Mit EMOTION sprach Noah Becker, der Sohn von Boris Becker, über den alltäglichen Rassismus in Deutschland. Prompt wurde er auf Twitter beleidigt. Lest hier, welche rechtlichen Folgen das nun hatte - plus das komplette Interview.
Was war passiert?
Für ihre Rubrik "Männergefühle" hat EMOTION-Autorin Bärbel Schäfer mit dem jungen Künstler Noah Becker gesprochen. Das Interview erschien Anfang 2018. Es ging um seinen berühmten Vater Boris Becker, aber vor allem um seine Arbeit als Künstler, Kreativität und den alltäglichen Rassismus in Deutschland, den Menschen mit anderer Hautfarbe immer noch ertragen müssen.
Das Interview wurde in den sozialen Netzwerken vielfach kommentiert, leider nicht immer auf freundliche Weise. Auf dem Twitter-Kanal des AfD-Bundestagsabgeordneten Jens Maier wurde Noah Becker sogar als "kleiner Halb-N-Wort" [Maier hat das Wort damals ausgeschrieben, wir möchten es nicht reproduzieren, Anm. d. Red.] bezeichnet. Zwar behauptete Maier, er habe den Tweet nicht selbst verfasst. Doch die Beleidigung ging trotzdem hinaus in die Welt, und Noah Becker hat dagegen geklagt.
Jetzt, ein Jahr später, hat das Landgericht Berlin Noah Becker recht gegeben. Laut Spiegel.de soll Maier dem Geschädigten 15.000 Euro Schmerzensgeld zahlen plus Zinsen und Anwaltskosten. Grund: Der Tweet habe die Persönlichkeitsrechte von Noah Becker verletzt und Maier sei als Besitzer des Profils für den Inhalt verantwortlich - ganz gleich, wer den Tweet geschrieben habe.
Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig - und Maier kann noch in Berufung gehen. Dennoch ist es ein klares Signal: Rassismus ist ein No-Go und kein Kavaliersdelikt.
Lest hier das Interview:
Noah Becker über Rassismus, Kunst und Wut
Von Bärbel Schäfer (erschienen im Januar 2018 in EMOTION)
Berlin. Treffpunkt mit dem Musiker, DJ und Maler Noah Becker ist ein blaues Fabrikgebäude im zweiten Hinterhaus. Die Klingel liegt versteckt hinter einem wintermüden Bambusgras im Plastiktopf. Noah öffnet mir die Tür und macht uns gleich darauf erst mal einen Kaffee. In der ehemaligen Schreinerei, die der 23-Jährige als Atelier nutzt, riecht es nach Acryl und kaltem Rauch. Ein Geruch, den der Sohn von Tennislegende Boris Becker und dessen erster Frau Barbara sehr liebt, wie er sagt.
Bärbel Schäfer: Noah, die Arbeit mit deiner Band Bakery ist Teamwork, die Malerei ein einsamer Prozess. Brauchst du die Einsamkeit manchmal? Noah Becker: Es tut mir immer gut, von vielen Freunden umgeben zu sein. Alleinsein ist für mich schwer, außer beim Malen. Ich liebe es, mit meinen Händen zu arbeiten. Malerei ist in der Wirkung sehr direkt. Am Morgen hasse oder liebe ich das Ergebnis meiner Arbeit des Vorabends. Bandarbeit bedeutet dagegen, dass fünf Köpfe und zehn Hände mich bei Bakery unterstützen können, das Ergebnis wird größer und schneller sichtbar.
Es kann also sein, dass du ein Bild vor dem Schlafengehen noch liebst und morgens nicht mehr ausstehen kannst?
Ja, das passiert. Manchmal schleiche ich mich nachts ins Atelier und korrigiere nur einen Strich an der Arbeit, von der ich dachte, die ist jetzt 100 Prozent fertig. Malen ist ein Prozess und ich bin darin ein Autodidakt. Es ist schwer für mich zuzulassen, dass ein Bild wirklich fertig ist.
