Vor 50 Jahren wurde die Bezeichnung "Fräulein" für unverheiratete Frauen aus dem Amtsdeutsch gestrichen. Ein wichtiger Schritt in Richtung Gleichberechtigung! Doch auch heute noch werden Frauen häufig als "junge Dame" oder "Mädchen" bezeichnet. Solche Anreden werden bewusst eingesetzt, um uns kleinzuhalten. Das können wir dagegen tun...
50 Jahre ohne "Fräulein"
Vor 50 Jahren wurde der Begriff "Fräulein" aus dem Behördendeutsch verbannt. Zuvor war er die offizielle Anrede für unverheiratete Frauen, unabhängig von ihrem Alter, und wurde damit nicht nur in offiziellen Dokumenten vermerkt, sondern auch für die persönliche und schriftliche Ansprache genutzt. Eine Frau wurde also, wann immer mit ihr oder über sie gesprochen wurde, in eine Schublade gesteckt: verheiratet oder nicht verheiratet. Letzteres wurde von Männern nicht selten als Aufforderung verstanden, das "Fräulein" zu umwerben – schließlich musste sie ja noch unter die Haube gebracht werden, um zur Frau aufzusteigen. Der Begriff ist eine Verniedlichung des Wortes Frau und zeigt: Diese Person ist nicht für voll zu nehmen. Die Sprachwissenschaftlerin Luise F. Pusch, Autorin von "Deutsch als Männersprache" (1984) und Mitbegründerin der feministischen Linguistik in Deutschland, sagt im Interview mit dem Spiegel: "Ein 'Fräulein' [...] muss damit rechnen, in der Männerwelt bemitleidet, belächelt oder belästigt zu werden." Dass man sich als Frau den Respekt der Männerwelt nun gerade dadurch verdienen musste, dass man einen von ihnen heiratete, ist mehr als problematisch.
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Der lange Abschied vom "Fräulein"
Bereits ab 1950 begannen sich Frauen gegen die Bezeichnung "Fräulein" zu wehren. Zu dieser Zeit wandelte sich das Frauenbild stark und der Ruf nach Gleichberechtigung wurde lauter. Fünf Jahre später trat ein Erlass für die Bundesbehörden in Kraft, wonach jede unverheiratete Frau, die dies wünsche, im "amtlichen Verkehr" als "Frau" zu bezeichnen sei. Diesen Wunsch musste die Frau jedoch erkennbar und aktiv äußern. Es dauerte weitere sieben Jahre, bis sich dieses Vorgehen umkehrte: Am 16. Januar 1972 wurde ein weiterer Erlass verkündet, laut dem es nur noch die Bezeichnungen "Herr" und "Frau" geben sollte. Darin wurde festgestellt, dass "Frau" kein Titel und keine Bezeichnung sei, die "verliehen werden müsste oder könnte". Die Bezeichnung "Fräulein" wurde ab sofort nur noch verwendet, wenn eine Frau dies explizit wünschte. Mitte der 70er Jahre wurde der letzte behördliche Vordruck vernichtet, auf dem ein "Fräulein" vorkam.
... weil es ja auch kein Herrlein gibt
Dass es mit dem "Fräulein" eine Bezeichnung für unverheiratete Frauen gab, unverheiratete Männer aber nicht "Herrlein", sondern höchstens einmal "Junggeselle" genannt wurden, ist kein Zufall, sondern das Spiegelbild patriarchaler Machtstrukturen. Männer verdienten das Geld, Frauen waren von ihnen abhängig und mussten heiraten, um sich abzusichern. Erst seit 1977, fünf Jahre nach der Abschaffung des "Fräulein", dürfen Frauen überhaupt ohne das Einverständnis ihres Ehemanns arbeiten.
Und heute? "Na hören Sie mal, junge Dame..."
In den letzten 50 Jahren hat sich in Sachen Gleichberechtigung zwar einiges getan, am Ziel sind wir aber noch lange nicht. Erwachsene Frauen werden auch heute immer wieder als "Mädchen", "Mädel", "Kleine" oder "junge Dame" angesprochen. Diese Bezeichnungen geben zwar keine Auskunft darüber, ob jemand verheiratet ist oder nicht, halten die Person aber klein. "Ich erlebe es immer wieder, dass eine Frau 'Mädchen' genannt wird. Das passiert auf Social Media und auch im Kontext der Arbeit", sagt Katharina Nocun, Bürgerrechtlerin und Publizistin gegenüber dem ZDF. Anfang Januar schrieb sie in einem Tweet: "[...] Ich bin Mitte 30 & hab diese Strategie der Infantilisierung von Frauen, um ihnen Kompetenz abzusprechen, mehr als satt." Sie selbst blockiert seitdem Männer in den sozialen Medien, die sie entsprechend bezeichnen.
