Wer als Erster einen guten Spruch raushaut, hat gewonnen. Damit hat Aurel Mertz schon früh Menschen, die ihm mit ihren Vorurteilen blöd kommen wollten, den Wind aus den Segeln genommen. Bärbel Schäfer hat mit dem Comedian über Selbstironie gesprochen – und über die Ironie, mit der er entlarvt, was falsch läuft in der Welt.
Ach, er kann so arglos wirken. Typ: gut gelaunter Wuschelkopf. Doch genauso gut gelaunt haut Aurel Mertz, 33, raus. Das Prinzip: Finger in die Wunde legen, statt erhobener Zeigefinger. Etwa wenn er in seiner Show "Aurel Original" in dramatischer Krankenhausserien-Manier zurück ins Leben geschockt wird, die Schwester seufzt: "Das war knapp, Dr. Mertz!" und er, den Kittel zuknöpfend, von der Krankenliege springt und in seiner Arztrolle sagt: "Das kann schon mal passieren bei einer 72-Stunden-Schicht!" Pflegenotstand, Sitcom-Style; was als Sitcom auf Instagram anfing, ist in der ZDF-Mediathek angekommen. Wir haben den Comedian, Podcaster, Schauspieler und TV-Moderator via Zoom gesprochen.
Aurel, Humor ist dein Metier. Mit wem hast du Lachen gelernt?
Meine Mutter ist ein positiver Mensch. "Immer wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her" – das ist ihr Blick auf die Welt. Wenn alles doof ist, bleibt uns oft auch nur das Lachen. Ich suche gerne nach dem Humor in Dingen, auch um mit schmerzhaften Erfahrungen umzugehen.
An was denkst du?
Spontan muss ich an eine Trauersituation denken. Aber mehr möchte ich dazu nicht erzählen.
Wann wusstest du: "Ich habe Humor"?
Ich habe kein Problem damit, mich über mich selbst lustig zu machen. Wir Menschen nehmen uns mit unseren Egos viel zu ernst. Um diese ewige, erzwungene Seriosität zu durchbrechen, hilft mir Humor. Auch bei Vorurteilen und Dingen, die Menschen in mir sehen, die gar nicht zutreffen, hilft es, der Erste zu sein, der einen guten Spruch raushaut. Ich nehme damit allen anderen den Wind aus den Segeln. Die Fähigkeit, über sich selbst zu lachen, ist das eindeutigste Zeichen für Humor.
Kannst du mit Leuten umgehen, die keinen Spaß verstehen?
Wir kennen nicht die Geschichte der anderen. Wir wissen nicht, warum jemand gerade so wenig lacht. Vielleicht gibt es große Probleme, sodass ihm nicht danach ist, Gags zu reißen. Ich führe auch ernste Gespräche, aber mir selbst vergeht das Lachen nur schwer. Wenn jemand überhaupt keine Selbstironie in sich trägt, kann es schon mal schwer werden, sich nahezukommen.
Wie würdest du das, was du alles machst, selbst beschreiben?
Ich bin ein Comedian, Podcaster, Moderator und Schauspieler, der sich schnell langweilt. In einem 9-to-5-Job eingesperrt zu sein, würde mir zu schaffen machen. Dass meine Arbeit abwechslungsreich ist, und ich damit Erfolg habe, ist meine Rettung. Da greift viel ineinander – wenn ich Pausen am Set habe, denke ich über Tweets nach, mit meinen Gedanken spielen zu können, lenkt mich gut ab, in meinem Kopf ist so viel los. Ich komme aus einer kreativen Familie. Meine Mutter ist bildende Künstlerin, mein Vater Grafikdesigner, meine Schwester ist Kostümbildnerin...
Wie hoch sind deine Anforderungen an dich selbst?
Ich bin mit dem Grundvertrauen aufgewachsen: Mach, was du denkst, Aurel! Ohne Druck und Anforderungen. Ich kann mich aber in Projekte reinsteigern, um mir selbst Druck zu machen. Da setze ich mir klare Ziele. Ich wollte zum Beispiel unbedingt eine eigene Show haben, das hat geklappt. Mein Arbeitsleben muss mich unterhalten, das ist mir wichtig, aber Quotendruck will ich heute nicht mehr.
Du hast 228 000 Follower:innen bei Instagram und über 150 000 bei Twitter, was bedeutet das für dich?
Das ist eine Zielgruppe, für die die Mediathek wichtiger ist als analoges Fernsehen. Mit meiner Reichweite kann ich Sendungen boosten, Diskussionen anstoßen oder auch steuern. Ich fühle mich durch die Reichweite weniger hilflos, kann selbst direkten Einfluss üben.
Deine Zielgruppe ist alert, keine Angst eine falsche Punchline rauszuhauen?
