Was tun bei Unlust? Wie komme ich zum Orgasmus? Manche Sex-Fragen sind und bleiben Dauerbrenner. Wir haben sie daher noch einmal geklärt – mit Gianna Bacio, Sexualpädagogin und EMOTION-Podcasterin „Love your sex“
EMOTION: Mein Mann hat kaum noch Lust auf Sex. Was tun?
Das ist eine Frage, mit der ihr nicht allein seid. Sie wird mir sehr oft gestellt, sowohl von Frauen als auch von Männern. Viele haben immer noch das Klischee vom allzeit bereiten Mann im Kopf, der ständig an Sex denkt. Das Thema „männliche Unlust“ war lange ein Tabu, aber Kolleg:innen und Ärzt:innen stellen schon länger fest, dass die Zahl der Anfragen dazu steigt.
Grundsätzlich gibt es für alle sexuellen Herausforderungen (den Begriff finde ich passender als „Problem“) immer körperliche und/oder psychische Ursachen. Bei geringer Libido kann ein Faktor der Hormonspiegel sein, insbesondere ein Testosteronmangel. Vereinfacht gesagt, sorgt das Sexualhormon Testosteron für Lust. Mit steigendem Alter sinkt der Spiegel. Er schwankt aber auch über den Tag, so ist die Testosteronausschüttung morgens höher als nachts.
Es kann also etwas bewirken, sich morgens Zeit für Sex zu nehmen. Meist haben äußere Einflüsse, etwa Stress, aber einen mindestens genauso großen Einfluss auf das Lustgefühl. Bei vielen lässt die Lust auf Sex in solchen Phasen stark nach. Wenn der Stress nicht aus der Beziehung selbst erwächst, können Berührungen im Alltag, wie eine Umarmung, Küsse, Hand in Hand spazieren gehen, helfen, körperlich in Verbindung zu bleiben und solche Phasen gemeinsam durchzustehen.
Oft verurteilen sich die Betroffenen für ihre Lustlosigkeit und leiden unter Versagens- und auch Verlustängsten. Druck in Form von Vorwürfen oder Anschuldigungen verursacht weiteren Stress, und so kann leicht ein Teufelskreis entstehen. Deshalb ist es wichtig, liebevoll und mit Verständnis zu reagieren, auch wenn die innere Stimme was anderes rufen will. Gleichzeitig darfst du klarmachen, dass dir Sex und körperliche Nähe wichtig sind, und du dir eine Veränderung wünschst. Versucht, miteinander ins Gespräch zu kommen. Wichtig ist, einen entspannten Zeitpunkt dafür zu verabreden.
Überlegt, welche Möglichkeiten der Annäherung, aber auch der Abgrenzung es gibt. Womöglich gibt es Bedürfnisse nach Nähe oder Distanz, die bislang nicht gesehen wurden und deren Befriedigung Raum für Lust eröffnet. Vielleicht ist die Öffnung der Partnerschaft eine Lösung. Unsere Gesellschaft ist freier geworden, wichtig ist auch da, zuzuhören und einvernehmlich eine Lösung zu finden. Wer weiter auf Zweisamkeit vertraut, kann nach gemeinsamen neuen Erfahrungen suchen, um Intimität und Lust zu schüren.
Sexualpädagogin Gianna Bacio hat auf TikTok über 630.000 Fans. Offline hilft sie in ihrem neuen Buch: „Love Your Sex. Für ein entspanntes Liebesleben“ (rororo, 14 €)
Was ist Slow Sex und was bringt das?
Der Begriff wurde von der südafrikanischen Sexualtherapeutin Diana Richardson geprägt. Statt schnell und zielgerichtet Sex (Orgasmus! Fertig!) zu haben, bedeutet Slow Sex, sich Zeit zu nehmen, Intimität zu erleben, ohne abschließendes Ziel. Beim Slow Sex geht es darum, genau hinzuspüren. Wie fühlt sich mein Körper und der meines Gegenübers an? Wo ist der Körper noch verspannt, wo möchte er berührt werden? Der eigene und der andere. Was passiert in seinem Inneren?
