Er ist einer der erfolgreichsten deutschen Musiker und doch kennt er sie: die Angst, vergessen zu werden. Johannes Oerding, 40, hat uns ganz offen erzählt, wieso er sich entschieden hat, 100 Prozent Musiker zu sein – und das heißt: auch nicht Vater zu werden.
Seit 20 Jahren steigt seine Karrierekurve. Letzten November legte Ausnahmemusiker Johannes Oerding sein siebtes Studioalbum vor: "Plan A" – und ab 23. März geht er damit auf Tour. Als Host bei "Sing meinen Song – das Tauschkonzert" hat er den Grimme-Preis abgeräumt. Wir sprechen über Google Meet, der Musiker kuriert seit drei Tagen fiebrig und isoliert eine fette Grippe im Hotelzimmer aus. Ein Gespräch über Väter, Kinderlosigkeit und die bedingungslose Liebe zur Musik.
Judith Holofernes, die Ex-Frontfrau von "Wir sind Helden", beschreibt in ihrer Autobiografie das Popbusiness als Hamsterrad. Pausen darf man sich nicht leisten, wenn man die Charts erobert. Stimmst du dem zu?
Es ist nicht das Business, das keine Pausen zulässt. Wir sind Künstler und Künstlerinnen und lassen es doch selbst nicht zu. Wir sind Getriebene, mit einem starken Drive nach vorne. Viele von uns haben Angst, wenn ich jetzt nicht dranbleibe, erreiche ich den nächsten Move nicht. So geht es mir jedenfalls. Und diese Sorge, in Vergessenheit zu geraten, keinen Applaus mehr zu bekommen, teilen viele Musiker:innen. Wer die Angst des Relevanzverlustes nicht teilt, kann auch gleich mit der Band im Probenraum bleiben. Alle wollen gehört werden.
Du hast durch die Grippe gerade eine Zwangspause, ist dir die Pausensehnsucht sonst wirklich so fremd?
Der Wunsch danach kommt in den letzten Jahren öfter als noch am Anfang meiner Karriere. Mein Körper sendet mir heute deutlichere Signale, wenn ich mir zu viel zumute. So langsam beginne ich auf diese Signale zu hören.
Ansonsten lieferst du immer?
Ich habe 44 Konzerte im Sommer gespielt und parallel das neue Album produziert. Jetzt wollte ich runterfahren, wieder Sport machen, chillen, Fußball spielen – eben Urlaub machen. Und prompt werde ich krank. Da bin ich schon etwas beleidigt, dass mich mein Körper so hängen lässt.
Andreas Bourani taucht über Jahre ab, der scheint frei von der Angst des Relevanzverlustes zu sein.
Bourani ist jetzt seit sieben Jahre weg. Schau dir die Mechanismen der Branche an, das wird kein leichtes Comeback. Aber Andreas weiß, was er tut.
Peter Maffay und Udo Lindenberg haben langlebige Karrieren. Du bist seit 20 Jahren dabei. Drei Wochen Urlaub sollten drin sein bei euch beruflichen Langstreckenläufern.
Wenn ich mir diesen Zeitstrahl angucke, könnte ich mich tatsächlich entspannen. Aber ich muss zugeben, ich liebe den Druck, die Vorfreude auf meine vielen Projekte. Und dann blende ich Erschöpfung eben einfach aus.
Warum tust du, was du tust?
Mein Vater hat mal gesagt: "Junge, finde etwas, woran du von morgens bis abends Spaß hast." Das habe ich lange als Floskel abgetan. Aber heute steht mittlerweile für mich der Spaß über allem. Und wenn kein Spaß für mich rausspringt, gönne ich mir den Luxus, Dinge abzusagen.
Auf deinem neuen Album "Plan A" nimmst du uns mit in den Mikrokosmos deiner Kindheit. Wir erfahren einiges über die Wunden aus der Zeit, darüber, wie du mit zwei Schwestern und zwei Brüdern aufgewachsen bist, über sperrige Gespräche mit deinem Vater... Von wem hast du denn das Kommunikationstalent mitbekommen?
Wir sind als Kids streng erzogen worden. Mein Vater ist heute 76 Jahre alt, der gehört zu der Generation, die Strenge normal fand, er wäre gar nicht auf die Idee gekommen, mich überschwänglich zu loben. Aber meine Mutter ist sehr offen und kommunikativ.
Gibt es schmerzlich verpasste Vater-und-Sohn-Momente?
