Feminismus im Gaming? Ja, das ist ein Thema! Wir haben mit einer Expertin über traditionelle Rollenklischees im Medium Videospiel gesprochen und darüber, wie die Industrie die Reproduktion von Vorurteilen beenden kann.
Es ist der Klassiker: Gefangen im Hamsterrad des Alltags schauen wir häufig nicht über unseren Tellerrand. Doch dann verpassen wir Feminismus-Debatten, die nicht zum eignen Instagram-Algorithmus passen. Darüber hat sich unsere Autorin Gedanken gemacht und beschlossen, sich raus aus ihrer "Bubble" zu bewegen. Dafür hat sie mit der Genderforscherin und Gamerin Finja Walsdorff über feministische Forderungen im Gaming gesprochen. Wie festgefahren sind traditionelle Rollenbilder im Medium Videospiel? Was hat die #Metoo-Debatte damit zu tun und wie sieht die Gleichberechtigung eigentlich im professionellen eSports-Bereich aus?
"Zocken" gilt als Männer-Hobby. Aber spielen denn tatsächlich mehr Männer als Frauen Games?
Die Geschlechterverteilung unter den Spielerinnen und Spielern hat sich stark angeglichen. Mittlerweile machen spielende Mädchen und Frauen in Deutschland fast die Hälfte des Spielepublikums aus. Innerhalb der Genres lassen sich aber noch Unterschiede feststellen. Vor allem in bis heute eher männlich konnotierten Spielgenres, zum Beispiel in Shootern oder auch in Sportspielen wie FIFA, sind Frauen noch nicht so stark in der Spieler:innenschaft vertreten.
Wie wird die stereotype Frau im Gaming dargestellt?
Weibliche Figuren traten in Spielen lange vor allem in Nebenrollen auf und waren oft dekoratives, auf Klischees reduziertes Beiwerk. Exemplarisch dafür ist die Opferrolle der Damsel in Distess, also die Jungfrau in Nöten, die gerettet werden muss – meistens vom männlichen Helden, dessen Heldenreise sie in ihrer Not den Antrieb gibt. Ein bekanntes Beispiel für dieses Bild der "Frau als Motivation" ist Prinzessin Peach aus der Super-Mario-Reihe. Darüber hinaus werden Frauen besonders erotisch inszeniert und überstilisiert – und adressieren dabei vor allem den heterosexuell-männlichen Blick. Bis heute sehen wir in Spielen vor allem junge, makellose weiße Frauen, die einem gewissen normativen Schönheitsbild entsprechen.
Was heißt das? Wie sehen diese Frauenkörper aus?
Die Frauendarstellung in Mainstream-Videospielen war lange vor allem durch knappe Kostüme und überproportionale Körperrundungen geprägt, die durch eindeutige Kamera-Zooms in Szene gesetzt werden. Ich denke da an Lara Croft als Sexsymbol der 90er und 2000er Jahre – auch weit über das Gaming hinaus. Diese hypersexualisierte Frauendarstellung findet sich bis heute im Medium Videospiel, wenn auch seltener. Manche Figuren fallen in diesem Kontext aber besonders auf und werden kritisch diskutiert – zuletzt etwa die Figur Bayonetta aus dem gleichnamigen Spiel, die bekannt für ihr hypersexualisiertes Auftreten und ihre zum Teil pornographischen Posen ist. Ein anderes Beispiel betrifft die Bekleidung in Kampf- und Fantasy-Spielen: Bis heute sollen Frauen darin zum Teil im Bikini in den Kampf ziehen, während Männer eine richtige Ausrüstung tragen dürfen.
Hat sich an der Darstellung etwas verändert?
Ja. Digitale Spiele haben sich deutlich weiterentwickelt. Auch Mainstream-Entwicklerstudios bemühen sich um mehr Repräsentation. Das liegt unter anderem daran, dass Frauen als lukrative Zielgruppe identifiziert worden sind – sowie an den feministischen Debatten, die seit Jahren rund um das Medium geführt werden. Inzwischen sehen wir in Spielen mehr Vielfalt, die nicht nur die Darstellung von Frauen, sondern beispielsweise auch die Repräsentation der LGBTQ+-Community betrifft. Gerade im Bereich Gender zeigt sich heute also ein progressiveres Bild. Mit Blick auf andere Dimensionen von Diversität besteht im Gaming aber noch deutlicher Handlungsbedarf seitens der Spieleindustrie.
Wie wird der typische Mann dargestellt?
Auch in der Männerdarstellung in digitalen Spielen gibt es Stereotypisierungen, die reproduziert werden. Während Frauen oft in Opferrollen inszeniert werden, treten männliche Figuren eher in machtvollen Positionen auf. Männer sind also das Subjekt, während Frauen in der Darstellung oft zum Objekt degradiert werden. Traditionell sehen wir im Videospiel viele Männer, die furchtlos, rational und mutig sind, eben Beschützer. Reproduziert wird dabei ein vermeintliches Idealbild von hegemonialer Männlichkeit. Diese Dominanzposition, in der Männer in Spielen oft dargestellt werden, kann problematisch sein und ein verzerrtes Selbstbild verursachen. Ich denke da zum Beispiel an den allgegenwärtigen "Men are tough"-Stereotyp, bei dem davon ausgegangen wird, dass Männer immer stark und sogar emotional gleichgültig sein müssen. Das kommt beispielsweise in Shootern zum Ausdruck, die oft in Kriegsszenarien spielen, in denen sich ganz traumatische Dinge ereignen, die aber den Soldaten überhaupt nicht berühren – außer er muss eine Frau retten. Diese Rettung wird dann auch mal als emotionales Szenario gezeigt.