Deutschlands liebste Gören
Dort, wo die Realität unbequem wird, werden Frauen besonders gern sprachlich abgewertet. So werden zum Beispiel die Klimaaktivistinnen Luisa Neubauer und Greta Thunberg von einigen Politiker:innen und in den sozialen Medien immer wieder als "Gören" bezeichnet. Laut Duden ein (vorwitziges, freches kleines) Mädchen. Die Sprachwissenschaftlerin Professorin Kirsten Schindler von der Universität Köln sagt im ZDF: "Mit einer verniedlichenden Ansprache sollen Aspekte in den Blick gerückt werden, die eigentlich am Rande stehen. Der Begriff 'Mädchen' rückt das Alter in den Blick und damit zum Beispiel die Geschäftsfähigkeit." Die abwertende Sprache sei ein rhetorisches Mittel, um dem Gegenüber nicht auf Augenhöhe zu begegnen, und schaffe eine Asymmetrie, so Schindler. Auf Dauer sei das schwer auszuhalten und könnte dazu führen, dass sich einige Frauen aus der öffentlichen Debatte zurückziehen.
Sprache ist Macht
Auch heute leben wir noch in patriarchalen Strukturen – auch sprachlich. Die aktuell heißeste Debatte im rhetorischen Machtkampf ist sicher die über gendergerechte Sprache. Denn das generische Maskulinum meint vielleicht alle mit, Experimente zeigen jedoch, dass unser Unterbewusstsein anders tickt und wir Frauen sowie nonbinäre oder intersexuelle Personen gedanklich häufiger miteinbeziehen, wenn sie auch benannt werden. In der Begründung für den Erlass von 1972 heißt es: "Es ist an der Zeit, im behördlichen Sprachgebrauch der Gleichstellung von Mann und Frau und dem zeitgemäßen Selbstverständnis der Frau von ihrer Stellung in der Gesellschaft Rechnung zu tragen."
Da drängen sich Überschneidungen mit aktuellen Debatten doch geradezu auf. Genauso wie sich das gesellschaftliche Verständnis von Gender in den letzten 50 Jahren gewandelt hat, so tut es auch unsere Sprache. Und wir sollten keine Angst davor haben, weitere Schritte in Richtung einer gleichberechtigten Sprache zu gehen – auch wenn wir uns dafür laut Pusch sicherlich in Geduld üben müssen:
Was Frauen betrifft, dauert es immer mindestens 40 Jahre, bis sich etwas ändert.
Luise F. PuschTweet
Es lohne sich aber diesen Kampf auszutragen. Auch nach der Abschaffung der Bezeichnung "Fräulein" wurde der Begriff von vielen noch weiter genutzt und es dauerte Jahrzehnte, bis er tatsächlich aus dem allgemeinen Sprachgebrauch verschwand. In einigen Sprachen gibt es bis heute Anreden, die zwischen verheirateten und unverheirateten Frauen unterscheiden. So zum Beispiel das englische Miss (unverheiratet) vs. Misses (verheiratet). Frankreich verabschiedete sich erst vor zehn Jahren von der Anrede Mademoiselle für unverheiratete Frauen.
Miteinander sprechen, statt übereinander
Eine EMOTION-Redakteurin erlebte kürzlich folgende Situation: Sie fuhr mit ihrem Fahrrad durch eine verengte Baustelle, ein Mann kam ihr entgegen und empörte sich mit den Worten: "Dies ist kein Fahrradweg, junges Fräulein". Sie bremste abrupt, schaute den Mann an und sagte: "Da haben Sie recht, ich hätte hier vielleicht nicht fahren sollen. Aber SO möchte ich nicht genannt werden." Der Mann schien sichtlich verwundert – zum einen über die Einsicht, zum anderen die direkte Konfrontation damit, dass er sich wohl in seiner Wortwahl vergriffen hatte. Er entschuldigte sich – und wird das Wort Fräulein zukünftig hoffentlich aus seinem Wortschatz streichen. Denn besser 50 Jahre zu spät als nie, oder?
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