Manchmal wünscht sich doch jeder, mal etwas völlig anderes zu tun - und sei es nur für ein paar Monate. Coach Antje Schwidurski erklärt die wichtigsten Schritte für so einen Job-Ausstieg auf Zeit.
Der Gedanke klingt für die meisten von uns verlockend: Was wäre, wenn wir uns eine Zeit lang aus dem Alltag, dem Job, der Routine ausklinken könnten, um uns Dingen zu widmen, zu denen wir sonst nicht kommen? Eine Reise machen zum Beispiel, statt in den Urlaub zu fahren. Drei Monate, sechs Monate, vielleicht sogar ein ganzes Jahr? Auch wenn man seine Arbeit mag, kommt man manchmal an einen Punkt, an dem man sich fragt: Es muss doch noch etwas anderes im Leben geben. Das Meinungsforschungsinstitut Gewis fand heraus, dass 72 Prozent der Deutschen von einer "intensiven Auszeit" träumen, den meisten aber "fehle der Mut, ihren Traum Realität werden zu lassen".
Was machen die wenigen, denen es gelingt auszusteigen, anders als die anderen?
Barbara, 38, und Markus, 39, zum Beispiel. Die passionierten Bergsteiger und Mountainbiker träumten schon lange von einer Alpenüberquerung mit dem Fahrrad und kündigten dafür sogar ihren Job. "Uns hat geholfen, dass wir es beide wollten, dass wir sicher waren, nach der Rückkehr wieder eine Stelle zu finden. Und wir wussten, dass wir von wenig Geld leben können", erzählt Barbara. Drei Monate waren sie unterwegs: von München über die Alpen durch die Schweiz, weiter über Frankreich nach Korsika. Zum Schluss setzten sie mit der Besteigung eines Fünftausenders in den Anden noch das i-Tüpfelchen auf ihre Unternehmung.
Nach ihrer Rückkehr fanden die Sozialpädagogin und der Betriebswirt schnell eine neue Stelle, sie bei der Caritas, er als Projektleiter bei einem Baukonzern. Bis heute profitieren sie von der Erfahrung und beide würden sich wieder so entscheiden.
1. Phase: Nehmen Sie die eigenen Wünsche ernst
Wenn Sie Lust auf eine Auszeit verspüren, sollten Sie in Ruhe die einzelnen Schritte planen - bis zur tatsächlichen Umsetzung kann ein Jahr vergehen. Treten Sie innerlich etwas zurück und heißen Sie die Idee willkommen. Es ist noch nicht der Zeitpunkt, sie zu bewerten, schließlich haben Sie noch zu wenig Informationen. Wer jetzt daran denkt, dass er seinen Chef nie überzeugen wird, wer bereits fürchtet, dass eine Auszeit nicht zu finanzieren ist, kann es gleich bleiben lassen.
2. Phase: Prüfen Sie Ihre Motivation
Machen Sie sich ein genaues Bild - im eigentlichen Sinne des Wortes. Egal, ob Sie reisen wollen, sich sozial engagieren, ein Buch schreiben oder die Promotion nachholen möchten: Stellen Sie sich Ihr Ziel intensiv vor, durchleben Sie die Freude, aber auch die Ängste, und bringen Sie Ihre Gefühle zu Papier. Denn: Je klarer die Vorstellung ist, die Sie von Ihrem Projekt haben, desto leichter können Sie sich entscheiden.
Ein starker, zuverlässiger Motivator dabei ist der Gedanke des "Hinzu", also die Vorstellung eines erfreulichen Ziels, das Sie mit der Auszeit erreichen. Dies hilft , das Vertraute loszulassen und das Vorhaben der Familie und dem Arbeitgeber gegenüber zu vertreten. Schwieriger wird es, wenn keine positiv besetzten Ziele vorhanden sind, wenn das "Weg von ...", das "Endlich muss ich nicht mehr ..." überwiegt.
Wer mit dem Gedanken an eine Auszeit spielt, befindet sich häufig in einer Umbruchs- oder Orientierungsphase, etwa, weil die Karriere stagniert oder er sich ausgepowert fühlt. Für Letzteres gibt es prominente Beispiele: Harald Schmidt etwa legte nach acht Jahren Late-Night-Show beim TVSender Sat.1 Ende 2003 eine Kreativpause ein, um mit seiner Frau und seinen Kindern um die Welt zu reisen. Hape Kerkeling wiederum nahm nach einem Hörsturz 2001 eine Auszeit und pilgerte auf dem spanischen Jakobsweg.
