Am selben Tag, an dem Gabriele von Arnim ihrem Mann sagt, dass sie ihn verlassen will, erleidet er einen schweren Schlaganfall. Zehn Jahre lebt sie eine zweite Chance mit ihm – und hat nie wieder daran gedacht, ihn zu verlassen, hat es nie wieder gewollt.
Mit Witz und Wut und Kraft
Als alles vorbei und sein Leben gelebt ist, lässt Gabriele von Arnim diesen einen Satz in die Todesanzeige ihres Mannes schreiben: „Zehn Jahre lang hat er seine Krankheit in Würde gelebt – mit Witz und Wut und Kraft“.
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In Würde, mit Witz und Wut und Kraft beschreibt auch von Arnims wundervollen neuen Roman, der nun im Rowohlt-Verlag erschienen ist. In „Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ verarbeitet die 74-jährige Journalistin und Schriftstellerin die zehn langen Jahre, in denen sie ihren Mann bis zu seinem Tod zu Hause pflegte. Und zeigt eindrucksvoll, wie sie selbst in den dunkelsten Stunden Trost, Kraft und Zuversicht fand.
„Das Miteinander – seit Jahren verlorengegangen – haben wir jetzt“
Am selben Tag, an dem sie ihrem Mann sagt, dass sie ihn verlassen will, erleidet er einen schweren Schlaganfall. Einige Tage später den zweiten. Er, der Zeit seines Lebens so sportlich war, ein brillanter Redner, wacher Geist und bekanntes Fernsehgesicht, ist nach wochenlangem Koma plötzlich an den Rollstuhl gefesselt. Eingesperrt im eigenen Körper, halb gelähmt. Von einem Tag auf den anderen ein Pflegefall, der nichts mehr alleine kann. Nicht gehen und lesen, nicht schreiben oder verständlich sprechen. Nie wieder denkt sie darüber nach ihn zu verlassen. Sie will diese zweite Chance – mit allem, was es bedeutet.
Auf 235 Seiten beschreibt Gabriele von Arnim ihren neuen Alltag. Wie sie ihn wäscht, ihn an- und auszieht und in den Rollstuhl setzt, ihn unterhält und bekocht, ihm vorliest, ihn abends ins Bett bringt, nachts auf ihn aufpasst. Wie sie seinen Urin protokolliert, wunde Stellen am Po behandelt, ihm eine Pfanne unter den selbigen schiebt, wenn er sein Geschäft verrichten muss. Und wie im Laufe jedes Tages eine ganze Armee an Logopäden, Masseuren, Krankengymnasten, Pflegern und Krankenschwestern kommt.
Ein unglaubliches Buch. Eine heilende Zumutung.
Sten NadolnyTweet
„Wie hält man das aus, wie hält man so ein Leben aus?“ fragt sie sich an einer Stelle des Romans. „In dem man alles hört, alles begreift, alles reflektiert und doch fast ohne Gegenüber bleibt, im Abseits sitzt, nicht dazugehört, weil kaum einer die Geduld und die Fähigkeit hat, die Sorgfalt, um zu verstehen, was man sagt“. Und weiter: „Wie hält man diese Verlassenheit aus. Abgewiesen vom Leben, in dem man doch noch ist, vorhanden und verschwunden zugleich. Weil man mitten im Leben wegzusterben beginnt.“
„Unzumutbare Jahre und von einer hellen Innigkeit“
„Das Leben ist ein vorübergehender Zustand“ thematisiert Trauer, Krankheit, Kränkung und zuletzt den Tod, zeigt zutiefst menschenunwürdige Situationen und den schmalen Grat zwischen Fürsorge und Übergriffigkeit. Aber es zeigt auch, wie nah Angst, Hoffnung, Zorn und Freude einander sind. Denn es geht ums Weiterleben. Darum, neuen Lebensmut zu schöpfen, sich plötzlich an kleinen Dingen wie dem Rosinenbrötchen vom Bäcker oder einem Eichhörnchen auf dem Balkon zu erfreuen.