- Ich empfehle, sich ausreichend Zeit zu nehmen, mindestens eine Stunde.
- Beginnt damit, aufmerksam den Körper des Gegenübers zu erkunden.
- Wie fühlt sich die Haut an, ist sie warm oder kühl?
- Achtet auf den Atem, auf den eigenen und den des Gegenübers.
- Vielleicht willst du streicheln, küssen, oder die Hand auf einer bestimmten Körperstelle ruhen lassen.
- Was fühlt sich für dich stimmig an?
Wenn ihr weitergehen möchtet, macht auch das langsam. Bei heterosexuellen Paaren dringt der Mann ganz langsam in die Frau ein und hält dann inne. Dass der Penis rausrutscht, ist normal und er wird einfach wieder hineingeschoben, auch im nicht erigierten Zustand. Das erleben viele Männer als befreiend. Sie müssen keine Erektion haben, um Sex zu haben, sondern können sich ganz auf ihre Gefühle konzentrieren. Gleichzeitig hilft es Frauen, ihre Vagina auf eine neue Weise zu spüren. Slow Sex ist ungewohnt, aber eine sehr positive Entwicklung, denn er erlaubt mehr Abwechslung, Entspannung und auch Befriedigung.
Irgendwie passiert im Bett bei uns beiden immer das gleiche. Was hilft gegen die Langeweile?
Je länger eine Beziehung dauert, desto vertrauter ist es miteinander. Vertrautheit ist einerseits gut, aber sie kann dazu beitragen, dass sich Sex wie reine Gewohnheit anfühlt. Am Anfang einer Beziehung probieren viele neue Stellungen, Praktiken und Orte aus. Doch irgendwann pendeln sich die meisten beim Bewährten ein – und oft auch auf dem "kleinsten gemeinsamen Nenner". So weit, so normal. Die Frage ist nicht, ob das passiert, sondern wann, denn daran kommt eigentlich kaum eine Beziehung vorbei. Doch wenn aus Routine Langeweile wird, kann irgendwann die Lust auf Sex ganz verschwinden.
Damit das nicht passiert, oder um das Blatt zu wenden, kann ich es gar nicht oft genug sagen: Eine gute Kommunikation ist das A und O, vor allem in Liebesbeziehungen. Nur durch echten Austausch kannst du sicherstellen, dass du bekommst und erlebst, was du möchtest. Der Kommunikationswissenschaftler Paul Watzlawick hat die Erkenntnis geprägt: Wir können nicht nicht kommunizieren. Das heißt, wir kommunizieren auch dann mit unserem Partner, wenn wir schweigen oder denken, es würde sich schon irgendwann wieder alles einrenken.
Deshalb ist ein Gespräch, so unsexy es klingen mag, das Erste und Beste, was ein Paar bei Monotonie im Bett tun kann. Alles andere, von Toys über Fesselspiele bis zum Ausflug in den Swingerclub, kann danach kommen. Denn zuallererst sollte man klären, worauf beide überhaupt Lust haben. In einem solchen Gespräch, das am besten regelmäßig stattfindet, um nachjustieren zu können, empfehle ich gern ein „sexuelles Skript“ zu entwerfen. Dieser Ansatz geht auf den Sexualtherapeuten Ulrich Clement zurück und soll dazu dienen, dass Partner:innen ihre wirklichen Wünsche niederschreiben, nicht ihre Fantasien. Also das, was sie tatsächlich gern sexuell erleben möchten. Die Skripte schreiben beide unabhängig voneinander. Sie können sie sich im Anschluss gegenseitig vorstellen, müssen das aber nicht tun, denn auch hier ist der erste Schritt, sich die eigenen Sehnsüchte und Bedürfnisse klarzumachen.
Ich komme selten zum Orgasmus. Wie kann ich das ändern?
Diese Frage wird mir häufiger von Frauen als von Männern gestellt. Und auch der „Orgasm Gap“, also die Tatsache, dass beim Heterosex im Durchschnitt viel weniger Frauen (65 Prozent) zum Höhepunkt kommen als Männer (95 Prozent), belegt das.
