Hannah Herzsprung hat viele Facetten – ein paar davon durften wir im großen Cover-Interview kennenlernen. Die Schauspielerin spricht mit uns über Stil, Ehrgeiz, (un-)faire Gagen in der Filmbranche und über die "Nepo-Baby"-Debatte.
Wenn man Hannah Herzsprung spielen sieht ("Babylon Berlin", "Der Vorleser"), kann man sich kaum vorstellen, dass das nicht schon immer ihr Plan war. Beim Thema Mode hatte sie dagegen von Anfang an eine Vision im Kopf. Kein Wunder, dass die Schauspielerin als eine der am besten angezogenen Frauen Deutschlands gilt. Ihr neuer Film: "15 Jahre" – die Fortsetzung von "Vier Minuten", dem Film, mit dem sie 2006 ihren Durchbruch feierte. Dafür hat sich die 41-Jährige in Jenny von Loeben zurückverwandelt, eine unberechenbare, musikalisch hochbegabte Gefängnisinsassin. Und diesmal musste sie an ihre körperlichen Grenzen gehen, acht lange Monate hat Hannah Herzsprung trainiert und zum Style gehörte ein rasierter Undercut. Der Film kommt im Herbst ins Kino. Bei uns ist sie schon jetzt. Ihre Haare sind wieder auf Dutt-Länge, beim Gespräch trägt sie schlicht Jeans, T-Shirt und ein zartes Goldkettchen.
EMOTION: Hannah, du warst eine der ersten Schauspieler:innen in Deutschland, die eine Stylistin für Red-Carpet-Auftritte hatte. Hand aufs Herz – war das die Unsicherheit einer 25 Jährigen oder gleich geplant?
Hannah Herzsprung: Das ging mit meinem ersten Film "Vier Minuten" los, der Film war sehr präsent auf vielen internationalen Festivals. Ich bin fast ein Jahr lang gereist, um ihn überall auf der Welt vor Publikum vorzustellen. Damals wurde ich von Strenesse ausgestattet und mir wurde zum ersten Mal richtig bewusst, dass die Außenwirkung eine ganz andere ist, wenn du etwas trägst, was jemand mit einem absoluten Verständnis für Mode mit dir zusammen ausgewählt hat, als wenn du deine Lieblingsjeans trägst. Oft merkt man ja erst später, anhand von Fotos, wenn man danebengegriffen hat und denkt: "Oh Gott, das sah ja schrecklich aus!"
Du hast eine feste Stylistin.
Leena Zimmermann! Seit 16 Jahren arbeite ich mit ihr zusammen und bin jedes Mal fasziniert, was sie für Looks zaubert.
Vertraust du ihr blind?
Ja! Ich erinnere mich an ein orangefarbenes Samtkleid von Jil Sander, das Leena mir für eine Premiere rausgesucht hatte. Es war fantastisch, aber es gab auch noch schlichtere Kleider. Einen Tag vorher rief ich sie an: "Soll ich das wirklich machen?" Und sie sagte: "Unbedingt!" Es war perfekt!
Wer hat deinen Stil geprägt?
Cate Blanchett. Sie wirkt nie verkleidet, hat so eine zeitlose Eleganz, aber trotzdem nie langweilig und immer mutig.
Gerade kommen die Crop-Tops und Low-Waist-Jeans aus deiner Teenagerzeit zurück. Wie hat sich dein Stil mit dir verändert?
Er ist auch älter geworden. (lacht) Inzwischen lasse ich mich von Trends nicht mehr so sehr beeinflussen. Ich weiß, was mir steht und was ich tragen kann. Trotzdem will ich immer Spaß an Mode haben und auch Neues ausprobieren – aber das Crop-Top und ich waren noch nie Freunde und werden es auch nicht mehr.
Cate Blanchett ist fast 54 und gerade wieder in einer spannenden Rolle als Dirigentin zu sehen. Streift die Filmwelt den Ageism ab?
Man merkt, dass sich was tut. Die Rollen werden vielseitiger, älter, interessanter.
Du bist selbst eine halbe Generation jünger, wie steht es um Rollen für Frauen bei uns?
Es gibt zunehmend mehr spannende Regisseurinnen und Autorinnen, da sehe ich richtig eine Veränderung. Es gibt aber noch viel zu tun.
Welches Piece aus deinem Kleiderschrank würdest du retten, wenn die Wohnung brennt?
Ich lasse gerade von Lilian von Trapp einen alten Ring von meiner Großmutter einschmelzen und daraus etwas Neues anfertigen, weil er mir leider nicht passt. Auf den freue ich mich sehr, schon weil er dieses Geheimnis enthält.
Wie geht denn eigentlich so ein typischer Hannah-Herzsprung-Tag los? Heute zum Beispiel?
Ich habe ein neues Drehbuch gelesen. Dafür brauche ich viel Zeit, weil ich mir Notizen mache und sehr langsam lese. Danach gab es Calls, ob ich ein Casting wahrnehmen kann oder nicht.
Wonach wählst du deine Rollen aus?
Das Wichtigste ist das Buch, ob mir die Figur zusagt. Und ich möchte wissen, mit wem ich zusammenarbeiten würde.
Christoph Waltz hat gesagt: "Schauspielerei ist für mich nur ein Beruf, keine Leidenschaft." Wie siehst du das?