Das Leben rumort, bricht aus, ist voller hell lebendiger Widersprüche
Gabriele von Arnim in "Das Leben ist ein vorübergehender Zustand"Tweet
Denn in all dieser radikalen, unzumutbar scheinenden Zeit gibt es auch viele innige, sanftmütige Momente leisen Glücks. Momente, in denen sie viel miteinander lachen und ihre Liebe füreinander neu entdecken. „Das Leben bleibt eben nicht in der Schublade liegen, in der wir es so gern unterbringen möchten. Es rumort, bricht aus, ist voller hell lebendiger Widersprüche“, schreibt von Arnim. „Wir mussten lernen, uns zu verändern, mussten lernen, weniger Erwartungen zu haben, nein, andere Erwartungen zu leben. Uns zu verabschieden von angeblichen Gewissheiten, eine neue Beziehung zur Welt finden. Eine neue Lebensfreude.“
„Da wir nicht in die Welt können, möge die Welt zu uns kommen.“
Sie wollen sich nicht verstecken, sondern Freunde um sich haben. Veranstalten Dinnerpartys und Diskussionsrunden: „Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf, sagt ein nigerianisches Sprichwort. Auch um einen Kranken zu pflegen, braucht es ein Dorf, eine Großfamilie, eine Umgebung. Man kann allein kein Dorf sein.“ Sie will keine Bewunderung, sondern Nähe, Freundschaft, praktische Hilfe. Freunde, die anpacken, so dass sie mal ein paar Tage wegfahren kann. Freunde, die regelmäßig kommen, um ihm vorzulesen und ihm damit Momente der Freude, Nähe, Lebendigkeit schenken. Aber natürlich gibt es auch die Freunde, die sich von ihnen abwenden, mit der Krankheit nicht umgehen können.
Gabriele von Arnim zeichnet ein detailliertes Bild vom Leben mit der Krankheit und dem Tod. Und ihren Platz da mittendrin. Wie sie versucht, auch ihr Leben weiterzuleben, auszugehen, auf sich aufzupassen und sich nicht zu sehr aufzuopfern. Denn was sie nie sein wollte: „eine Kümmerfrau, die selbst verkümmert.“
„Das Bleiben will gelernt sein.“
Mit aller Wucht beschreibt sie die widersprüchlichen Tage vor seinem Tod und ihr Leiden danach: „Ich möchte, dass er sterben kann, und will nicht, dass es passiert, fürchte mich vor dem, was ich mir wünsche. Ich halte das Sterben nicht aus und werde das Leben ohne ihn nicht aushalten.“ Nach seinem Tod fühlt sie sich lange sinnlos und überflüssig. Aber auch jetzt sieht sie das Positive. Schöpft Kraft aus der Literatur. Erkennt, dass Trauer nicht nur Abschied, sondern auch Aufbruch und Mut bedeutet. Dass sie sich eine neue Rolle im Leben erkämpfen muss. Und berührt den Leser damit einmal mehr zutiefst.
„Vielleicht ist es leichter, gern zu leben, wenn man Krisen gelebt hat“, wird Gabriele von Arnim am Ende des Buchs mutmaßen, „wenn man sich erlebt hat in der Herausforderung und im Danach – wenn die Kraft wiederkommt und auch die Lust, wenn eine Wehmut bleibt.“
Ein Buch, so brillant wie das Leben selbst. In dem nichts beschönigt wird – und das dennoch so viel Tröstliches in sich trägt. Absolut lesenswert!
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Über die Autorin:
Gabriele von Arnim wurde 1946 in Hamburg geboren und hat zehn Jahre als Journalistin in New York gelebt. Sie schrieb u. a. für die DIE ZEIT und DIE SÜDDEUTSCHE, den BR und WDR und arbeitete als Moderatorin für ARTE, den SDR/SWR und den SF. Sie moderiert Lesungen und ist Autorin mehrerer Bücher.
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