Finja Walsdorff forscht und lehrt an der Universität Siegen im Bereich Medien & Kommunikation/ Gender Media Studies. In ihrer Dissertation beschäftigt sie sich mit kreativ-konstruktiven Nutzungsformen des digitalen Spiels aus Gender-Perspektive und untersucht dabei unter anderem die deutschsprachige Streaming-Kultur.
Spielen Frauen lieber Frauen-Figuren und Männer lieber männliche?
Riot Games, das Entwicklerstudio von League of Legends, hat vor Kurzem bekannt gegeben, dass über 90 Prozent der weiblichen League-of-Legends-Spielerinnen weibliche Avatare wählen. Bei männlichen Spielern ist die Wahl Riot Games zufolge ausgewogen: Hier werden etwa zu fünfzig Prozent weibliche und zu fünfzig Prozent männliche Figuren gewählt.
Es ist also nicht so, dass niemand diese Frauenrollen spielen will. Was man ja denken könnte, wenn Frauen immer in der Opferrolle sind.
Da die Frauendarstellung in Spielen mittlerweile progressiver geworden ist und weibliche Figuren darin nicht mehr nur in einseitigen Rollen auftreten, kann es unabhängig vom eigenen Geschlecht interessant sein, eine weibliche Rolle zu übernehmen. Manchmal hat man auch gar keine Wahl mehr, weil ein Spiel ausschließlich eine weibliche Protagonistin beinhaltet, zum Beispiel in Horizon Zero Dawn. Und manche Spiele bieten mittlerweile auch Identifikationsfiguren über die binäre Geschlechterordnung hinaus an. Wenn Entwickler:innen sich hier positionieren, führt das aber immer wieder auch zu negativen Konsequenzen und Shitstorms seitens des Publikums. Beispielsweise wenn es nur eine weibliche Hauptfigur gibt, die nicht sexualisiert dargestellt wird, oder wenn nicht-binäre und trans Figuren im Fokus stehen. Während geschlechtliche Vielfalt in digitalen Spielen heute mehr Berücksichtigung findet und marginalisierte Spieler:innen immer sichtbarer werden und aktiv partizipieren, gibt es leider weiterhin Teile vor allem der männlichen Spielerschaft, die mit dieser Entwicklung nicht umgehen können.
Wie äußert sich das?
Sexismus und genderspezifische Diskriminierung sind innerhalb der Spieleindustrie und der Spielkultur strukturelle Probleme. In empirischen Studien wird beispielsweise die Allgegenwärtigkeit von sexistischem Hate Speech im Online-Gaming dokumentiert, während 2020 die #MeToo-Bewegung der Games-Industrie für Aufsehen sorgte. Weibliche Spielerinnen berichten häufig von Erfahrungen mit Ausgrenzung, Sexismus und sexueller Belästigung im Gaming. Eine Konsequenz ist, dass diese Spielerinnen sich gar nicht mehr als weiblich zu erkennen geben und in Online-Spielen beispielsweise nicht mehr am Voice Chat teilnehmen, ihr Mikro also immer ausstellen. Das wiederum schließt sie dann aber vom Hobby aus, denn viele Online-Spiele basieren darauf, dass man sich untereinander austauscht, damit man überhaupt erfolgreich sein kann. Gerade im sportlichen Bereich.
Apropos sportlicher Bereich: Überträgt sich dieser Sexismus in die Wettkämpfe?
Ja. Hier berichten die Spielerinnen Ähnliches, das Muster setzt sich hier fort. Es besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit, in gemischtgeschlechtlichen Teams zu spielen. Weibliche E‑Sportlerinnen berichten hier aber zum Teil von einer Benachteiligung, weil sie beispielsweise Probleme bei der Teamfindung haben, innerhalb der Teams diskriminiert oder sogar bei öffentlichen Turnieren online beleidigt und belästigt werden. Insgesamt gibt es noch wenige Frauen im E‑Spitzensport und darum leider wenige weibliche Vorbilder.
Welche Rolle spielt dabei die Sozialisierung?
Eine große! Wer bekommt Zugang zu den Konsolen und wer wird von den Eltern gefördert? In meiner Forschung spreche ich mit E-Sportlerinnen, die erzählen, dass "Zocken" in ihrem Umfeld und auch bei den Eltern als "Hobby für Jungs" gilt, und dass sie deshalb teilweise erst sehr spät mit dem Gaming in Berührung gekommen sind. Die männlichen Kollegen, die oft schon seit dem Kindesalter spielen, bringen also von vornherein andere Erfahrungen mit.
Wie kommt man dagegen an?
Eine Lösung, die auch im deutschsprachigen Raum immer mehr Anklang findet, sind reine Frauenmannschaften oder Teams mit weiblichen und nicht-binären Spieler:innen. In diesem Kontext habe ich zum Beispiel das von der "Equal eSports Initiative" geförderte Team Avarosa (SK Gaming) kennengelernt und dessen Bootcamp in Köln besucht. Hier werden Spieler:innen trainiert und für eine Karriere im professionellen E-Sport gecoacht. Die von der Deutschen Telekom, SK Gaming und der esports player foundation gegründete Equal eSports Initiative bietet Spieler:innen ein wichtiges Sprungbrett – und es ist durchaus möglich, dass diese nach der Förderung und mit den erlernten Skills und Coping-Strategien in ein gemischtes Team wechseln. Die Partizipation an einem Female-/Non-binary-Team wird von einigen Spieler:innen aber auch als besonders positiv und als "Safe Space" hervorgehoben, sodass ein Wechsel nicht immer die oberste Priorität ist. Eins haben meine Gespräche aber gezeigt: Die Spieler:innen haben große Lust darauf, gegen reine Männer-Teams anzutreten und sich mit diesen zu messen.
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