Ein bisschen unangenehm ist es unserer Kolumnistin schon, es zuzugeben – aber sie ist zu faul, um ständig was an ihrem Leben zu ändern. Zumal sie es mag, wie es ist.
Sätze meiner Freundinnen klingen gern mal so: "Ich liebäugele gerade mit Bhutan, nächstes Jahr wäre dann Südkorea dran. Den Rest von Asien kenne ich ja schon." Oder: "Ich fang jetzt mit Kickboxen an. Ich brauch mal einen neuen Kick, ständig nur Joggen geht gar nicht." Eine Dritte ist gerade wieder umgezogen, weil sie sich nach spätestens zwei Jahren in ihren vier Wänden langweilt. "Wie lange wohnst du eigentlich schon in deiner Wohnung?", fragte sie kürzlich, und es war mir richtig peinlich, als ich zugeben musste: "21 Jahre." Ständig ändert sich etwas bei meinen Freundinnen: ein Mann, ein Wohnort, ein Job. Nur bei mir nicht. Bin ich zu phlegmatisch, zu verkalkt, zu einfallslos, dass ich immer noch dieselbe Ehe, dieselbe Adresse, im Prinzip dasselbe Leben habe?
Selbstoptimierung ist anstrengend
Selbstoptimierung heißt das Zauberwort, und manchmal strengt mich das richtig an. Dieser Wahn, immer das Alleräußerste aus sich herausholen, sich ständig häuten zu müssen. Turnen bis zur Urne, Gehirnjogging, die Welt erkunden, die eigene Mitte finden, bloß kein Stillstand! Einer geht noch! Das schaffe ich zwar manchmal im Fitnessstudio bei den Liegestützen, aber mit dem Klavierspielen habe ich aufgehört, obwohl es gut gegen Demenz sein soll. Ich war einfach zu schlecht, es hat mir keinen Spaß gemacht.
Das schlechte Gewissen
Aber ich habe trotzdem ein schlechtes Gewissen, wenn mir ein 70-jähriger Exkollege, der mit 66 angefangen hat, am Telefon eine Bachfuge vorspielt. Und wenn mir meine Nachbarin von ihrer Trekkingtour in Nepal vorschwärmt, während ich schon wieder in meinem Lieblingshotel auf Mallorca war, dann fühle ich mich wie ein faules, bequemes Weichei. Doch was soll ich machen? Ich liege nun mal lieber am Pool als in einem eisigenZweimannzelt. Ich mag es gern gemütlich und vertraut.
Drei Stufen im Leben
Es gibt drei Stufen im Leben: die Aufregung, wenn es etwas Neues gibt, die Freude, wenn man etwas Vertrautes wiedertrifft – und dann den Moment, in dem man denkt: "So, jetzt brauche ich mal was anderes." Und da sind die Grenzen eben fließend. Nur ist die Bewertung dieser Grenzen eindeutig. Wer sich, wie ich, in Phase zwei entspannt einrichtet, fühlt sich oft wie jemand, der das tobende Leben vom Bett aus beobachtet. Menschen, die sagen: "Mir gefällt mein Leben, ich will es nicht ändern", stoßen auf allgemeines Unverständnis.
Die Suche nach Veränderung
Der moderne, authentische Mensch ist immer auf der Suche nach Veränderung, er muss seine Grenzen ausloten und jugendlich überschreiten. Bloß nicht zu behaglich! Natürlich soll man nicht sein ganzes Leben nach Mallorca fliegen und beim Sex, bevor man dabei einschläft, immer unten liegen. Nein, die Welt ist bunt und will erobert werden. Aber wie groß das Stück ist, das man erobern will, muss doch jeder selbst entscheiden, oder? Ich war zum Beispiel noch nie in Nordkorea und hatte noch nie Gruppensex – und ich finde: Es hätte schlimmer kommen können.
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Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...