Eine interkulturelle Bestandsaufnahme der Europareise von Katja Schulz, Redakteurin aus Berlin.
Katja Schulz, Redakteurin aus Berlin, guckt sich die Dinge gern aus der Nähe an. Sei es im Alltag oder in der Urlaubszeit.
Im Moment ist Katja mit ihrer Familie auf Europareise, aktueller Standort: Griechenland. Hier kommt ihre interkulturelle Bestandsaufnahme:
Was Europa ohne Griechenland wäre? Die Antwort ist überraschend einfach: Es gäbe kein Europa. Jedenfalls nicht unter diesem Namen. Europa ist eine phönizische Königstochter, ihr Name ist altgriechisch und heißt soviel wie glasklare Augen – die Frau mit der weiten Sicht. Nach Homer ist sie die Tochter des Phoenix – dem Vogel, der aus der Asche aufersteht. Zeus verliebt sich in sie und verwandelt sich in einen Stier um sie zu entführen. Europa reitet auf dem Stier und sieht alles an mit ihren glasklaren Augen.
So die Legende unseres Kontinents. Können wir also die Namensgeber unseres Kontinents aus der EU ausschließen? Wollen wir das? Und ist die EU gleichzusetzen mit dem Kontinent?
Um dieser Frage auf den Grund zu gehen, reise ich mit meiner Familie für ein halbes Jahr durch Europa, um ein Gefühl zu bekommen für die Frau auf dem Stier. Wer ist die schöne Unbekannte?
Gibt es ein Europa oder ist das nur so eine Idee? Wie leben die Menschen in den verschiedenen Ländern? Was kann ich von ihnen lernen?
Ich bin noch nicht in allen Ländern gewesen, die dazu gehören, aber schon jetzt bin ich tief beeindruckt von der Vielfalt und Schönheit, den unterschiedlichen Landschaften, Kulturen und Mentalitäten. Es steckt eine ungeheure Kraft und enormes Potential in diesen Ländern und gerade in den Unterschieden liegt der Reiz und das Potential.
Wie diese unterschiedlichen Lebensentwürfe unter einen Hut zu bekommen sind, daran verzweifeln derzeit die Politiker, die nach finanzielle Lösungen suchen für Dinge, die letztlich auch oder vor allem Herzensangelegenheiten sind. Es ist wie bei einer Scheidung, wo die Anwälte versuchen für die jeweilige Partei das meiste herauszuschlagen. Es wird gefeilscht und gehetzt und verletzt.
Die Menschen hier in Griechenland sind privat, direkt. Wir sind mitten unter ihnen. Mitten im Geschehen und eben nicht zu Hause in Berlin, wo wir Zeitung lesen oder Nachrichten hören und eventuell etwas mehr oder weniger Kluges dazu sagen. Uns eine Meinung bilden, ohne die Menschen über die wir urteilen kennenzulernen. Jetzt sind wir bei ihnen. Eigentlich wollten wir das gar nicht. Nicht ausgerechnet jetzt, wo die Krise ihren Höhepunkt erreicht. Wir wollten längst schon wieder weg sein. Bei dem, was ich in den deutschen Nachrichten hörte, fürchtete ich, die Griechen würden uns hassen. Nicht alle natürlich, aber einige. Auch wenn ich noch ihre Fußballchöre der vorletzten Weltmeisterschaft im Ohr habe, in denen sie "Oddo Rehaglis" sangen, um den deutschen Trainer Otto Rehagel zu feiern, hatte ich ein mulmiges Gefühl.
Unser erster längerer Stopp ist in Meteora, einer skurrilen Anordnung von Riesenfelsen in einer ansonsten flachen Landschaft, in der fünf Klöster in schwindelnder Höhe gebaut sind, die man über steile Treppen erreicht. In einem der Klöster kommen wir mit Jordanis ins Gespräch, der eines der Klöster betreut. Er betet jeden Tag für eine gute Lösung für Griechenland und für Europa. "Wir dürfen nicht nur an uns denken", sagt er, "auch an unsere Kinder und Kindeskinder. An die Zukunft. Es ist wichtig Verbündete zu haben, gemeinsam zu sein."
In Larissa, einer mittelgroßen griechischen Stadt, wo wir unterwegs einen Kaffee trinken wollen, sehen wir das erste Mal die langen Warteschlangen vor den Geldautomaten. Überall hängen OXI Plakate mit einem griechischen Slogan und einem sehr unvorteilhaften Foto von Minister Schäuble. Ein älterer Herr, Evangelos, spricht uns auf der Straße an, es ist der Tag vor der Volksabstimmung. Er warnt uns, nicht zu lange in Larissa zu bleiben und erklärt, was auf den Plakaten steht: OXI heißt NEIN und ist der Name der Partei. Darunter steht "Schäuble trinkt unser Blut". "So ein Unsinn!" regt sich Evangelos auf und schwärmt uns von seiner Zeit in Deutschland vor. Mit tränenerstickter Stimme singt er: "Ich hab mein Herz in Heidelberg verloren" und umarmt uns zum Abschied. "Bitte, bleibt nicht zu lange!"
Wir fahren weiter nach Thessaloniki, der großen Hafenstadt. Dort ist in diesem Jahr die biennále:5 of Contemporary Art – eine große Ausstellung der Bildenden Künste, die wollen wir uns ansehen.
Der Titel der Hauptausstellung lautet: "Between the Pessimism of the Intellect and the Optimism of the Will" – Zwischen dem Pessimismus des Intellekts und dem Optimismus des Willens. Der Titel bezieht sich auf ein Zitat des Marxistischen Denkers und Politikers Antonio Gramsci, der in seinen Gefängnistagebüchern (Quaderni del carcere) zwischen 1929 und 1935 notierte: "Die Herausforderung der Moderne ist es, ohne Illusionen zu leben und dabei nicht desillusioniert zu werden (...) Ich bin ein Pessimist wegen meiner Intelligenz, aber ein Optimist durch meinen Willen."
Na wenn das nicht passt!
Haben wir diese Herausforderung 80 Jahre später gemeistert? Wann wird die Moderne unmodern? In der Videoinstallation 'Late' von Hamza Halloubi wird der verstorbene Philosoph Sadi zitiert, der im Exil starb: "Das Neue wirkt oft erstaunlich bekannt..."
Vielleicht liegt die Lösung für Europa ja im altbekannten und muss nur neu angegangen werden?
Bevor wir aufbrechen, fällt uns eine zweite Leuchtschrift auf, sie rahmt die Ausgangstür: AND JET YOU GO ON. Und doch gehst Du weiter.