Zehn Jahre EMOTION.award, zehn Jahre, in denen uns Frauen mit ihren Ideen, ihrer Tatkraft und ihrem Mut umgehauen haben – wie die acht Gewinnerinnen des EMOTION.award 2021. Sie setzen sich ein für Diversität, neue Arbeitsformen und Gesundheit, gegen Rassismus, Sexismus und soziale Benachteiligung. Sie haben einiges zu sagen und zeigen: So sieht die Zukunft aus!
Gewinnerin in der Kategorie "Frauen in Digitalisierung"
Mina Saidze, 28
Was bedeutet dir deine Arbeit?
Für mich ist es meine Berufung, kein Beruf. Viele Menschen denken, dass die Arbeit als Daten-, KI- oder Tech-Expert:in ein lustloser, trockener Job, bei dem du nicht mit anderen interagierst. Ich würde sagen, es ist gerade das Gegenteil.
Der Job erfordert eine Vielzahl von Talenten: Ich muss in der Lage sein, in einem Team zu arbeiten. Auch muss ich technische, komplexe Zusammenhänge für eine nicht-technische Zielgruppe verständlich erklären können. Zudem ist es unerlässlich, auf dem aktuellen Stand zu der Entwicklung von Technologien zu sein, um den Anschluss nicht zu verlieren. Dazu gehört – neben der analytischen Kompetenz, einem mathematischen Grundverständnis und Tech Know-how – Teamspirit, Kommunikationstalent und Lernbereitschaft. Und genau diese Vielseitigkeit fasziniert mich an meinem Beruf, da mir nie langweilig wird.
Was wünschst du dir für eine gleichberechtigte (Arbeits)Welt?
Deutschland ist eine Industrienation, in der die klassische Karriere immer im linearen Verlauf betrachtet wird. Es wird erwartet, dass man nur innerhalb von Unternehmenshierarchien aufsteigt, wenn man die richtigen Abschlüsse von den richtigen Universitäten mitbringt. Auch wenn Quereinsteiger:innen wirklich aus Leidenschaft im Tech-Bereich arbeiten wollen, bekommen sie oft nicht einmal die Chance auf ein Bewerbungsgespräch, weil sie keinen Abschluss in Informatik, Wirtschaftsinformatik oder Naturwissenschaften haben. Außerdem werden informelle Qualifikationen wie Bootcamps oder Onlinekurse noch immer nicht anerkannt.
Ich wünsche mir, dass Unternehmen auch Menschen die Chance geben, die keinen "perfekten" Lebenslauf mitbringen, sondern den Sprung ins kalte Wasser wagen. Denn diese Menschen sind bereit, neue Wege einzuschlagen und haben die intrinsische Motivation, sich neue Fähigkeiten beizubringen. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung brauchen wir mehr Menschen, die das Prinzip des lebenslangen Lernens auch wirklich leben.
Was, hoffst du, wird sich verändern, wenn Frauen (und andere marginalisierte Gruppen) sichtbar werden?
Viele scheinen noch nicht erkannt zu haben, dass Tech auch ein Thema der sozialen Gerechtigkeit sein kann. Viele Jobs sind unglaublich nachgefragt, teilzeitgeeignet und ortsunabhängig. Die Tech-Welt ist an verteiltes, dezentrales Arbeiten in Teams gewöhnt. Gleichzeitig hängen Aufstiegschancen und Verdienst mehr von der Leistung und weniger vom sozialen Hintergrund ab. Die Tech-Welt ist damit ein Bereich, in der ein leistungsbezogenes Wohlstandsversprechen noch relativ leicht eingehalten werden kann.
Deswegen ist es umso wichtiger, dass unterrepräsentierte Gruppen wie Frauen, Menschen mit Migrationshintergrund und People of Color in der Tech-Industrie als Identifikationsfiguren sichtbar werden, um die nächste Generation zu inspirieren. Seeing is believing.Ein Satz zum EMOTION-Award:
Meine jahrelanger Einsatz für mehr Diversität in der Tech-Industrie wurde mit dieser Auszeichnung gewürdigt. Dafür bin ich von ganzem Herzen dankbar und es ist Antrieb für mich, weiterzumachen. Merci, liebes Emotion-Team!