Ich habe keinen Vergleich. Ich kann mir vorstellen, dass ich gern mehr mit ihm gesprochen hätte. Aber ich bin heute zufrieden, dass wir uns über die Jahre so gut angenähert haben. Bis zu unserem 18. Lebensjahr war er sehr, sehr streng mit uns Kindern. Er wollte immer, dass wir tun, was er sagt. Inzwischen erinnere ich mich auch an schöne Momente und nicht an verpasste Gespräche.
Begeisterungsfähigkeit, Neugier und Empathie sind Begriffe, die viele Menschen mit dir verbinden. Was schlummert auf der dunkleren Seite?
Ich kann nicht immer alles auf den Punkt bringen. Gerade mit meinen direkten Liebsten spare ich gerne unangenehme Themen aus. Ich kann nicht alles gut diskutieren und offen aussprechen, das habe ich sicherlich von meinem Vater. Wenn es um die Probleme von anderen geht, bin ich der Typ, der sagt: "Ich kümmere mich, ich mache das schon." Doch es fällt mir schwer, über meinen persönlichen Kram zu sprechen. Ich will niemanden zumüllen mit meinen Problemen. Dabei weiß ich inzwischen, das Leben ist einfacher, wenn ich mich öffne und meine Sorgen teile.
Kannst du was mit dir anfangen, wenn mal nichts zu drehen, texten, einzusingen ist?
Schwer. Ich halte mich allein nur zwei Tage aus. Ich merke jetzt schon, den dritten Tag in der Isolation, dass ich übellaunig werde.
Hast du eine Ahnung, warum?
Ich reiche mir dann, brauche einen neuen Reiz, erschöpfe mich an mir selbst. Lange Urlaube halte ich auch nicht aus. Ich brauche andere Leute, neue Umgebungen. Hätte ich daran keine Freude, keine Lust auf ständig wechselnde Orte und Menschen, keinen Spaß daran, im Nightliner zu touren oder in Hotels zu leben, – dann wäre ich falsch in meinem eigenen Leben.
Sag mal, Thema Spaß, mit welchen Kolleg:innen kann man am besten feiern?
Mit Wincent Weiss und mit Ina Müller.
Feierst du heute anders als früher?
Ja, privater und versteckter.
Schon mal an der Clubtür abgewiesen worden?
Ja, ein peinlicher Moment. Ich habe versucht, die Welle an der Tür zu machen, weil die Schlange so lang war. Ich war schon leicht angetrunken und habe dann Wincent Weiss als Promi vorgeschoben. "Ihr müsst uns reinlassen, ich hab Wincent Weiss dabei." Hat nichts gebracht. Wir haben dann einfach woanders weitergefeiert.
Ina und du, ihr wohnt bewusst nicht zusammen. Was bedeutet dir Freiheit?
Zu jeder Zeit eine selbstbestimmte Entscheidung treffen zu können, das ist für mich Freiheit. Die künstlerische Freiheit habe ich mir lange erkämpft.
Bedeutet Freiheit für dich auch, frei zu sein von familiären Verpflichtungen, etwa der Vaterrolle?
Ich habe bewusst keine Kinder, weil ich dann meinen gesamten Fokus auf den Nachwuchs legen würde. Im Moment liebe ich meinen Beruf und meine Musik so sehr, dass ich nicht abwägen möchte zwischen meinem Musikerleben und einer Vaterrolle. Musik kann man nicht zu 50 Prozent machen, Vater sein auch nicht. Und ich würde niemand Fremdes zu Hause haben wollen, der sich um meine Kids kümmert. Ich sehe es bei Bandmitgliedern – mit einer Familie verschieben sich Prioritäten. Und diesen Konflikt will ich nicht. Ich will zu 100 Prozent ein Album schreiben, auf der Bühne stehen oder eben zu 100 Prozent Kinder erziehen.
Gerade wird das Leben für uns alle spürbar teurer. Die Kosten steigen für Strom, Gas, Benzin. Was heißt das für deine Planung der Tour "Plan A"?
Absolut ein Thema und eine große Herausforderung. Unsere Kosten haben sich schon jetzt um 40 bis 50 Prozent erhöht. Es ist gerade eine Lose-Lose-Situation für alle. Unsere Musik-Branche hat quasi Long-Covid. Und wir Künstler leiden alle darunter.
Dein Hut, dein Markenzeichen. Hast du mal darüber nachgedacht, dich davon zu lösen?
Den Hut habe ich gerne auf, damit bin ich im Auftrittsmodus. Aber bei "Sing meinen Song" oder in Talkshows sitze ich doch auch oft ohne da. Mit Hut muss ich nicht an mein Styling denken. Ich will nur nicht wie ein tragischer Berufsjugendlicher enden, der sein Cap rückwärts trägt.
Johannes, danke für das Gespräch und gute Besserung!
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 12/22.
Mehr Themen: