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Kasia spricht Klartext: "Müsste ich jetzt nicht bei meiner Tochter sein?"

19.05.2023
Kasia Mol-Wolf

Dass die Erwartungsteufelchen an ihr zerren, ist Dauerzustand für unsere Verlegerin. Seltsam: Männliche Unternehmer scheinen dieses schlechte Gewissen nicht zu kennen.

Kennt ihr das auch? Mein ständiger Begleiter ist mein schlechtes Gewissen. Als Mutter, weil ich Sorge habe, zu viel zu arbeiten. Als Unternehmerin, weil ich mich frage, ob ich nicht noch mehr arbeiten müsste. Meinen Freund:innen gegenüber, weil ich sie zu selten sehe, meiner Tante in Polen gegenüber, weil ich abends nicht mehr telefonieren mag... Verlässlich meldet sich dafür: mein schlechtes Gewissen. Aber wer bestimmt eigentlich, wie viel Zeit die richtige mit Kindern ist? Oder die Frequenz, mit der wir Familie und Freund:innen treffen? 

In guten Phasen vertraue ich da auf mein Bauchgefühl, versuche auch zu spüren, wann mich meine Kinder, ein:e Freund:in oder Kolleg:innen brauchen. Doch wenn ich nicht mit mir im Reinen bin und mich dann noch jemand kritisch fragt: "Müsstest du nicht mehr Zeit mit deiner Tochter verbringen?", "Wolltest du nicht bei dem Meeting auch dabei sein?", "Solltest du nicht ..." – ist es sofort da: das Gefühl, den Erwartungennicht zu genügen, nicht die Norm-gute-Mutter zu sein. Dazu nervt es mich dann auch noch, dass ich überhaupt anfällig bin, für ungefragte Bewertungen von außen. Schön, wenn andere meinen, besser zu wissen, was für mich gut ist. Aber: Es ist mein Leben, meine Zeit und ich weiß eigentlich, was für mich stimmt.

Als ich kürzlich unzufrieden mit mir selbst im Kreis männlicher Unternehmer saß, schoss es aus mir heraus, wie sie eigentlich mit diesem schlechten Gewissen umgehen würden, so viel zu arbeiten, so wenig Zeit mit den Kindern zu haben? Ich schaute in nachdenkliche Gesichter. Schlechtes Gewissen, nein, warum? Von ihnen würde doch erwartet, für das Einkommen zu sorgen. Das hätten sie gut geschafft. Wenn dann auch mal mehr Zeit mit den Kindern dabei war, sei das ein Luxus. Hätten sie etwas verpasst? Schwer zu sagen, denn sie würden es ja nicht anders kennen. Überrascht hörte ich zu. Und auch etwas neidisch. Der Auftrag, sich um das Familieneinkommen zu kümmern, mag nicht immer einfach sein – aber so wunderbar klar umrissen! Noch immer sind die meisten Männer also frei von den Erwartungen, auch den Haushalt schmeißen zu müssen. Und die, die sich diesen Aufgaben doch schon stellen – wie großartig, was für Familienhelden!

Die alte Botschaft gilt nach wie vor: Männer kümmern sich ums Einkommen, nicht um die Kinder – höchstens mal am Wochenende. Darum, dass in der Familie alles läuft, das könnten Frauen besser, wir seien einfach näher dran. Alles, was Männer da machen, geht über die patriarchalisch geprägten Erwartungen hinaus. Alles, was wir Frauen machen, außer uns um die Familie und ihr Wohlergehen zu kümmern, kommt für uns on top. Umso schlimmer, wenn wir unsere familiären Pflichten vernachlässigen, weil wir auch noch einem Beruf nachgehen! Da sind die Reaktionen der anderen auf meine Nachlässigkeit doch total verständlich, oder?

Zu meinem Glück lebe ich mit einem sogenannten modernen Mann zusammen. Wir teilen uns alles, Reibereien inklusive. Als ich nach meiner Knie-OP nach Hause kam und das erste Mal im Haushalt total ausfiel, nahm er es gelassen und sagte: "Ich mach ja eh alles bei uns." Ungläubig starrte ich ihn an, schluckte dann souverän meine erste Reaktion runter und erwiderte: "Wie gut, mein Schatz, dann ändert sich für dich ja gar nichts!" Und da mussten wir beide lachen.

Nach drei Corona-Arbeits-Stressjahren brauche ich wieder mehr Zwanglosigkeit und wilde Momente in meinem Leben. Denn es geht nicht nur um Arbeit und nicht darum, die Erwartungen anderer zu erfüllen. Die Kunst ist, Zeit für das zu finden, was für uns unser Leben bedeutet – egal ob im Privaten, im Job oder wo auch immer. Und dazu gehört auch, mir selbst zuzugestehen, mein Leben so zu leben, wie ich es möchte.


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