In den USA sterben schwarze Frauen und ihre Babys mehr als doppelt so oft bei der Geburt oder danach als weiße. EMOTION sprach darüber mit der Journalistin Linda Villarosa, die diesen Skandal nun publik gemacht hat.
Die amerikanische Journalistin Linda Villarosa veröffentlichte im April den Artikel "Why America's Black Mothers and Babies are in a Life-or-Death Crisis" in der New York Times. Linda Villarosa beschreibt darin, dass das Risiko, unter den Folgen der Geburt zu sterben, für schwarze Mütter und Babys in den USA mehr als doppelt so hoch ist wie für weiße. Das Erscheinen des Artikels sorgte für großen Wirbel. EMOTION hat mit Linda Villarosa darüber gesprochen.
EMOTION: Was hat dazu geführt, dass Sie den Artikel ausgerechnet jetzt veröffentlich haben?
Linda Villarosa: Tatsächlich war es der Schock. Man weiß schon länger, dass die Sterblichkeitsrate von schwarzen Babys höher ist als die von weißen. Die Zahlen werden seit 1850 erfasst. Die Statistiken zur Müttersterblichkeit sind dagegen relativ neu. Als ich angefangen habe, mir alle Statistiken zusammen im Vergleich anzugucken, war ich schockiert. Das Risiko für schwarze Babys und ihre Mütter unter Folge der Geburt zu sterben, ist heute höher als zu Zeiten der Sklaverei.
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Worauf geht das zurück?
Man kann das ziemlich genau auf zwei Gründe zurückführen – und beide haben mit Rassismus zu tun. Zum einen haben es schwarze Menschen im amerikanischen Gesundheitssystem generell schwerer – das ist seit Jahren in Studien ziemlich gut dokumentiert. Ich unterstelle keine Absicht, aber der Grund sind Vorurteile und Stereotypen, die man in den USA gegenüber schwarzen Menschen hat.
Wie äußert sich das beim Kinderkriegen?
Dass schwarze Frauen mit Beschwerden weniger ernst genommen werden. Simone Landrum, die Protagonistin in meiner Geschichte für die New York Times, hat längst gespürt, dass etwas mit ihrem Baby nicht stimmt. Die Schwangerschaft verlief anders, als die beiden vorherigen. Obwohl in ihrer Akte vermerkt war, dass ihr Blutdruck zu hoch ist und sie Kopfschmerzen hat, hat sich ihr Arzt der Sache nicht angenommen. Auch dann nicht, als sie immer stärker drauf drängte. Plötzlich begann sie zu bluten. Sechs Wochen vor dem Geburtstermin starb das Baby in ihrem Bauch. Ein Trauma für jede Frau. Aber leider ist ihre Geschichte symptomatisch, und tatsächlich gibt es nichts, was schwarze Frauen vor einer solchen Erfahrungen schützten könnte.
Wie meinen Sie das?
Früher haben wir immer angenommen, dass Wohlstand und Bildung verhindern können, dass einem so etwas passiert. Die Zahlen sagen aber etwas anderes. Das Problem geht durch alle Schichten. Ich saß schon eine Weile an der Recherche zu dem Artikel, als Serena Williams ihre Tochter bekam. Serena ist wahrscheinlich die stärkste, gesündeste, erfolgreichste und selbstbestimmteste schwarze Frau, die ich kenne. Sie ist Spitzensportlerin und kennt ihren Körper ganz genau.
Catsuit anyone? For all the moms out there who had a tough recovery from pregnancy—here you go. If I can do it, so can you. Love you all!! pic.twitter.com/xXb3BKDGNF
— Serena Williams (@serenawilliams) 29. Mai 2018
Was ist passiert?
Serena Williams hatte schon mal eine Lungenembolie. Darauf hat sie ihr Ärzteteam auch hingewiesen. Als sie nach dem Kaiserschnitt stark nach Luft rang, versuchte man erst, sie zu beruhigen. Niemand schien auf diesen Notfall vorbereitet gewesen zu sein, dabei sind Embolien eine Nebenwirkung bei Kaiserschnitt. Sie hustete immer stärker und hatte ein Blutgerinnsel in der Lunge. Doch wegen der verzögerten Behandlung wurde ihr Husten so stark, dass ihre Narbe brach. Sie musste operiert werden – dabei stellte man fest, dass ihr Bauchraum schon voller Blut war, was zur nächsten Operation führte. Die ersten sechs Wochen im Leben ihrer Tochter Alexis Olympia musste Serena Williams im Bett verbringen.
Sie haben noch von einem zweiten Grund gesprochen, der neben "Racial Bias", also rassistische Vorurteile im Gesundheitssystem eine Rolle spielt. Welcher ist das?
Das ist allein die Tatsache, eine schwarze Frau in Amerika zu sein. Die unterschwellige Diskriminierung, die wir täglich erleben, bedeutet Stress für den Körper. Dieser Stress führt zum Beispiel dazu, dass schwarze Frauen überdurchschnittlich oft Babys mit geringem Geburtsgewicht bekommen. Auch ich war betroffen und musste mich fragen lassen, ob ich Drogen, Nikotin oder Alkohol während der Schwangerschaft konsumieren würde.
"Die tägliche unterschwellige Diskriminierung bedeutet Stress für den Körper."
Linda Villarosa, Journalistin, über #Rassismus im KreißsaalTweet
Wie ist man dahinter gekommen, dass das etwas mit Rassismus zu tun hat?
Es hat sehr lange gedauert, um das nachzuweisen. Erst hat man eine genetische Disposition vermutet. Dann hat man Mütter in Afrika untersucht und Frauen, die gerade erst nach Amerika gekommen sind. In beiden Gruppen gab es diese Probleme nicht. Irgendwann hat man angefangen, die Fragebögen zu verändern, die Frauen nach Geburten mit Komplikationen ausfüllen.
Inwiefern?
Eigentlich sind die Fragen simpel: Haben Sie als schwarze Person schon mal Diskriminierung erlebt? Haben Sie das Gefühl, dass die Menschen denken, sie seien schlauer als Sie? Haben Sie das Gefühl, dass Sie anders behandelt werden? Mich hat das sehr berührt; ich bin selbst schwarz und habe bei allen Fragen gedacht: Klar, die ganze Zeit! Man vergisst oft, was das mit einem macht. Wenn man sich die Auswertungen der Fragebögen anguckt, stellt man fest, dass schwarze Frauen, die Frühgeburt erleiden, oft starke Erfahrungen mit Diskriminierung gemacht haben. Gebildete Frauen sind sogar stärker gefährdet, weil sie ihre Babys oft später bekommen und dadurch länger Diskriminierung erleben, etwa im Job, wenn sie versuchen, Karriere zu machen.
Wie kann es sein, dass viele der Studien, die Sie in dem Text zitieren, aus den späten Neunzigern stammen, wir aber erst durch Sie davon erfahren?
Bis jetzt haben sich für das Thema nur ein paar Aktivisten-Gruppen interessiert und ein kleiner Kreis von Wissenschaftlern und Ärzten. Das Problem kommt erst langsam in einer breiteren Öffentlichkeit an. Deshalb habe ich auch penibel darauf geachtet, dass alle Zahlen, die ich verwende, schon in Fachmedien wie dem "Journal of the American Medicine Association" oder dem "American Journal of Public Health" publiziert worden sind. Weil mir klar war, dass manche die Zahlen anzweifeln würden.
Welche Reaktionen gab es noch?
Von all den Wissenschaftlern und Ärzten, die sich schon seit Jahrzehnten dem Thema widmen, habe ich viel Dankbarkeit erfahren. Tatsächlich waren die meisten Leser aber vor allem überrascht, dass sie noch nie von dem Problem gehört hatten.
Hat jemand aus der Politik reagiert?
Ich will es mal so sagen: Positiv ist, dass der Gouverneur des Staates New York versprochen hat, betroffenen schwarzen Frauen ab jetzt speziell ausgebildete Geburtshelferinnen und Hebammen (Doulas) kostenfrei zur Seite zu stellen. Die gibt es nämlich, bislang müssen die Frauen die Kosten aber selbst tragen. So eine Geburtshelferin hat auch meiner Protagonistin Simone Landrum bei ihrem nächsten Kind nach der Totgeburt geholfen. Dazu muss man wissen, dass die Betreuung der Geburtshelferinnen wirklich intensiv ist und über mehrere Tage erfolgt, sie dafür aber nur 600 Dollar bekommen. Mich hat besonders gefreut, dass nach dem Artikel Organisationen wie den Birthmark Doulas mehr Geld gespendet wurde .
Was müsste aus Ihrer Sicht noch passieren?
Krankenhäuser müssen erkennen, dass es bei ihrer Arbeit auch um Fürsorge geht. Heute sind alle medizinischen Prozesse, auch die Geburt, so technisiert, dass die Frau dahinter vergessen wird. Ich freue mich darüber, wie stark sich Studenten dafür engagieren, dass Themen wie "Racial Bias" Teil ihres Studiums werden, sie üben mittlerweile großen Druck auf die Institutionen aus, was ich großartig finde. Es muss Teil der Ausbildung sein, sonst werden wir das Thema nie überwinden. Mittlerweile gibt es zum Glück auch in einigen Krankenhäusern Workshops dazu.