Weil Influencer:innen und Promis den Charme dicker Wälzer für sich entdeckt haben, gibt’s in Hollywood einen neuen Job: Buch-Stylist:innen versorgen die Stars mit smarter Lektüre. Aber wird damit auch das Lesen delegiert?
Passt die Tasche zu den Manolos? Fragt sich in Hollywood momentan kein Mensch mehr. Stattdessen: Passen die Manolos zum Buch? Bücher sind das neue Must-have: Topmodel Kaia Gerber interviewt auf Instagram (7,9 Mio. Follower) Autor:innen für ihren Buchclub. Etro schickt seine Models mit Büchern auf den Laufsteg. Valentino lud 2018 die Dichterin Rupi Kaur ein, um auf der After Show-Party zu lesen. Chanel veranstaltet Literatur-Panels, Charlotte Casiraghi hat den dazugehörigen Podcast "Les Rencontres" ins Leben gerufen. Kendall Jenner und Gigi Hadid werden von Paparazzi mit Büchern unterm Arm abgelichtet - und sorgen so für Rekordverkaufszahlen.
Der Trend ist nicht mehr aufzuhalten: Hübsche Hardcover sind die neuen It-Pieces. Aber meinen es wirklich alle Buchfluencer:innen ernst mit ihrer Liebe zur Literatur? Oft scheint das Motto nämlich eher zu lauten: Liest du noch – oder postest du schon?
Bücher als Statement-Piece
Bücher sind praktisch, um sich auf Social Media zu positionieren: Seht her, ich interessiere mich für Feminismus oder den Klimaschutz! Dafür muss man sie nicht unbedingt gelesen haben. Das verrät auch Jenna Hipp Spencer, Buch-Stylistin in Los Angeles: "Unsere Kund:innen sagen zu uns: "Ich will, dass die Leute denken, dass ich mich für diese Themen interessiere." Dabei interessieren sie sich selbst mehr dafür, wie sie mit Buch aussehen, als für die Bücher an sich." Für ihre Auftraggeber:innen stellt Jenna Büchersammlungen zusammen, die auch schon mal bis zu 200.000 Dollar kosten können.
Nun könnte man sagen, dass es der Literatur unwürdig ist, sie zum reinen Accessoire verkommen zu lassen. Fakt ist aber auch, dass gerade dieser Trend der krisengeschüttelten Buchbranche zu einem gigantischen Revival verholfen hat. Es ist längst bewiesen, dass die Aufmerksamkeitsspanne durch den Gebrauch von sozialen Medien immer geringer wird und deren Nutzer:innen zunehmend Probleme haben, komplexe Aufgaben mit dauerhafter Konzentration zu bearbeiten. Hektik, Stress und ständige Erreichbarkeit hält immer mehr Menschen davon ab, Bücher zu lesen. Auch fühlen sich viele von dem großen Angebot überfordert. Die Zahl der Buchverkäufe ist zwischen 2013 und 2017 um fast 18 Prozent gesunken. Wer hätte gedacht, dass dieser Abwärtstrend ausgerechnet durch It-Girls aufgehalten werden würde?
Zugegeben: Auch ich drapiere hübsche Bildbände und Bücher, die mir viel bedeuten, als Eyecatcher in meiner Wohnung. Das Herzstück meines Regals bildet die Bibliografie von Haruki Murakami. Er ist mein Lieblingsautor, aber es passt mir auch gut in den Kram, dass seine Hardcover so stylish aussehen.
Buchfluencer:innen – Schlecht fürs Image?
Warum also stoßen uns die neuen Buchfluencer:innen trotzdem irgendwie seltsam auf? Macht es wirklich einen Unterschied, ob jemand einen Detox-Tee bewirbt, oder ein neues wokes Taschenbuch?
"Designer waren schon immer auf der Suche nach Inspiration, in allen möglichen Bereichen der Kunst", sagt Karah Preiss, die die geheime Buch-Stylistin vieler Stars sein soll und zusammen mit ihrer Freundin Emma Roberts den Online-Buchclub "Belletrist" gegründet hat. "Ich glaube, jede Autor:in wäre glücklich, wenn Kendall oder Gigi ihre Bücher lesen würden. Diejenigen, die behaupten, dass Influencer schlecht fürs Image sind, halte ich für dumm." Denn tatsächlich: Wenn Kendall Jenner mit einem Buch in den Händen abgelichtet wird, ist das für dich Autorin oder den Autor wie ein Sechser im Lotto – und die garantierte Eintrittskarte in die Bestsellerliste. Auch ich habe mir sofort die Leseprobe von "Tonight I'm With Someone Else" von Chelsea Hodson auf meinen Kindle geladen, nachdem ich Kendall mit dem Essayband auf einer Yacht gesehen hatte, die jede zweite Seite mit einem Post-it markiert hatte.
