À-la-carte statt Garküche, Aussichtsplattform statt local bus, eleganter Komfort statt Bambushütte: Wie erlebt unsere Autorin, ihres Zeichens überzeugte Backpackerin, eine fünftägige Mittelmeerkreuzfahrt mit allem Chichi?
Backpackerin auf hoher See
Seit ich 19 bin, reise ich mit dem Rucksack um die Welt. Reisepass, Flip-Flops, Notizbuch, Stirnlampe einpacken und los geht’s. Mit kleinem Budget an möglichst entlegene Orte, die andere Touris selten zu sehen bekommen. Tief in fremde Kulturen eintauchen, mit Locals quatschen, immer auf der Suche nach einem kleinen Abenteuer. Aber diesen Sommer ist alles anders. Ich bin 37, hochschwanger und liege mit einer alkoholfreien Margarita auf einem Daybed an Deck der "Norwegian Viva", einem der größten Kreuzfahrtschiffe der Welt. Vor meinen Augen fliegt die Amalfiküste vorbei. Wie konnte es so weit kommen?
Kreuzfahrten: Glamour meets Nachhaltigkeit?
Zugegeben, von selbst wäre ich nie auf die Idee gekommen, eine Kreuzfahrt zu buchen, aber irgendwie hat mich die Einladung von NCL zur Jungfernfahrt ihres neuesten Schiffes dann doch gereizt. Ich wollte wissen: Wie nachhaltig kann so eine Reise heute sein? Und: Wie ist es so an Bord? Glamourös wie auf dem "Traumschiff", Rentner:innen-World – oder perfekt für einen erholsamen Solo-Trip?
Mein maritimes Mikro-Abenteuer beginnt im Hafen von Triest. Ich hatte mit Gedränge gerechnet. Aber nö. Ich gebe meinen Koffer ab und spaziere ganz entspannt an Bord. Über lange Korridore gelange ich zu meiner Kabine und bin erstmal geflasht: Von meinem Balkon blicke ich aufs glitzernde Mittelmeer und lasse mir den Wind um die Ohren wehen, während wir ablegen.
Ein Labyrinth an Bord
Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich benötige zwei Tage, um mich an Bord der "Viva" zurechtzufinden: 20 Decks, unzählige Treppen, Korridore, Fahrstühle, 13 Bars und Lounges, 15 Restaurants, Spa, diverse Pools, immersives Golf, Go-Kart-Bahn, Wasserrutschen, Kristallquarztherapie, Akupunktur-Kurs, Kunst, Luxusboutiquen, Karaoke, Botox-Behandlungen, Fotostudio, Starbucks … Die totale Reizüberflutung, aber gut verteilt: Von den 3.099 Passagier:innen und 1.500 Angestellten an Bord merkt man NICHTS. Ich kann an Deck spazieren gehen, ohne auch nur einer Menschenseele zu begegnen. Leere Infinitypools, freie Daybeds und Loungemöbel finden sich überall.
Erst, nachdem ich das Schiff halbwegs begriffen habe und weiß, wo ich morgens das beste Frühstück bekomme (Pancakes mit Blaubeeren), in welcher Bar ich mir tagsüber entkoffeinierten Kaffee ziehen kann und wo es zum Yoga geht, beginnt die Entspannung.
Reisebus und Ausflüge? Nee, danke!
Mein Highlight: Morgens den Vorhang aufziehen und überraschen lassen, welche Landschaft gerade vorbeizieht oder in welchem Hafen man angekommen ist. Es werden täglich verschiedene Landausflüge angeboten – vom Wine Tasting bis zur Ruinen-Tour durch Pompeji ist für jede:n etwas dabei. Ich gehe lieber allein von Bord – der Typ Reisebus bin ich nun echt nicht – und erkunde am zweiten Tag die Altstadt von Split, "Game of Thrones"-Drehorte spotten. Leider halte ich bei 36 Grad nicht lange durch und bin ganz froh, als ich wieder auf einer schattigen Liege an Bord liege. Huch, werde ich etwa spießig?!
Auf der Suche nach einer Tasse Tee
Manchmal fühle ich mich wie Asterix und Obelix im Haus, das Verrückte macht – auf der verzweifelten Suche nach Passierschein A38. Einmal wollte ich bloß einen Tee trinken. "Versuchen Sie es mal bei "Food Republic“ auf Deck 17", "Nee, hier ist gerade Pause, vielleicht in der Snackbar auf Deck 8? Sonst bei Starbucks oder ganz oben", "Haben Sie denn reserviert?", "Tee? Nein – aber wir haben tolle Cocktails!" Kein Wunder, dass meine Fitness-App durchschnittlich 17.000 Schritte pro Tag anzeigt. Ich darf also schamlos schlemmen.
Meinen ersten Abend verbringe ich in Mexiko, im Spezialitätenrestaurant "Los Lobos". Eine Mitarbeiterin bereitet vor meinen Augen frische Guacamole zu, dazu genieße ich Burritos und einen spektakulären Virgin Margarita.