Absolut. Manchmal sind Follower:innen auch unterwegs, um Dinge absichtlich falsch zu verstehen, oder meine Aussagen für ihre Agenda, ihre Belange umzudrehen. Das ist wahnsinnig kompliziert, wenn du noch ein normaler Mensch sein willst. Ich bin der Öffentlichkeit dauerhaft ausgesetzt und kann selbst jederzeit Ziel einer Diskussion, eines Shitstorms werden.
Mit welchen Themen würdest du deine Zielgruppe denn irritieren?
Das frage ich mich nicht. Was ich in der Comedy auf keinen Fall will, ist, Minderheiten fertigzumachen. Ich will auch nicht von oben nach unten treten. Die Herausforderung im Umgang mit Social Media heute ist, verschiedene Perspektiven schnell zu verstehen und zu integrieren. Das musste ich erst lernen.
Schrumpft dadurch dein Humorraum, oder verändert er sich nur?
Er wird anders und muss besser durchdacht sein. Es ist nichts falsch daran, zu überlegen: Über wen mache ich mich lustig? Ich versuche nach oben zu treten, in Richtung der Reichen und Mächtigen. Nach unten zu treten, oder Leute über meine Reichweite zu dissen, ist keine Herausforderung.
Kann Humor woke sein?
Woke und Wokeness ist heute ein Sammelbegriff für rechte Wahnvorstellungen, für Verschwörungstheorien. Ursprünglich stammt der Begriff "woke" aus der Schwarzen-Bewegung der 1930er-Jahre, damals ging es um Gleichberechtigung und gesellschaftliche Gleichstellung. Heute hat der Begriff die Hände gewechselt.
Tatsächlich? Ich habe das für eine Selbstbeschreibung der progressiven jungen Linken gehalten.
Der Begriff wird heute ja viel mehr von Rechten als von Linken benutzt. Ich kenne niemanden, der sich selbst noch als "woke" bezeichnet, weil es inflationär negativ benutzt wird. Ursprünglich war der Begriff ja dafür da, um Offenheit für Gleichberechtigung zu signalisieren, aber zumindest in Deutschland wird der Begriff nur noch benutzt, um linken Denkweisen eine Correctness-Hysterie zu unterstellen.
Wieder was dazugelernt!
Aber um deine Ursprungsfrage zu beantworten: Comedy darf provozieren, aber kommt auch damit klar, eine gewisse Sensibilität gegenüber Gruppen zu zeigen, die es gesellschaftlich vielleicht sowieso schon schwer haben. Aber es gibt keine allgemeine Formel, was Comedy darf und nicht darf. Es geht darum, Menschen zu unterhalten, wenn dabei niemand verletzt wird, umso besser. Am Ende glaube ich einfach, dass man mit dem Publikum auf Augenhöhe interagieren sollte, dann wird einem auch vieles verziehen.
Brauchen wir Lachen als Ventil?
Lachen nimmt uns die Hilflosigkeit und Verzweiflung, gerade dann, wenn wir nicht in der Lage sind, etwas zu ändern. Das gilt für private oder globale Ereignisse. Lachen hilft gegen Traurigsein und Resignation.
Ist Lachen heute noch ein gesellschaftlicher Kit oder spaltet es uns eher?
Es kann verbinden, auch eine gespaltene Gesellschaft. Daran glaube ich. In der Coronazeit gab es im Lockdown auch ein großes Wir. Alle, die ich kenne, haben die scheiß "Tiger King"-Serie auf Netflix geschaut oder die "Michael Jordan"-Doku. Die Realität und die Regeln waren für alle gleich. Keine:r durfte seine Freund:innen sehen, egal ob Student:in oder Opel-Manager:in. Wir haben dieselben Nachrichten geschaut und Ursula von der Leyen dabei zugesehen, wie sie uns zeigte, die Hände richtig zu waschen und zweimal Happy Birthday zu singen. Comedy war da absolut relatable.
Kann Lachen Ängste überspielen?
Meine Sorgen lachend zu verarbeiten, ist meine Form von Therapie. Etwas pointiert zu formulieren, das Lustige im Tragischen zu finden, die Social-Media-Selbstinszenierung hilft auch mir, mich weniger allein zu fühlen... Ich bin das Vehikel, um alles zu servieren. Aber Comedy ist heute sehr komplex geworden, das Publikum ist anders sensibilisiert als noch vor zehn Jahren.
Und das respektierst du auch in deinem Humor. Ergibt sich daraus ein mediales Battle mit Konservativen, Illiberalen und Rückwärtsgewandten?
Gute Frage, selbstverständlich kenne ich humorlose Gegenwellen. Ich bin in meiner Arbeit aber nur den Menschen meine Inhalte schuldig, die sich darin wiedererkennen, die einen Zugang zur Welt wollen und sich wünschen nachzudenken. Ich arbeite nicht für die Radikalisierten, Hasserfüllten und Verbitterten. Die tun mir einfach leid.
Dieser Artikel erschien zuerst in der EMOTION 11/22.
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