Kann Sex oder Solosex dazu beitragen, dass ich zufriedener, entspannter und mehr mit mir im Reinen bin? Unsere Autorin wagt das Selbstexperiment: In Jogginghose gekleidet und Schokolade lutschend erkennt sie ihre eigenen Bedürfnisse und erlernt nebenbei ein paar befriedigende Massagegriffe.
Angezogen am PC, statt nackt in einem Berliner Souterrain
Jede Krise hat ihren Höhepunkt, meiner war gekommen, als ich feststellte: Du hast dich gerade zu einem Online-Sexworkshop angemeldet. Keine Ahnung, was mich ritt, vermutlich ein Jahr mangelnder Galopp, plus Neugier. Der Preis von 45 Euro für den "Church of Pleasure"-Workshop, den ich auf Instagram entdeckte, war niedrigschwellig genug. Kursleiterin Sandra von Zabiensky kündigte dort an: "Hier wird kein Beckenboden geklöppelt und keine Yoni aus Fimo geknetet."
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Also sitze ich an einem Samstag mit Laptop und rund 40 anderen Teilnehmerinnen in meiner Küche. Wir treffen uns virtuell via Zoom. Die Tatsache, dass der dreistündige Kurs ausschließlich für Frauen ist und ich im geschützten Raum meines eigenen Zuhauses bin, statt nackig in einem Souterrain in Berlin-Kreuzberg zu liegen und mit wildfremden Menschen Tantramassagen zu üben, macht es mir leichter.
Ich lasse dennoch meine Kamera von Anfang an aus und komme mir dabei vor wie ein Stalker. Im Vorfeld hieß es, wir sollten uns eine saftige Frucht und etwas Leckeres zu trinken bereitstellen, ach ja, und eine Zucchini oder wahlweise einen Dildo. Wer mag, soll gern etwas anziehen, in dem man sich sexy fühlt. Die Kursleiterin trägt Hotpants, 12-cm- Louboutins und trinkt genüsslich Champagner.
Hin zur eigenen Lust und weg von der Befriedigung anderer
Ich habe eine Jogginghose an, einen Pott Tee vor mir und leider nur eine Süßkartoffel zur Hand. Was witzig klingt, aber eigentlich traurig ist: Mir ist Sinnlichkeit manchmal peinlich, mich darüber lustig zu machen ist meine Art, das zu verstecken. Ich fand unverbindlichen Sex schon immer einfacher als Intimität. Einen One-Night-Stand un- gefährlicher als eine Beziehung. Nun aber stecke ich mittendrin im Lusttempel, Sandra erzählt mit entwaffnend ungenierter Art von ihrer eigenen Reise weg von Scham und Leistungsgedanken: "Das Hauptanliegen meines Workshops ist die Freiheit und das Spielerische. Dass Rollen wegfallen und befreite Lust entstehen kann."
Schon als kleine Mädchen bekämen wir gesagt, was sich gehört und was man nicht macht, die meisten von uns hatten stabile Muster im Kopf, wie guter Sex auszusehen hat. Als sei er etwas, das man aufführt, um am Ende eine Note zu bekommen. Erleichtertes Lächeln bei den Teilnehmerinnen.
Aber wie finde ich raus, worauf ich wirklich stehe und was ich bloß vollführe, um andere zu befriedigen? "Frag dich, was dein Turn-on ist. Worauf springst du am meisten an?", sagt Sandra. Während ich darüber nachdenke, was mein ungelebter Turn-on ist, werden wir mithilfe einer kleinen Meditation an einen Strand geschickt, sollen empfinden, wie sich das anfühlt: die warme Sonne auf unserer nackten Haut, der heiße Sand unter unseren Füßen, die Luft, wie sie beim Einatmen unsere Nase kitzelt. Der Geruch von Meersalz. Wie das Leben uns streichelt.
Irgendwo berührt mich das, ich weiß nur noch nicht, wo genau. Manchmal macht mir Hingabe Angst, ähnlich wie das Schwimmen auf offener See, weil man nie weiß, welcher Abgrund sich unter einem auftut.
Im Alltag geht oft die Lust verloren
Sandra isst filmreif eine Feige und ermuntert uns, alle Sinne einzusetzen. Ich krame hastig nach einem Stück Schokolade, weil ich auch mitmachen will. Wie ist der Geschmack, wie das Gefühl auf der Zunge und wie das Schlucken? Sandra will uns zu mehr Lebenslust im Alltag inspirieren, weil Genuss und Vergnügen an sich selbst das Entree sind zu einem erfüllten Sexleben. "Manchmal vergessen wir, wie schön es ist, zu spielen, auszuprobieren, zu lachen. Es besteht kein Anspruch an dich als perfekte Liebhaberin. Das gilt übrigens für beide Seiten!"
Im Laufe des Workshops lernen wir auch Lingam-Massagegriffe, mit denen wir dem männlichen Geschlecht Freude bereiten. Ich schreibe in den Chat: "Haha, da braucht man ja ein PDF neben dem Bett." Was als Witz gedacht war, wird ernsthaft behandelt, ja, wir bekämen im Anschluss alle noch eine Anleitung für die Tantramassage. Auch für die Yoni-Massage. Die Lehrerin demonstriert sie hingebungsvoll an einer Yoni-Attrappe, ausgiebig bearbeitet sie Schamlippen, Perineum und Klitoris. Ach so, alle Teilnehmerinnen haben ihre Kameras nun ausgeschaltet. Während sie sich zu Hause selbst erforschen, bekomme auch ich plötzlich Lust. Nicht auf Sex, nicht mal zwingend auf einen Mann, sondern darauf, die Frau zu sein, die sich selbst in jeder Situation des Lebens genießt, die sich Lust an der Lust erlaubt, die riskiert, dass die Soße überkocht, statt immer nur leise zu simmern.
Dieser Artikel erschien zuvor in unserem Sonderheft zum Thema Liebe.
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