Zero-Waste-Cocktails für die Umwelt
Übrigens gibt es an Bord ein "Zero-Waste-Cocktail"-Programm: alkoholische Getränke werden ausschließlich von Partner:innen bezogen, die nachhaltig und biodynamisch produzieren. Sirupe werden an Bord selbst hergestellt. Plastikflaschen sind tabu, bloß am Pool werden die Drinks noch in Einwegbechern ausgeschenkt. Wichtige Infos erhält man über eine App, um Papier zu sparen. Und in den Spezialitätenrestaurants muss man vorab reservieren, damit die Köch:innen besser planen können. 2022 bezogen die NCL-Schiffe 37 Prozent aller Lebensmittel aus regionalen Anbaugebieten in den Häfen ihrer Routen. Bei der Auswahl der Anbieter:innen wird großen Wert auf eine nachhaltige und ethisch verantwortliche Herstellung gelegt.
Das Klientel
Die "Generation Avocadotoast", also meine, ist an Bord wenig vertreten. Viele Pärchen, Familien mit Kindern und Leute, die Bock auf Daydrinking haben. Sie kommen aus den USA, Indien, Kanada, Italien, UK, Dänemark, der Schweiz und Deutschland. Die Musicalshow am Abend mit den größten Hits von Barbra Streisand und Elton John ist nicht so meins. Egal, der Sonnenuntergang ist für mich Entertainment genug. Einfach lesen, sonnen, Wellen gucken kann man hier wirklich gut. Weit weg vom Familienpool und den Burger-Grills, versteht sich.
Einen Dresscode gibt‘s beim Essen nicht. Wenn du Lust auf Burger und Bier in Badehose hast, gehst du in die Snackbar. Im italienischen Spezialitätenrestaurant "Onda" (weiße Tischdecken, Kronleuchter) trifft man auf Damen in bodenlangen Roben. Familien bevorzugen die Buffets.
Ein wenig Abschalten auf dem Festland
Nach einem entspannten Seetag passieren wir die Straße von Messina, zwischen Kalabrien und Sizilien, und erreichen Salerno. Ich fahre für 10 Euro mit der lokalen Fähre ins zauberhafte Örtchen Amalfi, wo viele Stars den Sommer verbringen. Endlich authentisches Dolce Vita! Ich bade im Meer, genieße ein Zitroneneis und flirte mit dem italienischen Kellner. Ein schöner Kontrast zum Schiff, auf dem alles so neu, supermodern und irgendwie surreal wirkt.
Abends lasse ich mich von einem japanischen Showkoch bespaßen, während draußen Capri vorbeizieht. Der Blick ist einmalig und ich werde wehmütig, weil morgen schon wieder alles vorbei ist.
Wieviele CO2 verbraucht man auf so einer Kreuzfahrt?
Meine fünftägige Kreuzfahrt auf der "Norwegian Viva" verbraucht laut myclimate.org insgesamt 1,4 Tonnen CO2. Der Flug von Hamburg nach Trieste via Frankfurt nochmal 0,29 Tonnen CO2. Um den Klimawandel aufzuhalten, darf ich maximal 6 Tonnen pro Jahr produzieren. Für den Rest des Jahres fahre ich also lieber Fahrrad.
Klimaziele & Nachhaltigkeit
Würde ich es wieder tun? À-la-carte statt Garküche, Aussichtsplattform statt local bus, eleganter Komfort statt Bambushütte – all das ist perfekt, wenn man mal wirklich entspannen will. Eine Kreuzfahrt ist für mich trotzdem nur mit dem Gewissen vereinbar, wenn ich weiß, dass die Reederei ernsthaft daran arbeitet, die Klimaziele des Pariser Abkommens zu erreichen.
Um das Geschäftsmodell Kreuzfahrten an die Natur-, Umwelt- und Klimaschutzanforderungen anzupassen, ist laut NABU der Umstieg auf emissionsfreie Antriebstechnologien bis spätestens 2040 notwendig. Und wie sieht’s bei NCL aus? Bis 2025 sollen erste Schiffstests mit grünem Methanol laufen, welches zum Beispiel aus Wind- und Solarenergie gewonnen wird. "Im Vergleich zu herkömmlichen Kraftstoffen können dadurch 95 Prozent der CO2-Emissionen eingespart, Stickoxidemissionen um bis zu 80 Prozent reduziert und die Schwefeloxid- und Feinstaubemissionen vollständig eliminiert werden", sagt Kevin Bubolz, Vice President & Managing Director Continental Europe, Middle East & Africa bei NCL. Allerdings müsse mehr Infrastruktur für grünes Methanol geschaffen werden, damit es sich in der gesamten Schifffahrt durchsetzt.
NCL hat bereits zwei neue Schiffe bestellt, die 2027/2028 fertig sein sollen. "Unser Ziel ist es, die bestehende Flotte umzurüsten, anstatt eine komplett neue Flotte aufbauen zu müssen“, so Bubolz. "Bis spätestens 2050 müssen wir als Industrie netto null sein, um die Klimaziele des Pariser Abkommens erfüllen und das 1,5-Grad-Ziel zu erreichen zu können. Das gilt für die gesamte Wertschöpfungskette, auch die Flüge."
Wenn es soweit ist, habe ich das richtige Klischee-Alter für Kreuzfahrten erreicht – 64. Auf die „Viva“ hätte ich schon eher wieder Lust. An Bord gibt es nämlich auch eine super Kinderbetreuung.