Beispiel aus dem Alltag
Auch Thorsten, 40, ein erfolgreicher Grafikdesigner, war sich eines Tages sicher, so nicht weitermachen zu wollen: "Ich schlief schlecht, war generell lustlos. Ich fand die Vorstellung erschreckend, Produkte zu bewerben, die eigentlich niemand braucht. Die Arbeit hatte für mich ihren Sinn verloren", beschreibt er die Zeit vor der Auszeit. Er wusste: "Ich muss mich neu orientieren, den Kopf freibekommen." Der Entscheidungsprozess dauerte Monate. Ist es nicht verrückt, eine sichere Anstellung mit gutem Gehalt aufzugeben, nur um etwas Neues auszuprobieren? Irgendwann war ihm klar: "Ich möchte weniger reden und mehr mit den Händen arbeiten. Ich bin gern draußen.
Kunst, Natur und Tiere sind für mich die idealen Kraft quellen." Thorsten machte eine Lehre zum Landwirt. Seine Arbeitstage begannen um sechs Uhr früh mit Melken und Misten. Beim gemeinsamen Kaffee um acht besprachen die Männer, wer welche Arbeiten übernehmen sollte. Eine halbe Stunde, dann wusste jeder, was er zu tun hatte. Früher saß der 40-Jährige vier bis sechs Stunden täglich in Besprechungen. Termindruck und eine Flut von E-Mails bestimmten seine Zehn-Stunden-Arbeitstage. Jetzt waren es das Wetter, die Gesundheit der Tiere, das Gedeihen von Weizen, Roggen und Mais. Sein Arbeitstag endete um 17 Uhr. Es blieb Zeit zum Lesen, zum Malen, zum Nachdenken. Das ständige Grübeln war verschwunden, die Schlaflosigkeit auch.
Eine Auszeit auf der Alm, zwischen grünen Wiesen und vielen Tieren, nahm sich Karin Michalke.
Partner-Einbindung und Finanzierung
3. Phase: Binden Sie Ihren Partner in die Planung ein
Barbara und Markus haben den Wunsch nach einer Auszeit gemeinsam entwickelt. Thorsten hingegen musste seine Frau von seinem Plan überzeugen. Dass er klare Vorstellungen hatte, half ihm, seinen Wunsch zu begründen. So können auch Sie Ihren Partner überzeugen:
• Sprechen Sie mit ihm darüber, was Ihnen eine Auszeit bringen soll.
• Wenn es auch darum geht, die Beziehung zu klären, dann sagen Sie es!
• Nehmen Sie die Befürchtungen des anderen ernst. Auszeiten bedeuten Veränderung im Alltag und Veränderungen lösen oft Angst aus.
• Erwarten Sie kein "Hurra!", wenn Sie allein reisen wollen.
• Geben Sie dem anderen Zeit, mit der Idee vertraut zu werden.
• Bitten Sie um Unterstützung, weil es Ihnen wichtig ist, sich diesen Wunsch zu erfüllen, und Sie das nicht gegen die Interessen Ihres Partners tun wollen.
• Erwarten Sie nicht, dass Ihr Partner Ihnen die Entscheidung abnimmt.
Diese Gespräche sind ein erster Prüfstein. Je mehr Sie von Ihrer Idee überzeugt sind, desto besser können Sie auf Bedenken des Partners eingehen. Klären Sie gemeinsam, was die Auszeit emotional und finanziell für die Partnerschaft beziehungsweise für die Familie bedeutet. Hilfreich ist, wenn Sie alle Gedanken und Informationen zum Thema in einem Tagebuch festhalten.
4. Phase: Denken Sie über die Finanzierung nach
Die Frage der Finanzierung ist für potenzielle Aussteiger meist das größte Hindernis. Schreiben Sie Ihre Ausgaben auf, prüfen Sie Rücklagen, denken Sie über Einsparmöglichkeiten nach (Abos, Fahrtkosten, Senkung der Mietkosten durch Untervermietung). Erkundigen Sie sich genau nach dem Krankenversicherungsschutz. Ebenso wichtig ist ein Anruf beim Rentenversicherungsträger.
Die Länge der Auszeit hängt natürlich vom Vorhaben ab. "Optimal ist eine Auszeit von fünf bis zehn Monaten", glaubt Anke Richter, Autorin von "Aussteigen auf Zeit. Das Sabbatical-Handbuch" (vgs). "Wer deutlich länger als ein Jahr ausschert, könnte Probleme damit haben, sich nach dieser Zeit wieder im alten Leben zurechtzufinden. Die Distanz und die innere Veränderung werden irgendwann zu groß."
Zwar ergab eine Umfrage des Recruiting- Dienstleisters Career Company, dass nur jeder fünfte Personalchef der Ansicht war, dass ein Sabbat-Jahr für die Motivation gut sei. Aber die Zahl der Unternehmen, die ein Sabbatical anbieten, nimmt stetig zu, meist sind es Global Player wie Siemens, die Telekom, BMW oder Roland Berger. Deren Geschäftsführer schätzen den Mut, den man braucht, um die Sicherheit des Alltags und einer Festanstellung zu verlassen. Damit zeigt man Selbstvertrauen. Oft nützt die Auszeit beruflich sogar, denn nach einem längeren Aufenthalt in Neuseeland spricht man einfach sehr gut Englisch. Soziales Engagement, für das man persönliche Vorteile aufgibt, kommt ebenfalls sehr gut an. Keiner der vielen Aussteiger, die Anke Richter für ihr Buch interviewte, geriet beruflich ins Hintertreffen.
Entscheidung, Chefgespräch und Umsetzung
5. Phase: Treffen Sie jetzt die Entscheidung
Wenn alle Informationen zusammengetragen sind, ist es Zeit, die Entscheidung zu treffen. Wägen Sie gern gründlich ab, um sich sicher zu fühlen? Dann bewährt sich die gute alte Liste, die Vor- und Nachteile aufführt. Sammeln Sie in den Spalten "Wenn ich gehe" und "Wenn ich nicht gehe" alle Pros und Contras. Diese "Entscheidungsmatrix", wie sie Matthias Nöllke in seinem Buch "Entscheidungen treffen" (Haufe Verlag) vorstellt, hilft, die Argumente für und gegen einen Entschluss zu gewichten. Mein persönlicher Tipp: Wenn Sie an diesem Punkt immer noch Schwierigkeiten haben, sich für oder gegen Ihr Vorhaben zu entscheiden, sollten Sie Ihrem Gefühl vertrauen. Denn es gibt keinen Grund, noch länger zu warten. Wer jetzt noch zögert, blockiert sich selbst und wird unzufrieden.
6. Phase: Bereite Sie das Gespräch mir Ihrem Chef vor
Generell ist eine Auszeit in Berufen, in denen projektbezogen gearbeitet wird, natürlich leichter zu bewerkstelligen. Ein geeigneter Zeitpunkt ist sonst auch die Phase zwischen einer alten und einer neuen Anstellung. Ebenso gut: wenn Sie innerhalb Ihrer Firma auf einen anderen Posten wechseln.
Wenn Sie nun mit Ihrem Chef reden, dann sollte Ihre Haltung vor diesem Gespräch folgende sein: Ich gehe davon aus, dass ich erreichen werde, was ich erreichen möchte. Aber Achtung: Ihre Wünsche könnten anders wahrgenommen werden. Die 40-jährige Informatikerin Anne beispielsweise hatte Rücklagen für drei Monate angespart und träumte von einem unbezahlten Urlaub. Ihr Chef kam ihr jedoch zuvor.
Dem Unternehmen gehe es schlecht, es werde an eine Umstrukturierung gedacht. Daher bat er seine Mitarbeiterin zu kündigen. Aus einer kurzen Auszeit wurde so ein ungeplanter Abschied, der Anne sehr zu schaffen machte, aber auch positive Aspekte beinhaltete. Sie verhandelte so hart, dass die Abfindung ihr ein ganzes Jahr Auszeit ermöglichte.
Gibt es in Ihrem Unternehmen keine Betriebsvereinbarung oder keine individuelle Vereinbarung in Ihrem Vertrag, haben Sie auch keinen Anspruch auf eine Auszeit. Sie sollten es realistisch sehen: Ihr Anliegen macht Arbeit. Sie sind eine Fachkraft , die man halten will. Befürchtet Ihr Chef darüber hinaus, Sie zu verlieren, wenn er Ihrem Wunsch nicht stattgibt, kann er sich in die Enge getrieben fühlen. Er sieht die Gefahr, dass weitere Mitarbeiter eine Auszeit wollen. Hat er ein paar Mal zugestimmt, könnten andere Mitarbeiter daraus ein generelles Anrecht ableiten.