Gewinnerin in der Kategorie "Gründerin"
Dr. Miriam Haerst, 35
Das, was Miriam Haerst gemeinsam mit vier anderen Alumni der TU München in ihrem Unternehmen wahr macht, ist revolutionär: Sie haben mit ihrem Medizintechnik-Start-up Kumovis den ersten 3-D-Drucker für Medizinprodukte aus Hochleistungskunststoffen entwickelt. Einweg-OP-Besteck, das klingt ja noch simpel, aber sie ermöglichen auch, in den Kliniken passgenaue Implantate zu drucken, um damit sogar Knochendefekte zu rekonstruieren. Was Haerst jeden Tag motiviert? "Ich will etwas zur optimalen Patientenversorgung beitragen", sagt die Ingenieurin, die selbst erst mal Zweifel abschütteln musste, um sich an die Gründung ranzuwagen. Hat sich gelohnt. Für uns alle. Was sie sich wünscht? "Sichtbare Vorbilder!“ Denn das würde helfen, "die nötigen Freiräume für neue Ideen und inklusive Konzepte" zu schaffen. "Ich arbeite auch an mir selbst, indem ich zum Beispiel versuche, Entscheidungen möglichst unvoreingenommen gegenüberzutreten und jeder neuen Idee Gehör zu schenken." Wir sind gespannt, was da noch kommt!
Ich hoffe, es wird selbstverständlich, dass Frauen eine Führungsposition und eine Familie haben.
Gewinnerin in der Kategorie "Frau der Stunde"
Prof. Sandra Ciesek, 43
Sie ist in dieser Pandemie allgegenwärtig: in Nachrichten, auf Twitter und mit ihrem Kollegen Christian Drosten im NDR-Podcast. Und sie ist die Ruhe in Person. Etwas, was wir ebenso dringend brauchen wie gut verständliche Informationen. Sandra Ciesek, Direktorin des Frankfurter Instituts für Medizinische Virologie, sagt: "Ich freue mich sehr, wenn wir aktiv etwas zur Bekämpfung oder zum Verständnis der Pandemie beitragen können." Die Auszeichnung als Frau der Stunde nahm sie über das Medium der Stunde an: Zoom – und neben ihr saß ihre kleine Tochter. Auch für sie formuliert Ciesek Wünsche für eine gleichberechtigte (Arbeits-) Welt: "Ich wünsche mir, dass Paare die Kinderbetreuung gleichmäßig untereinander aufteilen – zum Beispiel die Elternzeit oder dass beide Stunden reduzieren – und so beiden eine Karriere ermöglicht wird." Und sie hofft, dass wir irgendwann keine Frauenquote mehr brauchen, sondern es selbstverständlich wird, dass Frauen Führungspositionen und Familie haben.
Gewinnerinnen in der Team-Kategorie "Hand in Hand"
Charlotte Frey, 32, und Jennifer Busch, 36
Was bedeutet euch eure Arbeit?
Ganz konkret Veränderung zu bewirken, indem wir Kinder stark machen für die Schule und fürs Leben.
Was wünscht ihr euch für eine gleichberechtigte (Arbeits)Welt?
Dasselbe wie für die Schule: dass wir Stärken sehen statt (vermeintliche) Schwächen.
Was, hofft ihr, wird sich verändern, wenn Frauen (und andere marginalisierte Gruppen) sichtbar werden?
Getreu dem Motto "If you can see it you can be it" werden unsere climb-Kinder wirklich glauben, dass sie alles schaffen können, weil sie diverse Menschen in allen Bereichen sehen.
Ein Satz zum EMOTION-Award:
Es war so schön, gemeinsam die Arbeit von Frauen zu feiern. Vielen Dank!
