht, und sei es durch die Fragen, die ich den Frauen stelle: Wieso tragen sie den Schleier? Oder: Wurden Sie zwangsverheiratet?
In einigen Videos sind Sie mit einem Schleier zu sehen. Wie leicht fällt es Ihnen, den anzulegen?
Ich habe mit Bekleidung prinzipiell keine Probleme- weder mit dem Minirock der anderen, noch mit deren Schleier. Im Gegenteil: Es ist meistens so, dass ich in muslimischen Länder, wo es Pflicht ist, ein Kopftuch anzulegen, es ohne langes Herumgerede tue. Es ist mir klar, das gehört dazu, wenn man in die muslimische Welt fährt. Darüber hinaus fühle zumindest ich mich nicht dadurch unterdrückt. Ich weiss, andere wie Alice Schwarzer oder Marine Le Pen sehen das nicht so. Beide sind in dieser Frage wahre Kreuzritterinnen der Haarpracht. Ich las, Marine Le Pen war kürzlich im Libanon und hatte einen Termin mit einem islamischen Geistlichen entrüstet wieder abgesagt, weil sie ein Kopftuch umlegen musste- meiner Auffassung nach, eine reine Provokation, denn sie hatte ja um den Termin angesucht. Sie wusste, was ihr blühte. So kommt man aber heute gut in die Schlagzeilen. In Wahrheit ist der Nahe Osten um einiges komplizierter und interessanter, um ihn auf eine Kopfbedeckung zu reduzieren. Aber es ist genauso klar, dass in der muslimischen Welt die Identität der Frauen heute eine andere ist als früher,- das Kopftuch breitet sich massiv aus.
Wir reden in Deutschland immer vom "Kopftuch". Dabei gibt es große Unterschiede...
So viele wie es muslimische Länder gibt...In Saudi-Arabien tragen Frauen den Nikab, die Voll-Verschleierung, wo das Gesicht nicht zu sehen ist, Kleidung auch der Salafistinnen. Diese Vollkörperschleier sind nicht dasselbe wie Kopftücher und ich verstehe da völlig deren Verbot in Europa. Andererseits habe ich im Jemen bereits eine Nikab freiwillig angezogen, weil ich mich so unerkannter bewegen konnte. Erst da merkt man, was für ein Schutz und Gefängnis zugleich dieser Umhang ist.
Einer Frau steht Mut immer gut.
Antonia Rados, Fernsehjouranalistin und Nahost-ExpertinTweet
Sie berichten oft aus Kriegsgebieten. Haben Sie dort auch Angst?
Natürlich, manchmal wünsche ich mir, ich wäre um einiges mutiger.Ich bin ein durchschnittlicher Feigling. Man hat Angst, wenn man irgendwo ist, wo geschossen wird. Man hat Angst, wenn man in unbekannte Gegenden fährt. Ich versuche immer, mir zu sagen, als Frau wäre es ganz gut, wenn ich mutiger wäre als alle anderen. Und ich glaube, einer Frau steht Mut immer gut, egal ob sie Politikerin ist oder ob sie Taxifahrerin ist.
Wie weit gehen Sie? Was ist, wenn Lebensgefahr besteht?
Ich denke trotz allem nicht ständig an die Lebensgefahr. Gelähmt sein vor Angst ist keine Lösung in Gefahrenzonen. Weil der Krieg so unberechenbar ist, kann man ohnehin wenig vorbereiten. Die meisten Probleme kann man leider erst lösen, wenn sie da sind. Das muss man dann so angehen.
Viele Menschen aus Europa würden momentan nicht unbedingt in den Nahen Osten fahren. Wie sehen Sie das?
So sehe ich das nicht, doch ich bin nicht wirklich der geeignete Maßstab. Dafür bin ich wahrscheinlich viel zu lange und zu sehr in der Region involviert, um das aus der Sicht eines durchschnittlichen Touristen beurteilen zu können. Erstaunlicherweise treffe ich aber nicht selten Europäer, die den Nahen Osten trotz allem weiter besuchen. Reisen hat noch niemandem geschadet.
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Woher kommt ihr Antrieb, das zu tun, was Sie tun?
Neugierde.
Welchen Job könnten Sie außer dem Reporter-Job machen?
Ich koche gerne und habe im Hinterkopf den Wunsch, eines Tages ein Restaurant aufzumachen- angesichts der vielen Nahost-Krisen wird wohl bei dem Projekt im Kopf bleiben.
