In "Post von Karlheinz" kann man nachlesen, wie Hasnain Kazim Hassmails beantwortet. EMOTION sprach mit dem Journalisten über sein Buch, Rassismus in Deutschland und was das für ihn persönlich bedeutet.
Ich spreche Mitte Juli am Telefon mit Hasnain Kazim. Etwa eine Woche später tritt Mesut Özil aus der Nationalmannschaft zurück und löst die Debatte um Rassismus in Deutschland neu aus. Kurz danach, am 25. Juli, startet Ali Can auf Twitter die Aktion #MeTwo. Tausende Menschen mit Wurzeln in andern Ländern beginnen unter dem Hashtag #MeTwo zu erzählen, wie sie in Deutschland im Alltag Rassismus erleben (übrigens auch Hasnain Kazim, seine #MeTwo-Momente kann man hier nachlesen).
Aktueller denn je ist die Geschichte von Hasnain Kazim, der als Journalist für SPIEGEL und SPIEGEL Online tagtäglich rassistische Mails erhält. Irgendwann fing er an, den Schreibern zu antworten. Daraus ist das Buch "Post von Karlheinz" entstanden. Im Gespräch erzählt er über seinen Umgang mit den Wutmails, Rassismus in Deutschland und dass er von der Justiz keine Hilfe erwarten kann.
EMOTION: Herr Kazim, viele Menschen, die in der Öffentlichkeit stehen, erhalten ständig Hassmails. Sie haben sich entschieden, Schreibern solcher Hassbriefe zu antworten. Wieso?
HASNAIN KAZIM: Es ist richtig, dass viele Menschen so etwas bekommen, aber es ist schon ein Unterschied, in welcher Intensität und Qualität man solche Briefe erhält. Ich mit meinem nicht geläufigen Namen bekomme viel mehr Hassbriefe als andere Leute. Der Grund, weshalb ich angefangen habe, Anfang 2016 systematisch allen zu antworten, ist, dass immer öfter gefordert wurde, dass wir mit Rechten auf Augenhöhe reden müssten. Selbst, wenn ich mich auf den Bauch lege, bin ich immer noch nicht auf Augenhöhe mit denen. Das sind Leute mit einer absolut gewalttätigen Sprache. Denen muss man mal ganz klar sagen, wo die Grenzen sind und dass sie diese längst überschritten haben.
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Denken Sie, dass es der richtig war, den Schreibern zu antworten?
Absolut. Die Nachrichten, die ich erhalte, sind zum Teil unfassbar brutal. Wenn ich mit meiner Art antworte, nämlich durchaus mit Ironie und gelegentlich scharf, schrumpft das Ganze für mich auf ein erträgliches Maß. Außerdem bin ich nicht mehr das Opfer, sondern werde selbst aktiv und kann mich, rein argumentativ, wehren. Das fühlt sich gut an. Trotzdem muss ich sagen, dass es wahnsinnig viel Kraft und Zeit kostet. Und man hat ständig solchen Müll im Kopf, man möchte ja eigentlich lieber seine Zeit und Gedankenkraft für andere Dinge verwenden. Es ist also nicht nur gut, aber ich glaube, unterm Strich hat es sich gelohnt.
Hasnain Kazim: "Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen – und was ich ihnen antworte". Hasnain Kazim antwortet auf Hassmails, die er als Journalist tagtäglich erhält. Die daraus entstanden Schlagabtäusche sind lustig und unterhaltsam, werfen aber gleichzeitig ein erschreckendes Bild auf unsere Gesellschaft.
Erschienen am 25.4.2018 im Penguin Verlag, 10 Euro.
Wenn man das Buch liest und sieht, welchem Hass Sie ausgesetzt sind, schwankt man zwischen Belustigung und totalem Entsetzen...
Viele Leute haben mir geschrieben, sie wüssten nicht, ob es in Ordnung sei, dass sie beim Lesen gelacht hätten. Ich denke schon, dass es okay ist, wenn man sich darüber amüsiert. Ich habe versucht, humorvoll zu antworten. Es gibt auch einige, die kritisieren, dass ich die Schreiber zu sehr vorführe, ich würde immer als Sieger aus den Dialogen hervorgehen. Ich selbst sehe das gar nicht so. ich hätte gerne auf Dialoge verzichtet, aber wenn ich sie schon führe, sollten sie mir wenigstens Spaß machen. Wenn Austausch mit Hassbriefschreibern, dann so.
Einem Mann, der Ihnen eine Mail von der Arbeitsadresse geschrieben hat, haben Sie geantwortet – an den Gesamtverteiler von dessen Firma. Daraufhin wurde er entlassen. Diese Form der Selbstjustiz kann man kritisch sehen.
