Eine Entführung, zwei Perspektiven, zwei Filme: "Ferdinand von Schirach: Feinde". Darsteller Bjarne Mädel verrät, was ihn an der Perspektive seines Charakters gereizt hat und was die Filme uns über Gerechtigkeit, Intuition und Meinungsaustausch lehren können.
Ein Fall, zwei Perspektiven, zwei Filme: "Ferdinand von Schirach: Feinde" wurde gleich zweimal verfilmt. Nach der Entführung eines zwölfjährigen Mädchens folgt einer der Filme dem ermittelnden Kommissar Peter Nadler (Bjarne Mädel) bei seinem Wettlauf gegen die Zeit, der andere dem Strafverteidiger Konrad Biegler (Klaus Maria Brandauer). Am Ende beider Filme stehen sich die beiden vor Gericht gegenüber. Die übergeordnete Frage: Was ist Recht und was Gerechtigkeit?
Die Filme werden am Sonntag, 3. Januar 2021, um 20:15 Uhr im Ersten und zeitgleich in allen Dritten Programmen der ARD und bei ONE ausgestrahlt. Alle genauen Sendetermine und Angebote findet ihr hier.
EMOTION: Herr Mädel, die beiden Protagonisten der Filme "Feinde", Strafverteidiger Konrad Biegler und Kommissar Peter Nadler, stehen stellvertretend für zwei Sichtweisen: Recht und Gerechtigkeit. Würden sie die beiden als überspitzte Personifizierungen derer bezeichnen?
Bjarne Mädel: Ja, das kann man so sagen. Schirachs Geschichten sind oft Versuchsanordnungen. Da geht es weniger um die Figuren als Individuen und mehr um das, wofür sie stehen. Die Szenen vor Gericht befassen sich mit genau diesem Widerspruch, in dem man sich da befindet. Ich kann aber natürlich keine Idee spielen, ich spiele einen Menschen. Die spannende Herausforderung bei diesem Teil der Filme, diesem Kammerspiel, war, den Bogen zu ergründen, wie der Mensch Nadler immer mehr unter Druck gerät. Und das hat großen Spaß gemacht. Ich habe insofern also gar nicht so sehr darüber nachgedacht, wofür der Charakter steht, sondern die Situation bedient.
Es ist schon sehr spannend, dass man ein persönliches Gerechtigkeitsempfinden haben kann, das rechtlich gesehen falsch ist.
Bjarne MädelTweet
Könnte das Verhalten der Charaktere vor Gericht ein positives Beispiel für angeregten Meinungsaustausch im echten Leben sein?
Ich hoffe, dass das Projekt nicht so verpufft wie manch normaler Spielfilm. Das Projekt ist ja etwas ganz Besonders und richtig groß angelegt, wird auf verschiedenen Kanälen gleichzeitig gesendet. Ich hoffe, dass hinterher ein Austausch stattfindet und wirklich darüber geredet wird. Dass man überlegt, wie man selbst gehandelt hätte – und da hat mein Charakter moralisch glaube ich viele auf seiner Seite – aber dass man sich auch über die unterschiedlichen Haltungen unterhält. Wenn man in einem Rechtssystem wie unserem lebt, muss man sich ja an die Gesetze halten, die man sich selbst auferlegt hat. Es ist schon sehr spannend, dass man ein persönliches Gerechtigkeitsempfinden haben kann, das rechtlich gesehen falsch ist. Dass gefühlt alle als Verlierer aus etwas herausgehen können, was richtig ist. Meine Figur mag der moralische Gewinner sein, aber er hat natürlich einfach nicht recht und bleibt eine ganz tragische Figur. Am Ende bleibt ein Verlust und ein tragisches Gefühl im Bauch zurück.
Und trotzdem ist es ein schönes Beispiel dafür, dass außerhalb des eigenen Tellerrands auch eine berechtigte Meinung stattfindet und dass die klassische Trennung zwischen richtig und falsch nicht immer gegeben ist, oder?