Vermisst du deine Bilder, wenn sie verkauft wurden?
Das Gefühl ist hart. Ich vermisse die Momente, in denen ich sie geschaffen habe, ich trauere der Stimmung hinterher, in der ich war, als sie entstanden. Manchmal habe ich Angst, dass ich es nicht noch einmal schaffe, ein weiteres Bild zu malen. Mich packt dann die Sorge, dass meine Kreativität mich verlassen hat. Ja, es gibt definitiv einen Abschiedsschmerz.
Wut ist mein Motor. Sie befeuert mich, meine Grenzen immer wieder neu zu sprengen.
Noah BeckerTweet
Was ist dein künstlerisches Kernthema?
Ich spiegele mein alltägliches persönliches Umfeld wider.
Gibt es Dinge, die du beim Malen über dich lernst?
Bei Konflikten ziehe ich mich zurück oder schweige gern. Beim Malen kläre ich mit mir Unausgesprochenes. Im Atelier bin ich im offenen Dialog mit mir; Worte, die mir an manchen Stellen im Leben fehlen, lasse ich auf meinen Bildern raus. Die Leinwand ist mein Ventil, und manchmal vergesse ich hier die Zeit. Nur beim Malen verliere ich mich im Nichts, auch im Nichtdenken.
Welche Grenzen überschreitest du in deinen Bildern?
Die Grenzen meiner Emotionen. Ich male vor allem mit viel Hass. In unseren Proben- oder Partynächten will ich vom Tanzen oft nur schnell zurück ins Atelier, zurück zu meinen Bildern, in diesen produktiven Schutzraum.
Du malst mit Hass? Was heißt das?
Wut ist mein Motor. Zum Beispiel die Wut auf die vielen Schubladen, in die ich dauernd gedrängt werde, die nervige Rolle des Dauersohnes. Diese Wut ist eine kreative Energy und sie befeuert mich, meine Grenzen immer wieder neu zu sprengen.
Irgendwann ist dir dann klar geworden, dass die bildende Kunst dein Ventil und dein Sprachrohr ist.
Ich gebe mich der Kunst hin, physisch und psychisch. Sie gibt mir viel – und ich versuche ihr alles zurückzugeben. Ich mache oft sogar irgendwelche Scheißjobs, gehe zum Beispiel als Gast in TV-Kochshows, damit ich mir die Farbe oder ein neues Mischpult für die Band leisten kann.
Brauchst du dann im Gegenzug wieder Stille beim Malen?
Nein, ich mag es eher, wenn das Atelier voll ist. Ich mag das Feedback und wie mich die anderen anfeuern, weiterzugehen, mutiger zu sein. Ich male, und gleichzeitig wird nebenan geprobt, ich habe Farbe an den Klamotten und am Ende sind alle vollgekleckert, und dabei dröhnt laute Musik aus den Boxen.
Das klingt nach Arbeit in einem offenen, mauerlosen Raum.
Seit fünf Jahren versuche ich professionell zu arbeiten – ohne eine professionelle Ausbildung, ohne Regeln und innere Grenzen. Uncoole Maler zwängen sich in enge Raster. Diese Kunst der Malerei existiert doch schon seit so vielen Jahren, ich werde das Rad nicht neu erfinden. Ich gehe meinen Weg, bin frei in der Wahl meiner Methoden. Genau wie mein Vater, der hatte auch immer seine eigenen Trainingsmethoden. Er ist mein Lehrer, er zeigt mir, wie ich selbstbewusst meinen eigenen Weg gehen kann.
Ich gehe meinen eigenen Weg, bin frei in der Wahl meine Mal-Methoden. Genau wie mein Vater, der hatte auch immer seine eigenen Trainingsmethoden.
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Aber er kommt doch aus dem Sport und du bist Künstler?