Warum sollte sich die hohe Kunst der Literatur also nicht auch die Mechanismen des Social-Media-Marketings zu nutze machen? Sagt auch Schauspielerin und Lese-Fan Emma Roberts über die Gründung ihres Buchclubs: "Ich will für Bücher dasselbe tun, was Kylie Jenner für Lip Kits gemacht hat – alle wollen eins haben!"
Mehr Präsenz in sozialen Medien
Das mit dem Kaufimpuls scheint zu funktionieren. Und am Ende, das muss man knallhart sagen, interessiert die Verlage vor allem, wie oft sich ein Buch verkauft hat und nicht, wie oft es wirklich gelesen wurde. "Für den Erfolg des Buches kann eine Sichtbarkeit online oft ausschlaggebend sein", bestätigt auch Sabina Ciechowski, Marketingchefin beim Ullstein-Verlag. "Diese erreichen wir in den sozialen Netzwerken über bezahlte Anzeigen oder Kooperationen, aber auch mit der Unterstützung von Multiplikator:innen, die die Bücher vor dem Erscheinen von uns zugesandt bekommen." Empfehlungsmarketing in den sozialen Medien spiele eine große Rolle, der Effekt sei manchmal immens und spiegele sich dann in den Verkaufszahlen wider – er lasse sich allerdings kaum steuern. "Ob den Multiplikator:innen unser Buch tatsächlich gefällt, ob es einen Nerv trifft und sie die Begeisterung mit ihren Fans und Followern teilen, das können wir nur hoffen."
Auf viele mag es befremdlich wirken, dass der intime Akt des Lesens plötzlich so öffentlich gemacht wird. Es hat aber auch einen spannenden Vorteil: Wir können heute via Social Media einfacher mit unseren Lieblingsautor:innen in Kontakt treten und mit anderen Leser:innen über die Lektüre debattieren.
Für Schauspielerin und Produzentin Reese Witherspoon – eine der ersten, die auf Instagram (2,3 Mio. Follower) über ihre Lieblingsbücher sprach – ist ihre Lese-Community auch eine wichtige Testgruppe für künftige Filmprojekte: Sie spürt hier vor, welche Stoffe sich für Verfilmungen eignen. Nachdem ihre Follower etwa "Little Fires Everywhere" von Celeste Ng gefeiert hatten, machte sie für Amazon Prime eine preisgekrönte Serie daraus.
Selbstinszenierung durch Literatur
"Meine Philosophie ist, dass Bücher wiederspiegeln, wer wir sind", sagt der Buchstylist Thatcher Wine, zu dessen Kundinnen u.a. Gwyneth Paltrow, Laura Dern und Shonda Rhimes gehören. Das Problem sei, dass man bloß eins zurzeit lesen könne. Deshalb findet Wine es auch okay, sich auf einen Schlag gleich eine ganze Bücherwand zusammenstellen zu lassen, die zeige, wer man in Zukunft sein wolle. "Gwyneth hat vor ein paar Jahren ihren Wohnsitz umgestaltet", erzählt er. "Danach hat sie bemerkt, dass 500 bis 600 Bücher fehlen, um die neuen Regale vollzukriegen. Also habe ich geschaut, was sie bisher gelesen hatte." Diese Sammlung habe er vergrößert und mit Klassikern ergänzt. Büchern, die nicht zur Einrichtung passen, verpasst der Buchstylist kurzerhand neue Umschläge.
Übrigens: Kim Kardashian, die ihre Outfits ja gerne mal auf ihre Jura-Lektüre abstimmt, wurde neulich mit "Krieg und Frieden" in den Händen abgelichtet. Sofort hagelte es Häme: Das hat die doch nie im Leben gelesen! Aber: Wer weiß schon, ob der Reality-Star neben Selfies und Po-Implantaten nicht auch ein krasses Faible für russische Schriftsteller hat? Im Zweifel für die Angeklagte! Und solange diese Fotos auch nur einen ihrer Fans von TikTok zu Tolstoi gebracht haben, haben sie sich doch schon gelohnt.
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 08/09/22.
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