Ideal ist es, wenn Sie die Vorteile für das Unternehmen herausstreichen, wie die Verbesserung der Sprachkenntnisse oder die Einsparung Ihres Gehalts in einer wirtschaftlich angespannten Zeit. Arbeiten Sie nicht mit Druck, Erpressung oder dem Eingestehen der eigenen Erschöpfung. Bieten Sie Lösungen für Ihre Vertretung an, besprechen Sie sich aber vor dem Termin mit Ihrem Chef nicht mit Kollegen. Das könnte Ihr Vorgesetzter als abgekartetes Spiel interpretieren.
7. Phase: Setzten Sie Ihr Vorhaben konkret um
Es ist nun klar, dass Sie eine Auszeit nehmen, ob Sie ins Unternehmen zurückkommen oder kündigen. Informieren Sie Freunde und Kollegen. Sie werden erstaunt sein, was Ihr Vorhaben auslöst. Menschen reagieren stark auf Personen, die sich etwas trauen - und das tun Sie! Sie setzen einen Traum um, den viele nicht mal zu träumen wagen. Damit besetzen Sie das archetypische Muster des Entdeckers, vor allem, wenn Sie ins Ausland gehen oder an einem Entwicklungshilfeprojekt teilnehmen.
Bei Thorsten, der sich für die Landwirtschaft entschieden hatte, schaute eines Tages sogar der Vorstand vorbei und beglückwünschte ihn zu seiner Idee. Mehr noch: Er überraschte ihn mit dem Satz "Ich habe auch oft darüber nachgedacht ...". Und betonte: "Wenn Sie nach Ihrer Lehre wieder bei uns arbeiten wollen, sagen Sie mir Bescheid."
Das "Hin zu..." wird jetzt deutlicher spürbar. Typisch ist in dieser Phase, Angst vor der eigenen Courage zu haben. Sprechen Sie deshalb nur mit wohlgesinnten Menschen und machen Sie einen Bogen um Zweifler. Gemessen an der großen Frage, ob Sie sich überhaupt für eine Auszeit entscheiden oder nicht, werden Ihnen die jetzt anstehenden konkreten Schritte verhältnismäßig leicht fallen.
Neues hat im Leben nur dann wirklich Platz, wenn das Alte auch tatsächlich beendet ist. Verabschieden Sie sich also von den Kollegen, von Ihrem Büro, von Ihrer Aufgabe. Gehen Sie am letzten Arbeitstag bewusst durch alle Zimmer - auch durch die Kantine und die Kaffeeküche. Finden Sie geeignete Abschiedsrituale und feiern Sie mit Freunden eine "Auszeit-Party". Die Energie, die Ihnen dadurch zuteil wird, werden Sie in Ihre neue Zeit mitnehmen.
Verläuft die Auszeit nicht wie geplant, können die Betroffenen meist sehr gut damit umgehen. Anne trat ihre Reise nicht an, weil ihre Mutter krank wurde. Im Nachhinein war sie trotzdem froh, sich so entschieden zu haben: Sie brauchte die Zeit für sich selbst. Ihre neue Stelle fand die Informatikerin übrigens in dem gleichen Krankenhaus, in dem ihre Mutter so lange Patientin war. Oder Stefan: Der 38-jährige Vertriebsleiter wollte in einer Auszeit seinen Jugendtraum verwirklichen und Lehrer werden. "Ich merkte jedoch schnell, dass ich mir den Beruf zwar schön vorgestellt hatte, er mich in der Realität aber nicht wirklich begeisterte", sagt er. Er brach das Studium ab, genoss die Zeit zu Hause mit seiner Familie und fand mit den neu gesammelten Kräften eine Stelle als Geschäftsführer.
Seinen Träumen zu folgen, sich auf das Wesentliche zu besinnen, zu spüren, ob es sich "richtig" anfühlt, bringt Sie näher zu sich selbst. Und Sie schaffen Platz für Neues. Thorsten gelang sogar die Kombination von Altem und Neuem: Er arbeitet selbstständig als Grafikdesigner und der eigene Bauernhof ist in Sicht. Natürlich mit Büro und Werkstatt zum Malen!
Tipp: der emotion-Blog aus Lesotho
Unsere Expertin, Sozialpädagogin und systemische Familientherapeutin Antje Schwidurski, brach Ende 2007 nach Lesotho im Süden Afrikas auf - zunächst für ein Jahr. Sie wollte der Liebe zu ihrem Freund Mick eine Chance geben und sich den Traum erfüllen, in einem Entwicklungshilfeprojekt mitzuarbeiten. Für emotion.de berichtet sie seitdem auf emotion.de exklusiv von ihren Erfahrungen vor Ort.