Sportler, Musiker, Künstler müssen alle vorurteilsfrei sein, ihren und anderen Arbeiten und Leistungen gegenüber. Wir arbeiten über Grenzen, Nationen, Hautfarben und Religionen hinweg und müssen die jeweiligen Regeln unseres Genres akzeptieren. Mein Vater die seines Sports, und ich muss mich mit den anderen Bandmitgliedern auf Noten einigen, damit wir harmonisch klingen.
Du bist vor aller Augen erwachsen geworden. Hat dieses öffentliche Aufwachsen Auswirkungen auf dich und dein Verhalten in Begegnungen?
Ich muss mit Menschen so offen sein, wie ich nur kann. Ansonsten denken die Leute, ich sei der Mensch, den sie von den Boulevardblättern, Paparazzibildern oder aus dem TV kennen. Das hier im Atelier, nur das bin ich wirklich. Ich stehe ungern im Fokus. Dazu passt, dass Bakery keinen Frontmann hat, wir sind alle gleichberechtigt. Für mich ist eher das Thema: Wie lange bin ich easy mit Leuten, nur weil mich alle zu kennen meinen? Wann fange ich an, Grenzen zu ziehen, um mich zu schützen? Wenn ich im Atelier einer jungen Band den Proberaum, die Instrumente und Drinks zur Verfügung stelle, und die hinterlassen mir hier einen Saustall, dann bin ich auch nicht mehr easy-going.
Magst du dein Leben, so wie es jetzt ist, hier in Berlin?
Ich bin glücklich, dass ich mein Leben so leben darf, wie ich es lebe, und dass ich in diese Atelier-Höhle reingefallen bin. Ich bin zu Hause in einem Schutzraum voller Liebe groß geworden – wenn auch in einem sehr turbulenten Haushalt. Ich habe Freunde, die extrem reich sind, ich habe Freunde mit berühmten Eltern. Mir geht es nicht um Konsum. Ich will mit meiner Musik und meinen Bildern etwas erzählen. Ich will Leben und Lebenswunden abbilden oder verarbeiten.
Welche zum Beispiel?
Ich versuche, mit meiner Kunst auch gegen die negativen Pressemeldungen über meinen Vater anzuarbeiten. Um sie für einige Zeit auszublenden. Die Leute reden schon viel Scheiß in dieser krassen Zeit. Es dauert leider lange, bis ich jemandem richtig tief vertrauen kann.
Hat dich deine Kunst auch schon mal enttäuscht?
Abwenden wollte ich mich nie von ihr. An Tagen, an denen ich mich nicht gut fühle oder eine schlechte Arbeit abgeliefert habe, kaufe ich mir im Fachhandel hektisch neue Farben und fühle mich danach wie nach einem miesen Shoppingtrip. Es ist ein Privileg, ein neues Bild beginnen zu können, Zeit zum Lesen zu haben, lernen zu dürfen. Ich bin eher enttäuscht von mir als von der Malerei.
Bist du selbst dein härtester Gegner?
Auf jeden Fall. Ich bin sehr streng mit mir. Ich habe eine andere Vorbereitungsphase als ein Leistungssportler, aber auch ich muss die Songs on stage parat haben und auf den Punkt performen.
Was erfahre ich über Noah Becker in deiner Kunst?
Du erfährst etwas über meine Generation, über Liebe, Freundschaft und meine Offenheit gegenüber diversen musikalischen Sounds. Aber es gibt immer jemanden, der besser ist als ich, daher bin ich offen für Kritik und Anregungen.
Ich fordere mich selbst. Ich komme eben aus einer wettbewerbsorientierten Familie.
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Bist du stolz auf deinen Erfolg?
Maximal für zehn Minuten. Selten länger.
Was bringt er dir? Neue Freiheiten oder neue Limits?
