Autorin Pauline de Bok ist leidenschaftliche Jägerin. EMOTION-Redakteurin Jessica Benjatschek ist Veganerin. Gemeinsam sprachen sie über die Lust am Töten - und waren sich dabei erstaunlich nah.
Die Leidenschaft für die Jagd hat Schriftstellerin Pauline de Bok erst spät entwickelt. Aber: Tiere töten als Hobby? Im Gespräch mit einer Veganerin erzählt sie, was sie an der Jagd fasziniert – warum sie glaubt, dass Jagen unserer Gesellschaft einen Spiegel vorhält und was die Zeit in der Natur ihr bedeutet.
EMOTION: Warum haben Sie den Jagdschein gemacht?
Pauline de Bok: Ursprünglich wollte ich nur ein Buch schreiben – über eine Jägerin, die 1984 ihr eigenes Revier an der Grenze zur DDR hatte. Ich fand das so faszinierend! Dann dachte ich aber, wenn ich das wirklich verstehen will, kann ich nicht nur Leute befragen oder darüber lesen. Ich muss mich diesem Thema selbst ausliefern.
Wie war das für Sie?
Es hat mir Angst gemacht. Aber ich mag es, an meine Grenzen zu stoßen, besonders wenn mich das Thema auch persönlich betrifft. Immerhin esse ich ja Fleisch. Früher war ich Pazifistin und klar gegen Waffen. Bevor ich das erste Mal auf dem Schießstand war, habe ich mich auch gefragt, ob ich überhaupt in der Lage bin, mit einem Gewehr umzugehen. Ich bin ja auch nicht mehr die Jüngste und hatte Zweifel, ob meine Reflexe noch schnell genug sind. Aber das sind sie.
Und wie kommen Sie damit klar, Tiere zu töten?
Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Mein Vater war Tierarzt, ein Nachbar Metzger, der hat auf seinem Hof geschlachtet. Da habe ich viel mitbekommen. Das war eben normal so. Der Tod gehört zum Leben dazu. Und ich wusste immer, woher mein Essen kommt – das ist mir auch heute noch sehr wichtig. Und ich schaue heute anders auf das Gleichgewicht in der Natur.
Lustig ist, dass ich immer verdutzt angeguckt werde, wenn ich vegetarisch esse. Das passt für viele nicht mit dem Bild der Jägerin zusammen.
Paulina de Bock, Jägerin und Schriftstellerin von "BEUTE"Tweet
Inwiefern?
Je mehr Zeit man in der Natur verbringt, desto mehr fällt einem auf, dass wir uns nach einem paradiesischen Gleichgewicht sehnen, das wir uns als einen Dauerzustand vorstellen, an dem alles einfach gut ist. Aber das gibt es in der Natur nicht. Es kann schrecklich schiefgehen, wenn es von einer Art zu viele Tiere gibt. Der Mensch hat den Wolf vertrieben, deshalb haben zum Beispiel Rehe und Hirsche keine natürlichen Feinde mehr – außer uns Menschen.
Das kann ich noch nachvollziehen. Aber wie kann Jagen Spaß machen?
Die allermeiste Zeit verbringe ich damit, Wild zu beobachten. Dabei ist es etwas komplett anderes, ob ich mit oder ohne Gewehr losgehe. Nur wenn ich es dabei habe, kommt eine Spannung auf, die es mir erlaubt, stundenlang geduldig still zu sein. Ich bin dann fokussiert. Fällt ein Schuss, fällt alle Anstrengung von mir ab. Dieses Glücksgefühl ist, glaube ich, eine ganz natürliche biochemische Kettenreaktion unseres Körpers.
Zweifeln Sie manchmal daran, ob die Jagd der richtige Weg ist?
Zweifel kommen doch immer auf. Aber wie gesagt, wenn es zu viele Wildschweine, Rehe, Füchse oder Waschbären gäbe, würde die Pflanzen- und Tierwelt darunter leiden. Es geht immer um fressen und gefressen werden.
Sie schreiben in Ihrem Buch, dass die Jagd unserer Gesellschaft einen Spiegel vorhält. Wie meinen Sie das?
