Schauspielerin Hannelore Elsner ist tot. 2011 sprach sie im Interview mit uns über Ehrlichkeit, das Berühmtsein und interessante Rollen.
Hannelore Elsner - sie war eine der bekanntesten deutschen Schauspielerinnen. Am Ostersonntag ist Hannelore Elsner im Alter von 76 Jahren gestorben. Im März 2011 war sie die Coverfrau der EMOTION und sprach im Interview mit uns über Ehrlichkeit, das Berühmtsein und interessante Rollen. Hier könnt ihr noch einmal das ganze Interview nachlesen.
EMOTION: Wie ehrlich sind Sie in Interviews, Frau Elsner?
Hannelore Elsner: Ich bin total ehrlich. Wenn ich sage, dass ich über etwas Persönliches nicht sprechen will, weil ich einfach finde, dass es Dinge gibt, die mir gehören oder meiner Familie oder meinen Freunden, dann heißt das noch lange nicht, dass das, was ich auf eine Frage antworte, nicht ehrlich ist.
Sind Sie der diplomatische
Typ? Oder sagen Sie lieber geradeheraus, was Sie denken und fühlen?
Leider bin ich oft undiplomatisch. Ich habe einfach keine Lust, davon auszugehen, dass mich jemand reinlegen will. Das mag ich nicht. Und weil ich nicht misstrauisch bin, bin ich eher geradeheraus.
Bedeutet das, dass Sie ein ehrlicher Mensch sind?
Ich finde, Sie stellen ziemlich bohrende Fragen – ich bin schon ein ehrlicher Mensch. Und ich finde das Thema interessant ...
Was interessiert Sie denn daran?
Ehrlichkeit hat für mich etwas mit Ehre zu tun, mit Wahrhaftigkeit, mit Achtsamkeit und Verantwortung, alles Eigenschaften, die mir gefallen. Außerdem hat Ehrlichkeit auch etwas mit Genauigkeit zu tun. Genauigkeit mag ich sehr. Das habe ich auch gelernt in meinem Beruf: genau zu denken, zu fühlen, zu überlegen. Sogar im Chaos genau zu sein.
Welche Werte sind Ihnen noch wichtig?
Also diese allgemeine Wertediskussion, die langweilt mich inzwischen zu Tode. Ich finde, Ehrlichkeit, Achtsamkeit und Genauigkeit sind schon ziemlich viel. Was soll ich jetzt noch sagen? Gutsein, oder was (lacht)? Über die Banker möchte ich nicht reden, dazu habe ich keine Lust. Über Politiker auch nicht. Über die wird Tag und Nacht und jeden Abend gequatscht ...
... wie wäre es zum Beispiel mit „Früher war alles besser“!
Oh Gott, nein. Ich lass mich doch nicht auf so ein Schubladendenken ein. Ich will jeden Tag neu sein. Ich will auch immer wieder alles neu erleben. Übrigens fällt mir gerade ein, dass der portugiesische Dichter Fernando Pessoa einmal gesagt hat: „Die Lüge ist eine Ungenauigkeit.“ Das gefällt mir.
Sie haben eine große Liebe zu Literatur und Poesie.
Ja, da muss man eben auch genau sein. Gerade wenn man Lesungen macht. Meine Aufgabe ist es dann zu ergründen, was der Autor wirklich gemeint hat. Es zumindest versuchen. Ich bin dann sozusagen ein Medium für den Text.
Benutzen Sie gelegentlich Ausreden oder Verlegenheitslügen?
Es geht in diesem Interview doch nicht um Notlügen. Für mich müssen Situationen stimmen. Zum Beispiel auch hier bei den Fotos. Ich kann mich nicht einfach hinstellen und irgendeine Pose versuchen. Das muss aus meinem Innersten kommen.
Fühlen Sie sich denn auf den Fotos erkannt, die wir heute von Ihnen gemacht haben?
Ich habe mich bei den Aufnahmen gut gefühlt. Da sind ja viele Kräfte am Werk: der Fotograf und seine Kamera, die Hundertstelsekunde, in der er mich gerade wirklich erwischt hat oder eben nicht. Man muss sich zeigen, sich verschenken. Das ist sehr intim. In einer Filmrolle habe ich es leichter.
Weil Sie sich da geschützt fühlen?
Kann sein. Die Rolle, das bin ja auch immer ich, alle meine Facetten. Man kann alles von sich zeigen und geben und ist trotzdem geschützt durch die Rolle.
Sie gelten als Charakterschauspielerin. Muss man sich das nicht hart erarbeiten?
Ja, klar. Man muss überhaupt hart daran arbeiten, so lan- ge zu leben und so lange im Beruf zu sein (lacht). Das ist nicht so einfach. Doch ich glaube, dass ich tatsächlich von Anfang an eine Charakterdarstellerin war, auch in jungen Jahren. Aber natürlich bekomme ich jetzt die interessanteren Rollen.
Wie sieht eine interessante Rolle für Sie aus?
Tief. Dramatisch. Existenziell. Klug. Ehrlich.
Welche Bedeutung hatte Ehrlichkeit in Ihrer Familie?
Darüber will ich nicht reden. Das ist ein viel zu großes Thema.
Und in der Erziehung?
Es ist doch eine ganz normale Eigenschaft, einigermaßen ehrlich zu sein und nicht dauernd zu lügen.
Kleinen Kindern muss man es erst beibringen ...
Aber darüber spreche ich doch gar nicht. So verstehe ich auch das Wort Ehrlichkeit nicht. Mich interessiert auch eher die Seite der Ehrlichkeit als die Seite der Unehrlichkeit.
Ehrlichkeit kann manchmal ziemlich langweilig sein.
Das klingt mir jetzt zu katholisch. Ich denke, auch ein Ma- fiaboss kann sehr ehrlich sein. Und natürlich kann es in meiner Ehrlichkeit die irrsinnigsten Abgründe geben. Hier ist von Wahrhaftigkeit die Rede. Es ist auch möglich, in seinen Abgründen wahrhaftig zu sein. Oder im Schmerz. Das hat nichts mit Langeweile und Gutmenschentum zu tun. Ich meine mit Ehrlichkeit ein Gefühl, das nicht mit einer öffentlichen, sondern mit der allereigensten Moral zu tun hat.
Können Sie Ihre eigenste Moral benennen?
So eine einfache Frage und so eine schwierige Antwort. Ich meine das im Sinne von: es ehrlich miteinander zu meinen. Das hat nichts damit zu tun, ob Kinder lügen oder nicht. Auch nicht damit, ob und wie mir in der Schule gesagt wurde, dass ich nicht lügen darf, sondern ehrlich sein muss. Als Kind war ich wahrscheinlich nur ängstlich – ach, was weiß ich ... Nein, das sage ich jetzt nicht. Ja, es gibt viele Dinge, die ich einfach nicht sagen will, weil sie missverstanden werden. Ich möchte nicht, dass das dann wahnsinnig viele Leute beäugen und sich darüber austauschen. Denn irgendwann gibt es mich dann gar nicht mehr, mit allem, was ich jemals gesagt habe.
Sie müssen sich bewahren?
Ob ich das muss, weiß ich nicht. Aber ich will. Unbedingt. Ich habe ja einen Beruf, in dem ich mich verschenke und hingebe. Ich tue alles, damit das Publikum mich in dem erleben kann, was ich gerade tue. Und ich muss mich hinterher schon immer ein bisschen zusammensammeln. Man gibt da viel von sich her ... Ich weiß nicht, warum die Leute so wahnsinnig insistieren und so vieles immer und immer wieder so genau wissen wollen, bis man völlig zerschlagen ist, bis nichts mehr übrig bleibt. Und das darf man nicht zulassen. Das ist gar kein Plan, das ist ein Instinkt.
Die Leute sehen Sie in verschiedenen Rollen und wollen wissen, welcher Mensch dahintersteckt.
Wieso denn? Ich zeige denen doch alles!
Es gibt magische Momente und die darf man nicht zerreden. Es ist wie im Märchen, da darf man auch nicht alles aussprechen.
Hannelore Elsner, SchauspielerinTweet
Nennen Sie es Neugierde oder, bösartig, Voyeurismus.
Okay, das kann ja sein. Aber ich muss das nicht bedienen. Und wenn, dann zu meinen Regeln. Es gibt magische Momente und die darf man nicht zerreden. Es ist wie im Märchen, da darf man auch nicht alles aussprechen.
Wie ehrlich sollte man in einer Beziehung sein?
Was heißt sollte. Die meistens sind’s ja irgendwie nicht. Aus lauter Angst. Man müsste erst mal die Angst loswerden, dann wäre man automatisch ehrlich.
Und sich selbst gegenüber?
Wenn ich es mir genau überlege, muss man schon sehr, sehr bei sich sein. Und den Mut haben, wirklich auf sich zu schauen. Ich denke, es ist auch ehrlich zu sagen: Wenn ich etwas Gutes tue, dann tut mir das ebenfalls gut.
Sie tun auch offiziell Gutes: Sie engagieren sich.
Ja, für Karuna e. V., das ist ein Verein für Kinder und Jugendliche, die keine Heimat haben – in jeder Beziehung. Jetzt wird gerade eine Bildungsstätte für Straßenkinder in Brandenburg gebaut, eine Straßenkinder-Akademie. Dort können Jugendliche sich aussuchen, womit sie sich beschäftigen wollen: mit Philosophie, Literatur, Musik, schönen Künsten, praktischen Künsten.
Auch für die Deutsche Aidsstiftung setzen Sie sich ein.
Schon ganz lange und sehr gerne. Ganz am Anfang habe ich Lesungen gemacht, in Hospizen. Und das war sehr berührend für mich und wichtig. Eine tiefe Erfahrung. Ich hatte Angst, dass ich störe. Aber ich wurde mit offenen Armen aufgenommen. Das hat mich glücklich gemacht.
Ich bin im Allgemeinen sehr gut darin zu unterscheiden, ob ich wirklich willkommen bin oder nur, weil ich eine be- kannte Persönlichkeit bin. Ich erlebe es psychisch und physisch. Manchmal fühlt es sich an, als ob ich richtig hohe Mauern durchbrechen muss. Wenn ich irgendwo ankomme, mich ganz nackt fühle und gleichzeitig aber auch gewappnet bin. Es strengt mich manchmal sehr an, den Leuten klarzumachen, dass ich jemand anderer bin, als sie es sich vorstellen. Dass sie doch gefälligst mich anschauen sollen: mich.
Können Sie sich erinnern, wie es angefangen hat mit dem Berühmtsein?
Ich weiß nicht mehr, wann der genaue Zeitpunkt war. Aber ich weiß, dass es schon ganz lange so ist. Ich will mich darüber ja auch gar nicht beklagen, ich freu mich, dass die Leute mich gerne sehen. Außerdem habe ich oft erlebt, dass Beleuchter oder andere Kollegen am Filmset nach ein paar Tagen sagen: „Mensch, du bist ja eigentlich ganz nett, ganz normal.“ Und ja, ich bin ganz normal, ich gehe einkaufen, koche, latsche meine fünf Stockwerke nach oben ...
Haben Sie Erinnerungen an Ihr Leben vor dem Ruhm?
Eigentlich war ich ziemlich schnell berühmt (lacht). Ich habe schon mit 19 Jahren die beiden Filme „Endlose Nacht“ und „Stahlnetz“ gedreht. Und ich habe Theater in Berlin und München gespielt. Natürlich haben mich da bereits ein paar Leute auf der Straße gekannt. Aber das meine ich gar nicht.
Sondern?
Man redet sich um Kopf und Kragen – jedes Mal bei einem Interview. Ich bin nicht so, wie ich bin, weil ich Schauspielerin bin, sondern weil ich so bin, wie ich bin. Dazu fällt mir eine Erinnerung ein: Ich wohnte noch in München, hatte irgendeinen Trainingsanzug an, in Pink, glaube ich, und kam gerade vom Einkaufen. Mein Sohn Dominik war noch klein und hielt sich am Fahrradlenker und den daran hängenden Plastiktüten fest. Da kamen wir an einem Zeitungskasten vorbei und sahen, dass ich auf dem Titelbild des Fernsehteils der Zeitung war. Dominik sagte: „Mama, das bist ja du.“ Und ich sagte: „Tatsächlich. Das nehmen wir jetzt mal mit. Und dann fahren wir nach Hause, legen uns auf den Boden und schauen uns das an.“ So war das. Und so ist das Leben.