Ich bin mir da selbst nicht so sicher, ob das gut oder schlecht war. Das ist natürlich ein An-den-Pranger-stellen dieses Mannes. Lieber wäre es mir, ich könnte jemanden anzeigen und derjenige wird entsprechend bestraft. Vielleicht 1.000 oder 5.000 Euro, die er als Spende zahlen. Das passiert aber nicht und das ist für mich sehr frustrierend. Aber Leute, die Hassbriefe schreiben, sollten nicht glauben, dass die Adressaten sich nicht wehren.
Fühlen Sie sich von der Justiz im Stich gelassen?
Wenn man Anzeige erstattet, führt es meist zu nichts. Es kommt eigentlich immer zur Einstellung des Verfahrens, weil die Person nicht ermittelt werden kann oder weil es kein Straftatbestand ist. Oder, wie es gelegentlich der Fall ist, dass Leute sagen, sie seien es nicht gewesen. Der E-Mail Account sei missbraucht worden, andere Leute hätten Zugang dazu oder was auch immer, solche Ausreden.
Viele Menschen denken, es wäre in Ordnung, sich rassistisch zu äußern.
Hasnain KazimTweet
Die Leute benutzen in den Hassbriefen eine unglaublich herabwürdigende Sprache, wohl auch, weil sie sich in der Anonymität des Internets sicher fühlen.
Das denken wohl viele Leute, doch sie täuschen sich. Man kann mittlerweile fast jeden ausfindig machen. Das sollte man auch viel häufiger tun, damit die Leute merken, dass sie eben nicht komplett anonym sind. In den vergangenen Jahren habe ich allerdings vermehrt festgestellt, dass Menschen denken, es wäre in Ordnung, sich rassistisch zu äußern. Immer mehr Leute schreiben ihre volle Adresse darunter. Es gibt Universitätsprofessoren, Anwälte und Ärzte, die unfassbar rassistisches Zeug schreiben, was mich anfangs sehr schockiert hat. Rassismus zieht sich quer durch die Gesellschaft und kommt nicht nur von Menschen mit wenig Bildung.
Es ist wirklich erschreckend, wie tief Rassismus in allen Teilen der Gesellschaft verankert ist..
Es ist jedenfalls kein reines Internet-Phänomen. Man kann eine Grenzverschiebung feststellen, die sich überall im Leben vollzogen hat. Wir haben mittlerweile einen US-Präsidenten, der ein ungebildeter, primitiver Rassist ist und auch so redet. Solche Leute haben wir aber auch im deutschen Parlament, wie fast überall sonst in Europa, aber auch in der islamischen Welt. Wenn so viele Politiker so reden, wundert es mich nicht, dass immer mehr Menschen glauben, wenn Regierungs- und Staatschefs das tun, dürfen wir das auch. Genau deshalb beginnen sie, so miteinander zu reden, andere herabzuwürdigen und Leute in der U-Bahn zu bepöbeln, weil sie Kopftuch tragen. Und das Schlimme ist, dass die Leute verlernt haben, vernünftig zu streiten. Dabei brauchen wir in einer Demokratie und in einem vernünftigen Miteinander natürlich Streit.
Sie haben bereits in mehreren Ländern gelebt. Haben Sie eine solche Form rassistischen Hasses dort auch erlebt?
Ja, besonders in der Türkei. Dort habe ich massive Anfeindungen erlebt. Ich habe die Türkei letztendlich verlassen müssen, weil mir von Seiten der türkischen Regierung vorgeworfen wurde, ein Terrorpropagandist zu sein oder eine Terrororganisation zu unterstützen, was natürlich Unsinn ist. Es gab nach vielen Artikeln, die ich geschrieben habe, drohende Zuschriften von Türken und Deutschen mit türkischen Wurzeln - mitunter mit sehr rassistischen Tönen.
Hatten sie schon mal Angst um ihr Leben?
In der Türkei habe ich nach einem Bergwerksunglück einen kritischen Artikel geschrieben und bekam innerhalb von drei Tagen über 10.000 Morddrohungen. Wir haben damals entschieden, dass wir uns in Sicherheit bringen müssen. Ich habe daraufhin mit meiner Familie die Türkei verlassen und bin für 14 Tage nach Deutschland gereist. In der Zeit war ich schon besonders vorsichtig und habe geschaut, wo ich hingehe. Grundsätzlich habe ich aber keine Angst, habe aber eine gewisse Sensibilität entwickelt, wann und wo ich vorsichtig sein muss.
Hasnain Kazim, ist 1974 in Oldenburg als Sohn indisch-pakistanischer Einwanderer geboren. Seit 2004 schreibt er für SPIEGEL ONLINE und den SPIEGEL, seit 2009 als Auslandskorrespondent mit Stationen in Islamabad, Pakistan, Istanbul, Türkei und derzeit Wien. "Post von Karlheinz. Wütende Mails von richtigen Deutschen - und was ich ihnen antworte" ist sein viertes Buch.