Erfolg ist schwierig. Zuerst ist er wie ein Rausch. Man schreibt Songs, dreht Videos, dann kommt das erste Pressefeedback – und plötzlich hat man einen Manager und Budgetdiskussionen. Diese Strukturen und vor allem die Berater, die auf einmal wussten, was angeblich gut für die Band sein soll, habe ich als sehr anstrengend empfunden. Das Gute am Erfolg ist aber, dass wir so Zugang zu noch besseren Musikern bekommen haben, die uns mit ihren Fähigkeiten unterstützen. Der Preis ist, dass wir kleinere Stückchen unserer Freiheit abgeben müssen.
Musik lässt mich schmerzhafte Erinnerungen vergessen, Liebeskummer spüren oder erinnert mich an intensive Augenblicke. Was willst du mit deiner Musik erreichen?
Ich will neue Sichtweisen auf Musik vermitteln. Das Musikmachen ist aber auch immer ein Wettbewerb, wir konkurrieren mit aktuellen Strömungen in der Musik, mit anderen Bands, wir wollen natürlich auch immer den besten Set im Club spielen. Ich bin dabei dauernd in Competition mit mir. Ich komme eben aus einer wettbewerbsorientierten Familie. Selbst die Ostereiersuche war bei uns ein Wettkampf, jeder wollte der Erste sein, der das Nest findet.
Dein Großvater Harlan Ross Feltus war Fotograf. Was hätte er wohl zu deiner Karriere gesagt?
Wow, der wäre bestimmt sehr stolz auf mich, er war auch ein Künstler und richtig cool. Leider ist er schon an meinem 19. Geburtstag verstorben. Ich bin auf vielen Familienspuren unterwegs. Viele Menschen kennen meine Eltern, und eben auch meinen Opa. Meine besten Mentoren kommen aus meiner Familie. Meine Eltern waren "farbenblind" und offen gegenüber allen Hautfarben und für jede Herkunft, sie sind vorurteilsfrei.
Eine deiner Arbeiten heißt "You silly humans", was schmerzt dich?
Der aktuelle Rassismus tut mir richtig weh. Diese Gewaltbereitschaft der Hassenden. Der Rassismus des amerikanischen Präsidenten macht mich traurig. Haben wir Menschen denn eigentlich überhaupt nichts gelernt? So viele Themen, die wir schon überwunden glaubten, sind noch immer aktuell und längst nicht aufgearbeitet.
Der aktuelle Rassismus tut mir richtig weh. Diese Gewaltbereitschaft der Hassenden.
Noah BeckerTweet
Wärst du gern politischer?
Unbedingt, ich bin aber noch nicht so weit, ich kämpfe noch mit mir. Ich sehe das positive Engagement meiner Generation auf Social Media, aber ich fühle keine Bereitschaft, mich darauf einzulassen, irgendetwas fehlt mir noch dabei. Ich muss unbedingt politischer in meiner Arbeit werden. Man kann die Welt doch nicht dauernd nur mit Posts im Netz erklären. Aber vielleicht fehlt mir nur der Mut dazu.
Bist du selbst je ausgegrenzt worden, kennst du Rassismus hier in Berlin? Ja, auch ich bin wegen meiner braunen Hautfarbe attackiert worden. Im Vergleich zu London oder Paris ist Berlin eine weiße Stadt. Grüßt mich heute ein anderer schwarzer Mann, verhalte ich mich nach diesen diversen negativen Erlebnissen viel solidarischer mit meinen Brüdern. Wer eine dunklere Hautfarbe hat, müsste stolz sein auf den Weg, den wir gegangen sind. Es gibt keinen Grund, sich zu verstecken, oder von Rassisten kleinmachen zu lassen.
Glaubst du, man kann im Leben alles erreichen, wenn man nur will?
Ja. Es kommt auf die innere Haltung und Bereitschaft an, für deinen Traum alles zu geben. Mein Vater hat angeblich im Alter von 16 Jahren im Tennis noch gegen seine Schwester verloren, und ein Jahr später war er Sieger in Wimbledon. Das zeigt doch, wie wichtig es ist, mentale Mauern zu durchbrechen.
Noah, danke für das Gespräch.
Artikel aktualisiert am 16.01.2019