Gewinnerin in der Kategorie "Soziale Werte"
Serpil Temiz Unvar, 46
Keine zwei Wochen vor diesem Abend, an dem sie auf die Bühne kommt, wäre Ferhat, ihr ältester Sohn, 25 geworden. In seinem Namen, an seinem Geburtstag, dem 14. November 2020, hat Serpil Temiz Unvar die Bildungsinitiative Ferhat Unvar gegründet. Denn am 19. Februar des Jahres sind Ferhat und acht weitere junge Menschen in Hanau von einem Rassisten ermordet worden. Sie hat sich oft gefragt: "Woher kommt dieser Hass? Ich verstehe das nicht." Und dann hat sie beschlossen, den Hass nicht gewinnen zu lassen: "Unsere Kinder dürfen nicht umsonst gestorben sein!" Die Bildungsinitiative will Kindern und jungen Erwachsenen Raum geben, sich mit der Diskriminierung, die sie erleben, auseinanderzusetzen, und sie stärken, gleiche Chancen einzufordern. Gemeinsam entwickeln sie Empowerment- und auch Sensibilisierungs-Workshops. "Wir müssen zusammen gegen den Rassismus kämpfen", sagt sie – in diesem Moment ist sie die Einzige im Saal, die die Fassung wahrt. Alle stehen auf, um Serpil Temiz Unvar Respekt zu erweisen – und am besten können wir das tun, indem wir ihre Ziele unterstützen.
Frauen neigen dazu im Stillen zu arbeiten. Wie gut, dass Sie dafür sorgen, dass es bekannt wird.
Gewinnerin in der Kategorie "Lebenswerk"
Lore Maria Peschel-Gutzeit, 89
Als junge Richterin am Landgericht Hamburg, es sind die 60er Jahre, wollte Lore Maria Peschel-Gutzeit eine andere Kammer kennenlernen. Über den Chef dort hieß es: "Der nimmt keine Frauen." Also ging sie zu dem Mann und sagte: "Ich höre, Sie hätten so gern eine Frau in Ihrer Kammer. Ihnen kann geholfen werden." Der Mann, erzählt sie später, war "richtig platt, bellte ein bisschen herum" und sie bekam die Stelle. Dass die Anekdote so heute nicht mehr spielen könnte, ist ganz wesentlich ihr zu verdanken. Sie hat als Anwältin, als Richterin, dann als Justizsenatorin in Hamburg und in Berlin viel getan für die Durchsetzung von Frauenrechten. Eines der Mittel, das sie genutzt hat, noch bevor sie in die Politik ging, war die Organisation von Frauen. Der Deutsche Juristinnenbund ist ein Zusammenschluss von Frauen in der Welt der Justiz. Mit diesem Bund im Rücken setzte sie die Einführung von Teilzeitarbeit und Familienurlaub im Beamtenrecht durch, das entsprechende Gesetz wird bis heute "Lex Peschel" genannt. Was für eine Inspiration!
Gewinnerin in der Kategorie "Gender Balance in Media"
Dr. Katja Wildermuth, 56
Zum zehnjährigen Award-Jubiläum haben wir gemeinsam mit der Medien-Fachzeitschrift "Horizont" eine neue Kategorie ausgelobt. Dass Dr. Katja Wildermuth als erste Preisträgerin genau die Richtige ist, wurde direkt in ihrer Dankesrede deutlich. Da fasste die Intendantin des Bayerischen Rundfunks (BR) die Idee des Awards nämlich gleich weiter und sprach von "Diversity in Media". Wildermuth sagte: "Gerade wir, die wir breite Bevölkerungsgruppen erreichen wollen, sollten darauf achten, dass sich die Vielfalt unserer Gesellschaft in unseren Programmen, aber auch in unserer Belegschaft widerspiegelt." Vielfalt sei für sie dabei nicht nur eine Frage der Geschlechtergerechtigkeit, sondern auch eine Frage von Alt und Jung, Stadt und Land, unterschiedlichen Lebensmodellen und Einstellungen. In dem Jahr, in dem sie jetzt Intendantin ist, ist der BR dem "50:50 The Equality Project" der BBC beigetreten, das zum Ziel hat, Journalismus zu machen, der die Welt fair repräsentiert. Außerdem hat sie neue Förderungsprogramme für Frauen angestoßen. Klar, dass da immer noch ein großer Schritt zu gehen sei, sagt Wildermuth: "Ich würde mich freuen, wenn wir den gemeinsam gehen, als Medienbranche." Wir sind dabei!
Alle Gewinnerinnen und Bilder von der Award-Gala im Hamburger Curio-Haus findet ihr auch in unserem Heft 03/2022.
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