Genau, das finde ich auch so faszinierend an diesem Projekt! Man ist sich sicher, dass der eine recht hat, und dann guckt man sich die andere Seite an und denkt: Scheiße, der hat ja auch recht! Das Leben ist eben nicht immer so einfach. Dazu kommt in diesem Fall, dass das Ganze einen tragischen Unfall beinhaltet, was es noch komplizierter macht. Meine Figur sagt an einer Stelle, der Täter sei ein durch und durch verkommener Mensch – das finde ich persönlich ein bisschen übertrieben. Natürlich ist seine Tat verwerflich, aber es war nicht in seinem Sinne, dass alles so endet, wie es endet. Und das macht es auch noch einmal schwieriger, ihn und sein Verhalten zu verurteilen. Total geschickt geschrieben von Schirach, dass man eben nicht genau weiß, auf welcher Seite man denn jetzt steht.
Gibt es eine Reihenfolge, in der Sie die Filme empfehlen würden? Ich habe zuerst den Teil aus Ihrer Perspektive geschaut.
Aus ganz egoistischen Gründen würde ich immer meinen Film zuerst gucken – weil man dann noch wacher ist am Abend. (Lacht.) Es würde mich aber wirklich interessieren, wie der Fall wahrgenommen wird, wenn man zuerst die Perspektive des Verteidigers sieht.
Ja, das würde mich nämlich auch interessieren, aber das werden wir ja nie herausfinden.
Nee, für uns ist es zu spät. Ich habe aber das Gefühl, wenn man die Perspektive des Polizisten zuerst guckt, ist man möglicherweise bei der Gerichtsverhandlung noch gespannter. Wenn man den Biegler-Film zuerst guckt, denkt man vor Gericht dann im Nadler-Film vielleicht: Ich hab das doch jetzt alles schon einmal durchgemacht. Da verlässt das Publikum vielleicht ein bisschen die Spannung. Wobei es trotzdem interessant ist, zu sehen, wie der Polizist immer mehr unter Druck gerät… Aber das ist eben die Krux, dass man das nur einmal entscheiden kann.
Das ist ein gutes Stichwort. In seinen Entscheidungen lässt sich ihr Charakter stark von Intuition leiten. Wie ist das bei Ihnen, tun Sie das auch? Mit gutem Bauchgefühl?
Ja, auch immer mehr, mit zunehmendem Alter. Früher war es schon mal so, dass ich bei einem Theaterprojekt mitgemacht habe, von dem ich eigentlich vorher schon wusste, dass es nicht so richtig mein Ding ist. Aber aus irgendwelchen Gründen dachte ich, ich müsse mich herausfordern, obwohl es sich nicht richtig angefühlt hat. Diesem Gefühl versuche ich immer mehr zu vertrauen. Grundsätzlich bin ich aber lieber bei einem Experiment dabei, das vielleicht scheitert oder nicht ganz gelingt, aber das etwas riskiert, als auf Nummer sicher zu gehen. Da versuche ich, auf meine Intuition zu hören. Privat hat man ja auch so Momente. Wenn man Auto fährt zum Beispiel und das Gefühl hat, die nächste Kurve könnte eng werden, und langsamer wird und genau in dem Moment kommt einem ein LKW entgegen. Auf ein gesundes Bauchgefühl zu hören ist also nie verkehrt.
Würden Sie sich allgemein denn eher als rational oder irrational beschreiben?
EMOTION fragt, ob ich eher von Emotionen oder vom Kopf gesteuert bin? (Lacht.) Das ist glaube ich immer eine Mischung bei mir. Ich gebe meinem Gefühl schon gerne nach, aber es ist nicht so, dass ich völlig gedankenlos in Sachen reinschlittere. Es ist schwer zu sagen, aber wenn ich es generell beantworten müsste, würde ich sagen, ich bin eher ein emotionaler Typ. Ich würde eher nach Gefühl entscheiden als nach reiner Vernunft.
Noch mehr Bjarne Mädel gefällig? Seinen neuen Film "Sörensen hat Angst" seht ihr ab dem 20. Januar 2021 im Ersten. Darin spielt Mädel einen Kommissar mit Angststörung, der sich von Hamburg nach Friesland versetzen lässt – mit der vergeblichen Hoffnung auf ein ruhigeres Arbeitsleben.
Was macht für Sie denn das Besondere an der Rolle aus?