Viele essen Fleisch, aber verurteilen mich und andere Jäger, weil wir Tiere töten. Wo kommt das Fleisch denn her? Massentierhaltung finde ich richtig schlimm. Wenn man ein Huhn für zwei Euro im Supermarkt kaufen kann – was ist das Leben dann noch wert? Ich finde nicht, dass jeder, der Fleisch isst, auch in der Lage sein muss, Tiere zu töten und sie zu schlachten – dafür gibt es ja Arbeitsteilung. Aber ich wünsche mir, dass es ein stärkeres Bewusstsein dafür gibt, wo Fleisch eigentlich herkommt und was alles damit zusammenhängt.
Haben Sie darüber nachgedacht, mit dem Jagen aufzuhören, als Ihr Buch fertig war?
Nein, und damit habe ich mich bei vielen als Tierfreund endgültig erschossen.
Verstehen Sie sich selbst so?
Natürlich. Ich habe mehr mit Tieren zu tun als je zuvor und kann nie genug davon bekommen, sie zu beobachten, über sie nachzudenken. Was ich in unserer Gesellschaft schlimm finde, ist, dass Tiere vermenschlicht werden.
Haben Sie ein Beispiel?
Letztens hat mir ein Jäger erzählt, dass er zu einem Wildunfall gerufen wurde, um das angefahrene Reh zu erlösen. Da saß der Polizist neben dem Reh und hat es gestreichelt, um es zu beruhigen. Aber der Mensch ist der Feind des Rehs! Stellen Sie sich mal vor, Sie wären verletzt und dann kommt ein Wolf und legt sich neben Sie. Genauso missverstehen wir oft unsere Haustiere. Was macht man mit einer Katze, die Vögel frisst? Man sollte immer überlegen, was artgerechte Tierhaltung bedeutet. Und weil ich nicht nur in Mecklenburg lebe sondern auch mitten in Amsterdam, habe ich keinen Hund, obwohl ich wirklich gern einen hätte.
Sie beobachten das Wild ja über die Saison, lernen die Tiere sozusagen kennen. Wie gehen Sie damit um, wenn es dann zum Abschuss freigegeben wird?
Manchmal erfinde ich Ausreden, wie, dass ich den weißen Hirsch nicht schießen darf, weil das Unglück bringen soll, oder, oder, oder… Ich habe immer eine Wahl.
Gibt es etwas, das Sie an der Jagd stört?
Definitiv die Trophäenjagd! Hirsche bekommt man am ehesten zur Brunft zu Gesicht. Da sind sie aber so voller Hormone, dass ihr Fleisch ungenießbar ist – trotzdem werden sie geschossen, wegen ihres Geweihs. Wenn ich jagen gehe, nehme ich mir ein Beispiel am Wolf, der nur schwache, kranke, junge und alte Tiere reißt. Und mich stören Jäger, die sich davor ekeln, das Wild auszunehmen. Ich finde, das gehört dazu.
Werden Sie als Frau unter Jägern akzeptiert?
Es gibt bisher wenige Jägerinnen, aber die Zahl wächst. Ab und zu bekomme ich bei Lesungen oder von sehr traditionellen Jägern zu hören, dass es "widernatürlich" sei, als Frau jagen zu gehen, weil wir doch "Leben schenken" und nicht "Leben nehmen" sollten. Aber Jägerinnen werden zum Glück immer ernster genommen. Ich fände es gut, wenn sich die Jagd dahin verändert, dass wir für alle drei stehen: Jagen, Naturschutz und Tierschutz.
Wie denken Sie heute über die Natur?
Die Natur ist für mich keine Kulisse, durch die ich laufe. Ich fühle mich als Teil von ihr.
Gibt es etwas, das Sie nach Amsterdam in Ihren Alltag mitnehmen?
Ich bin viel bodenständiger geworden. In der Natur werde ich oft mit meiner eigenen Verletzlichkeit konfrontiert, das hilft, sich selbst nicht zu ernst zu nehmen und gelassener zu werden.
Als Veganerin jagen gehen? Unsere EMOTION-Redakteurin hat das gerade erschienene Buch der Jägerin Pauline de Bok sehr fasziniert: Was ist es nur, dass sie am Schießen, am Tod, am Blut so berührt? Die Reportage zum Interview findest Du im aktuellen EMOTION Magazin. Ab heute im Kiosk erhältlich oder bestelle sie hier!