Wie haben Sie es geschafft, Ihren Job als Reporterin und Ihr Privatleben unter einen Hut zu bringen?
Keine Kinder haben wie ich, entlastet in Kriegsgebieten. Die Sorge um sie fällt weg. Ein Workaholic wie ich zu sein hilft hingegen, denn Kriegsreportagen sind zum Teil stundenlange, harte Knochenarbeit. Ich arbeite viel und sehr gerne. Ich kann mir gut vorstellen, es müsste eine Life-Work-Balance geben, aber ich habe sie nicht. Die Frauen-Generation nach mir, hält sich um einiges besser daran. Für meine Generation war es hingegen einfach nicht möglich, sich behaupten zu können, ohne mehr als männliche Kollegen zu arbeiten und das ist mir erhalten geblieben. 200 Prozent geben, um im Job irgendetwas zu erreichen, war die Grundvoraussetzung. Dauer-Reise-Einsatz war eine Notwendigkeit, um überhaupt in die Riege der Reporter zu gelangen. So fing es an. So geht es weiter.
Also müssen wir Frauen immer mehr machen als die Männer, wenn wir dasselbe erreichen wollen?
Ja, ich glaube, einer der Hauptgründe ist, deshalb finde ich diese Clubs von Frauen auch gut, weil wir um einiges weniger vernetzt sind (Anm. der Red.: Ich treffe Frau Rados am Rande einer Veranstaltung des Clubs europäischer Unternehmerinnen, einem Netzwerk für Unternehmerinnen). Frauen müssen einander noch mehr helfen und da sein, wenn andere Frauen mit Schwierigkeiten kämpfen. Das fehlt. Es ist nicht unbedingt nur die Schuld der Frauen. Wie wollen Sie ein Netzwerk bilden, wenn sie auf weiter Flur alleine dastehen?
Gibt es immer noch zu wenige Frauen in Führungspositionen?
Talente von Frauen, die sie zweifellos haben, werden in einer von Männern dominierten Arbeitswelt nicht unbedingt wahrgenommen- absichtlich oder unabsichtlich. Männer setzen sich eben lieber für Männer ein, wählen lieber Männer, als sich der Ungewissheit auszusetzen, eine Frau auszuprobieren. Und schafft es eine Frau in Führungspositionen, dann riskiert sie eben allein wie auf einem Präsentierteller zu sitzen. Das beste Beispiel ist sicherlich Hillary Clinton. Für viele AmerikanerInnen war sie nicht wählbar, nicht, weil sie eine Frau war, lautete allgemein das Argument. Sie wäre eine schlechte Kandidatin. Doch es ist schwer zu behaupten, der Sieger Donald Trump, war ein guter Kandidat- trotzdem hat der Mann gewonnen. Die Frau hat verloren.
Was haben Sie als nächste Reise geplant?
In meinen Terminkalender gibt es stets viele Projekte gleichzeitig. Heisst, mehrere Visa bei den verschiedenen Botschaften beantragen und hoffen, dass einige nach Monaten und unzähligen Bitt-Anrufen genehmigt werden. Und wenn nicht, dann nochmals versuchen. Nie aufgeben. Reportagen in Saudi-Arabien und erneut in Iran sind geplant. Dazu kommt die Nahost- Aktualität, die ja alle, und auch mich in Atem hält.
Sie sind jetzt Mitte 60. Können Sie sich vorstellen, irgendwann in den Ruhestand zu gehen?
Zu meiner Freude habe ich vor kurzem über die britische Kriegsreporterin Clare Hollingworth gelesen, sie hätte noch, als sie hundert war, Stiefel neben dem Bett stehen, um des nachts jederzeit schnell losfahren zu können. Es wäre überheblich, zu glauben, ich schaffe es noch solange. Das ist jedoch eine Frau mit Vorbild- Potential!
Antonia Rados begann ihre Karriere als Korrespondentin für den ORF. Ab Mitte der 90er-Jahre war sie als Auslandskorrespondentin für RTL in Kriegs- und Krisenregionen unterwegs, beispielsweise berichtete sie 2003 live aus Bagdad über den Irakkrieg. Mittlerweile ist Antonia Rados Chefreporterin Ausland bei RTL. Für ihre Berichterstattung wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u. a. mit dem Deutschen Fernsehpreis.