Verkleiden ist längst nicht nur ein Thema für Karneval und Fasching. Uns ist aufgefallen: Immer mehr Leute laden auch den Rest des Jahres zu Motto-Partys mit Kostümpflicht ein. Und die meisten lieben es! Woher kommt der Spaß am Verkleiden?
Fasching fand ich immer super. Im Kindergarten ging ich einmal als Primaballerina: im langen Tüllrock, mit Spitzenschuhen und Fächer. In der Grundschule war ich "Filmstar Inkognito". Mama hat mir einen schwarzen Chiffonschal als Kopftuch und ihre übergroße Sonnenbrille geliehen. Wo das geringelte Stretch-Top herkam, das ich als Minirock trug – keine Ahnung. Später habe ich meine Fasnachtskostüme (Fasching auf Schwiizerdütsch) immer selbst gemacht. Für eine Session als "Puck" habe ich in stundenlanger Kleinstarbeit drei Meter künstlichen Efeu an Hose und Pullover genäht und unzählige Blätter mit Haarnadeln in meiner Frisur befestigt. Heute boykottiere ich Fasching, da Massenbesäufnis und Grapschparade, aber für eine Mottoparty lege ich mich immer noch gern ins Zeug.
Kostümpartys sind der Renner
Damit bin ich nicht allein: Der offizielle Karneval ist Geschmackssache, aber Verkleiden ist in und zwar nicht nur bei den ganz Jungen. Wer aktuell was zu feiern hat, verleiht seinem Fest ein Motto. Fast jede Kollegin in der EMOTION- Redaktion hat eine Anekdote von ihrem letzten Kostümfest parat. Sarah aus der Vermarktung erschien kürzlich als Batwoman auf einem dreißigsten Geburtstag mit Superheldenmotto. Textchefin Andrea als Freddie Mercury auf einem fünfzigsten zum Thema "80er-Jahre". Ich selbst war im Dezember auf einer "Ugly Christmas Sweater"-Party. Woher kommt diese neue Lust aufs Verkleiden?
Kostüme spiegeln Sehnsüchte wieder
Eine Theorie liegt auf der Hand: Schlüpfen wir in fremde Rollen, können wir Sehnsüchte ausleben. Erst während ich das hier schreibe, fällt mir auf, dass die Kostüme, an die ich mich erinnere, eine meine ältesten Sehnsüchte spiegeln: auf der Bühne zu stehen. Ich glaube, es ist jedem von uns klar, dass all die sexy Krankenschwestern und Nonnen mit Strapsen insgeheim die Sehnsucht hegen, auch an jedem x-beliebigen Samstagabend derart selbstbewusst auf Männer zugehen zu können. Diese Theorie ist also gekauft.
Ich bezweifle allerdings, dass unsere Beautychefin Betty den geheimen Wunsch hegt, die Galaxie gegen den Todesstern zu verteidigen. Betty liebt alles Schöne. Auch ihr Instagram-Account zeigt eine makellose, ästhetische Welt. Für ihre Prinzessin-Leia-Frisur war sie extra beim Friseur. Befeuern die sozialen Netzwerke etwa insgeheim unsere Verkleidungslust? Weil wir es sowieso gewohnt sind, uns selbst als instagramfähige Inhalte zu kreieren? Wenn wir uns ohnehin ständig als geschönte, gefilterte und optimierte Persona in die Welt tragen – warum nicht gleich als Superstar oder Superheld? Oder geht dieser Gedanke zu weit?
Verkleiden ist befreiend
Oder ist es das genaue Gegenteil: Verkleiden macht uns so viel Spaß, weil es befreit. Lustig sein ist hier wichtiger als Attraktivität. Und wenn alle maskiert sind, darf es verrückter als sonst zugehen. Je unkenntlicher ich bin, desto weiter kann ich gehen, weg von dem, was ich normalerweise bin und sein muss. Und mal ehrlich – unser heutiger Alltag fordert uns viel ab: vernünftig, korrekt, freundlich sein, während wir eigentlich vor lauter Überforderung schreien möchten. Bei Kostümfesten dürfen wir schreien. Wir dürfen Blödsinn machen, provozieren, uns zum Affen machen. Und das ist echt befreiend: Trump, AfD-Wähler, doofe Nachbarn oder ein kranker Babysitter – da kann man schon mal ’ne Pause vertragen. Verkleiden schafft Abstand. Es ist Urlaub vom Alltag.
Das Kostümieren verändert unseren Blickwinkel. Nicht nur auf uns selbst, auch auf die anderen. Soziologe Tilman Allert von der Goethe-Universität Frankfurt glaubt sogar, dass diese Art von spielerischem Rollentausch langfristig für mehr Offenheit in unserer Gesellschaft sorgen kann. Wir seien eh schon viel toleranter gegenüber exzentrischen, sozialen "Maskierungen" geworden: Frisuren, Tätowierungen, Kleidung – heute sei fast alles erlaubt, wir nehmen "non-konforme Kostümierungen" nicht mehr allzu ernst. Insofern: ruhig öfter mal das innere Kind nach außen kehren, egal ob es Schneewittchen oder Robin Hood heißt. Wir wissen ja jetzt: Es macht uns alle frei.
Verkleidet ihr euch auch gern? Wenn ja als was? Schreibt uns einen Kommentar!