Jeden Monat spricht EMOTION Founder & Editorial Director Kasia Mol-Wolf Klartext über ein Thema, das sie gerade bewegt. Diesmal: Gesellschaftliche Veränderung braucht nicht nur "starke" Frauen. #sisterhood entsteht, wenn wir uns in unserer Vielfalt wertschätzen, findet unsere Verlegerin.
Weltfrauentag! Und ich frage mich, wohin wir uns in den letzten 365 Tagen auf dem Weg zu unserer Gleichstellung bewegt haben.
Wenn ich mit jungen Frauen aus der Kreativbranche spreche, habe ich oft das Gefühl: Wir können alles sein, was wir wollen – endlich! Und dann sitze ich in einer Frauenrunde, alle in Führungspositionen in den unterschiedlichsten Branchen, aber weit weg von Berlin-Mitte und höre zum 100. Mal die Geschichten, die ich für die Vergangenheit hielt: von der Frau, die auf der Konferenz nach dem Kaffee gefragt wird, sich dann aber als Aufsichtsrätin des Fragenden entpuppt, von der jungen Ingenieurin, deren Männerteam schon davon genervt ist, dass jetzt die Begrüßung "Moin Männer" nicht mehr passt, von den Bar-Gesprächen, bei denen in Männerrunden inoffiziell Stellen besetzt werden, mit einem Mann, "denn die Frauen wollen ja nicht …"
Keine Ahnung, wie oft ich mir wünsche, dass wir die Rollenbilder – oder was auch immer uns prägt – loswerden. Dass wir alle unseren individuellen Weg gehen können. Dass wir lernen, andere nicht zu bewerten, wenn sie nicht nach unserem Lebensmodell leben. Ich wünsche mir, dass wir alle, unabhängig vom Geschlecht, unseren Teil dazu beitragen, dass wir in einer gleichberechtigten Gesellschaft leben. Das erreichen wir nur, wenn wir zusammenhalten.
Frauen, die das leben, sind die Tekkal-Schwestern, die wir euch in der letzten EMOTION-Ausgabe vorgestellt haben. Vor Kurzem sind Düzen Tekkal und ich uns über den Weg gelaufen, weil die Menschenrechtsaktivistin zu Gast in der NDR Talk Show war. Eine zufällige Begegnung voller Emotionen. Dass wir alle eine Migrationsgeschichte haben, verbindet uns sicherlich. Und wir glauben an #sisterhood – wir wissen, die Welt braucht #mehrwir.
Mir wird oft bewusst, wie stark mich auch meine polnischen Wurzeln und meine Fluchtgeschichte gemacht haben. Wir sind mit einem Koffer in Deutschland angekommen, ich bin im kalten Wasser groß geworden, da konnte es nur besser werden… Vielleicht bin ich heute auch deshalb so angstfrei. Manchmal höre ich, meine Geschichte vom Flüchtlingskind zur Verlegerin sei einschüchternd. Dass Frauen, die auf eine normale oder gar privilegierte Kindheit zurückschauen, das Gefühl bekommen, sie hätten erst recht was bewegen müssen, etwas erreichen sollen. Bitte, nein! Macht euch nicht diesen Druck!
Mehr #sisterhood – das bedeutet nicht, dass sich vermeintlich starke, selbstbewusste Frauen versammeln, sondern das heißt: Wir brauchen alle. Alle, mit ihren unterschiedlichen Talenten, Kräften, Interessen, mit ihren verschiedenen Erfahrungen und Hintergründen, Frauen jeder Herkunft. Nur gemeinsam können wir unser Ziel erreichen. Ich verstehe uns wie ein Fußballteam – wir brauchen Stürmerinnen und Verteidigerinnen und das ganze Team dahinter. #sisterhood bedeutet für mich, dass wir getragen von gegenseitiger Toleranz, Akzeptanz und Wertschätzung gemeinsam unser Ziel verfolgen. Entscheidend ist allein, dass wir etwas tun, denn Nichtstun hat noch nie etwas verändert. Und dafür müssen wir an unsere Veränderungskraft glauben. Eine Freundin hat vor Kurzem zu mir gesagt: "Wir bekommen nicht das im Leben, was wir wollen, sondern das, was wir sind." Das heißt, uns bewusst zu machen: Wir haben das Recht, gleichberechtigt zu sein. Ein Grund mehr, das auch auszustrahlen, damit die anderen endlich alle wahrnehmen, wie kraftvoll wir sind!