Das Schönste ist doch, wenn du sagen kannst, dass dein Job dir Spaß macht. Ich treffe leider viele Leute, die nicht so glücklich sind in ihrem Beruf. Und eine gute Work-Life-Balance haben ohnehin nur die wenigsten. Umso wichtiger finde ich es, dass das, was du tust, dir Freude bereitet und du in irgendeiner Form ein Talent nutzen kannst. Ich bin dankbar, dass ich meins erkannt habe und ausleben kann.
Wie reagierst du auf Absagen?
Weitermachen, weitermachen, weitermachen. Immer wieder! Du lebst als Schauspielerin ständig mit dieser Ungewissheit. Selbst, wenn du schon drehst, weißt du nie, was hinterher dabei herauskommt, wie das Endergebnis aussieht. Ich kann bloß alles geben und dann muss ich loslassen.
Du hast mit 24 dein Studium der Kommunikationswissenschaften in Wien abgebrochen, um deinen ersten Kinofilm "Vier Minuten" zu drehen. Die Rolle hat dich zum Star gemacht. Wo her wusstest du, dass es die richtige Entscheidung ist, weiterzumachen?
Bauchgefühl. Zuerst dachte ich ja, ich mache bloß eine Pause im Studium. Ich konnte ja nicht ahnen, dass der Film so erfolgreich wird und ich das fortan hauptberuflich machen darf!
Für "15 Jahre" musstest du acht Monate lang ein extremes Workout machen und deine Ernährung komplett umstellen. Woher nimmst du die Disziplin?
Ich musste an Muskeln zulegen, aber gleichzeitig schmal und hager bleiben. Das hieß: sieben Mal die Woche Zirkeltraining, Gewichte heben, Yoga, dazu Eiweiß-Shakes. Und dann wieder sehr viel Klavierunterricht nehmen. Aber ich hatte ja ein tolles Ziel vor Augen. Es ist schon eine extreme Verantwortung und Herausforderung, wenn vieles von einem abhängt.
Bist du jemand, die sich gut Auszeiten nehmen kann?
Ich habe ein gutes Gefühl dafür, wann ich eine Pause brauche. Ich habe immer schon viel gearbeitet, auch früher neben der Schule. Ich mache einfach gern viel, ich bin sehr neugierig und will immer etwas Neues lernen.
Wie schaltest du ab?
Sport hilft. Gleich morgens, dreimal die Woche. Wenn der Tag erst mal begonnen hat, komme ich zu nichts mehr.
Du gibst nur selten Interviews und postest erst seit gut einem Jahr Fotos auf Instagram. Wieso hast du damit angefangen?
Ich habe am letzten Drehtag von "15 Jahre" angefangen, weil ich unbedingt auf diesen tollen kleinen Film aufmerksam machen möchte.
Dein Vater ist der Schauspieler Bernd Herzsprung, deine Mutter die Modedesignerin Barbara Engel. Was denkst du zu der "Nepo-Baby"-Debatte?
Der was? (lacht)
Kindern berühmter Eltern wird vorgeworfen, dass sie ohne größere Anstrengungen oder besonderes Talent die besten Jobs abräumen und erfolgreich werden. Beispiele sind Leni Klum oder Kaia Gerber. Bist du auch schon mal mit dem Vorwurf konfrontiert worden, dass du es leichter hattest, weil deine Eltern berühmt sind?
Ja, wurde ich. Aber da gibt es diesen Spruch: Dir wird die Tür aufgemacht, aber durchgehen musst du selber. Da ist was dran. Ich habe nie erlebt, dass ich eine Rolle bekommen habe, weil ich die Tochter von meinem Vater bin. Ich wollte aber auch schon immer alles allein machen. Der Wunsch, Schauspielerin zu werden, kam aus mir heraus. Es gab keinen Zusammenhang zum Beruf meines Vaters. Das haben immer nur die anderen daraus gemacht. Ich gebe zum Glück nicht so viel auf die Meinung anderer, vor allem, wenn ich sie nicht gefragt habe.
Du bist in München geboren, in Hamburg aufgewachsen, hast mal drei Jahre in New York gelebt und bist heute in Berlin. Was ist für dich Heimat?
Ich brauche bloß eine schöne Umgebung. Bei Produktionswohnungen achte ich darauf, dass sie schlicht eingerichtet sind. Ich bringe ein paar private Dinge mit und schon fühle ich mich heimisch. Das hat sogar in Tibet geklappt, wo ich mich sehr schnell einleben musste. Meine Wurzeln liegen in München. Aber Berlin mag ich sehr.
Jana Pallaske, die auch eine Weile in Hollywood war, hat gerade erzählt, sie wolle sich "den Dreck" in der Filmbranche nicht mehr geben, weil sie viele Erfahrungen mit sexueller Belästigung machen musste. Hast du so etwas erlebt?
Zum Glück nicht.
Ein weiteres Reizthema, das allmählich ins Bewusstsein rückt, ist der Gender-Pay-Gap. Was sagst du dazu?
Wenn ich nicht genau weiß, was alle anderen verdienen und zu welchen Konditionen sie arbeiten, kann auch keine vernünftige Kommunikation darüber stattfinden. Gagen und Gehälter sollten transparenter werden. Dann kann ich mir die Begründungen dazu anhören und entscheiden, ob das für mich okay ist, ob ich das gerecht finde oder nicht.
Danke für das Gespräch, Hannah!
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 05/23.
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