Viele Menschen engagieren sich in ihrer Freizeit ehrenamtlich. Muss man denn ein schlechtes Gewissen haben, wenn keine Zeit dafür ist? Berit Brockhausen antwortet.
Katja, 46: Ich habe ständig ein schlechtes Gewissen, weil ich es nicht schaffe, mich ehrenamtlich zu engagieren. Dabei wäre ich so gern ein gutes Vorbild für meinen Sohn.
Berit Brockhausen: Ich bin fest davon überzeugt, dass unsere Welt sehr viel besser wäre, wenn Menschen ihre Kraft weniger mit unproduktiven Schuldgefühlen vergeuden würden, sondern stattdessen dort aktiv werden, wo ihr Einsatz tatsächlich einen Unterschied macht. Solange Ihr Kind klein ist und Sie berufstätig sind, wird ehrenamtliches Engagement entweder zulasten des Kindes oder des Jobs gehen. Das macht die Welt bestimmt nicht gerechter.
Dabei könnten Sie so wirkungsvoll etwas verändern! Indem Sie Ihrem Sohn zeigen, wie man respektvoll mit anderen Menschen umgeht, wie man nachfragt, anstatt zu verurteilen, wie man konstruktiv für eigene Wünsche und Interessen eintritt und wie man im Konfliktfall besonnen reagiert. Sie können ihm zeigen, dass Frauen und Männer gleich viel leisten, und Sie können eine Umgebung schaffen, in der es Freunde aus unterschiedlichen Kulturen findet und so erfährt, was die Unterschiede, aber auch was die Gemeinsamkeiten sind.
Doch schon die Bemühungen, Respekt, Konsequenz und konstruktiven Umgang mit Konflikten in der Beziehung zu Ihrem Sohn umzusetzen, erfordern viel Kraft und Aufmerksamkeit. Wenn Ihnen das gelingt, ist das tausendmal wirksamer als eine Mutter, die ihren Nachwuchs vor dem Bildschirm parkt, weil sie von Arbeit und Ehrenamt viel zu erschöpft für eine notwendige Auseinandersetzung ist – und deswegen wieder ein schlechtes Gewissen hat.
Berit Brockhausen ist eine der führenden Psychologinnen Deutschlands, Expertin für Beziehungen und Buchautorin. Egal ob Sie Fragen zu Liebe, Familie, Freunden oder Nachbarn haben – hier bekommen Sie eine Antwort.
Lesen Sie hier das Interview zu ihrem Buch "Hoheitsgebiete".