Mein Non-plus-Ultra-Tipp dazu? Bewegung! Denn wenn du dich beim Sex, egal ob solo oder mit jemand anderem, mehr bewegst, werden deine Genitalien besser durchblutet. Du spürst mehr, kannst dadurch mehr Erregung aufbauen und diese Energie bis in einen Orgasmus kanalisieren. Frauen hilft die gesteigerte Bewegung auch, um feuchter zu werden, was wiederum Schmerzen beim Sex vermeiden kann. Männer können durch die gesteigerte Durchblutung der Genitalien ihre Erektion besser erleben.
Aber wie bewegst du dich so, dass Orgasmen am wahrscheinlichsten sind? Es hat sich gezeigt, dass die abwechselnde An- und Entspannung der Muskulatur, insbesondere im Beckenraum besonders förderlich ist. Im Sexocorporel, so heißt der Ansatz, nach dem ich arbeite, gibt es dafür sogar eine spezielle Bewegung, und zwar die der "doppelten Schaukel". Doppelt, weil sie sich aus der Schaukel im Beckenraum und der Schaukel im Oberkörper, zusammensetzt. Die untere Schaukel möchte ich dir kurz vorstellen, damit du sie zunächst als Trockenübung üben und später auch beim Sex anwenden kannst: Setze dich aufrecht hin und lege eine Hand auf deinen Bauch, die andere auf den unteren Rücken. Entspanne deine Gesichtsmuskeln, öffne leicht den Mund und löse die Zunge vom Gaumen. Atme dann tief in den Bauch ein und wieder aus. Stell dir deinen Bauchraum wie einen Ballon vor, der sich beim Einatmen mit Luft füllt und ausdehnt und beim Ausatmen die Luft entweicht und kleiner wird. Beobachte mal die dabei entstehende Bewegung deines Körpers, vor allem deines Beckens: ein Kippen, leicht wellenförmig, vor und zurück. Wenn du diese Bewegung in dein sexuelles Repertoire aufnimmst, hilft das, häufiger einen Orgasmus zu erleben.
Okay, Kommunikation ist wichtig, um beim Sex auf meine Kosten zu kommen. Aber wie schaffe ich es denn, über meine Wünsche zu sprechen oder sie klarer zu zeigen?
Meine Erfahrung ist, die Lösung ist in der Beziehung zu finden, nicht im Außen. Es hilft, sich klarzumachen: Die Libido von zwei Menschen ist unterschiedlich, das ist völlig normal. Und die Art miteinander Sex zu haben kann als unterschiedlich befriedigend und damit als weniger „lohnend“ oder „lohnender“ empfunden werden.
Egal was es ist: Ob man sich wirklich mehr oder auch weniger Sex oder eine andere Form von Sex wünscht, es hilft nur, darüber zu sprechen. Am besten in Ruhe und in Form von Ich-Botschaften, in denen man das eigene Gefühl und einen Wunsch formuliert. Wenn wir nichts sagen, um unsere:n Partner:in zu "schonen", sprechen wir ihnen die emotionale Stärke ab, andere Meinungen auszuhalten – uns auszuhalten.
Sich dem anderen zuzumuten, ist eine vielleicht ungewohnte, aber wunderbare Möglichkeit, über sich hinauszuwachsen und damit auch die Beziehung auf ein neues Level zu heben. Weil es vielen so schwerfällt, ich kenne das selbst auch, den richtigen Einstieg in ein solches Gespräch zu finden, habe ich einige Anregungen für dich:
- Ich habe schon seit einiger Zeit ein paar Gedanken, die ich gern mit dir teilen würde. Heute Abend bin ich um sieben zu Hause. Hast du dann auch Zeit, um zu sprechen?
- Es ist schon etwas her, dass wir miteinander geschlafen haben. Ich sehne mich nach mehr Verbindung. Am Freitagabend haben wir nichts vor, und ich würde dich gern einfach mal ausgiebig massieren. Bist du dabei?
- Ich mag ja unseren Sex total. Aber ich weiß gar nicht, ob es dir genauso geht. Ich hätte total Lust, dass wir mal darüber sprechen, du auch?
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