Spannend war für mich die Aufgabe, zwei Bögen zu spielen. Der erste Bogen bis zur Grenzüberschreitung, aber auch der zweite Bogen, in dem Nadler durch die kluge Verhandlungsführung des Anwalts immer mehr unter Druck gerät. Was ich auch an der Figur mochte, ist eine gewisse Grundtraurigkeit und diese Angst, wieder zu spät zu kommen. Man lernt, dass er schon ein paar Fälle hinter sich hat, in denen er Menschen nicht retten konnte. Dafür fühlt er sich sehr verantwortlich. Das nimmt er mit nach Hause, schleppt es in seinem Leben mit sich herum. Diese Traurigkeit habe ich immer versucht, mitzuspielen. Dass er eben nicht leichtfertig handelt in dem Moment, in dem er die Grenze überschreitet, sondern weil er schlechte Erfahrungen gemacht hat, die sich nicht wiederholen sollen. Und dann mochte ich es auch gerne, zu zeigen, dass es nicht leicht ist, so eine Grenze zu überschreiten und wie erschüttert man von seinem eigenen Verhalten sein kann.
Gibt es etwas, das Sie noch nie zu dieser Rolle gefragt wurden, das Sie aber gern loswerden würden?
Hm, die Frage, die ich vielleicht stellen würde, ist, ob Nadler beim nächsten Mal wieder so handeln würde, wie er es hier tut. Und ich glaube, die Antwort ist Ja. Ich glaube, er würde in einer vergleichbaren Situation wieder genauso handeln. Obwohl es falsch ist. Obwohl er weiß, dass es falsch ist. Denn ja: Es kann etwas emotional richtig sein, was gesellschaftlich gesehen falsch ist.
Es ist ein Phänomen, dass viele Menschen nicht genug Selbstwertgefühl haben, weil sie es in ihrer Erziehung nicht so mitbekommen haben, und dann selten zufrieden sind mit dem, was sie sind, und immer mehr sein wollen.
Bjarne MädelTweet
Eine Frage, die Nadler dem Verdächtigen während des Verhörs stellt, finde ich sehr spannend: "Wollen Sie mehr sein als Sie sind?" Wie würde Ihr Charakter diese Frage beantworten?
Ob Nadler selbst mehr sein möchte als er ist? Nein, ich glaube nicht. Ich glaube, er ist zufrieden mit dem, was er ist, und mit dem, was er hat. Mit dem Status Quo. Es ist ein Phänomen, dass viele Menschen nicht genug Selbstwertgefühl haben, weil sie es in ihrer Erziehung nicht so mitbekommen haben, und dann selten zufrieden sind mit dem, was sie sind, und immer mehr sein wollen. Dieser ständige Gedanke, auf der nächsten Party sei noch mehr los, dieser Neidfaktor, dass andere mehr haben als man selbst, hat oft ursprünglich damit zu tun, dass man nicht genug Selbstwertgefühl hat. Und ich glaube, wenn man mit sich selbst im Reinen ist, passieren ganz viele schlimme Sachen auf der Welt nicht. Dann gäbe es zum Beispiel viele schlimme Präsidenten nicht. Narzissten, von denen man denken könnte, sie hätten ein Riesenego – im Endeffekt haben viele eigentlich nur zu wenig Selbstwertgefühl. Sonst bräuchten sie diesen ganzen Zinnober ja nicht, diese Bestätigung von außen. Und um auf Nadler zurückzukommen: Der braucht diese Bestätigung von außen nicht. Er macht die Polizeiarbeit nicht, um Applaus zu erhaschen, sondern aus einem inneren Antrieb heraus, weil er eigentlich auch an Recht und Gerechtigkeit glaubt. Deshalb ist die Einsicht, die er am Ende vor Gericht hat, auch sehr spannend. Der Film heißt "Feinde", aber das ist ein bisschen irreführend. Nadler und Biegler sind keine Feinde, sie sind eigentlich Vertraute. Es gibt ein tiefes Verständnis der beiden Figuren füreinander.
Sie haben sehr schön gesagt, dass Nadler mit sich selbst im Reinen ist. Da muss ich doch jetzt anschließen: Sind Sie mit sich im Reinen?
Ja, absolut. Es gibt immer Situation, bei denen man im Rückblick denkt: Ach das hätte ich vielleicht besser lösen können. Aber ja, ich kann das so sagen: Ich bin im Moment grundsätzlich mit mir im Reinen.
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