Hieß es nicht früher, Party machen, bis der Arzt kommt? Wann sind bloß Arztbesuche zum Hauptpartythema geworden?
Meine Nachbarin hat seit Kurzem einen Herzschrittmacher. Sie ist noch etwas wackelig, aber froh, dass sie es hinter sich hat. Die nette Kassiererin in meinem Supermarkt hat ein kaputtes Knie, aber der Arzt rät ihr von der OP ab, weil sie zu dick sei. Der 92-jährige Vater meiner Freundin hat gerade einen Eingriff am Herzen überstanden, "durchs Bein", wie er stolz erzählt.
Wo immer ich hinhöre, wo immer ich in netter Runde beisammensitze, geht es neuerdings um Krankheiten, um Ärzte, um OPs. Und wenn nicht darum, dann eine Nummer kleiner, um Hormone oder Fettabsaugung, um Knochendichtemessung, um Grau wegfärben ... Ja, ich weiß, die Zeiten, wo wir alle die Nächte durchmachten, Sex wie Atmen war und der Horizont grenzenlos, sie sind vorbei.
Die Zeit der Zipperlein ist da, und wer wie ich bis jetzt nur die kleineren erwischt hat, die gelegentliche Schlaflosigkeit, das leise "Du bist nicht mehr 20"-Knochenknacken beim Aufstehen, der darf sich glücklich schätzen.
Schätze ich mich auch, aber ich will nicht jetzt schon im Schongang leben und meinen Körper wie eine kostbare Vase behandeln, die einen Sprung hat. Wenn ich mit Freunden im Lokal sitze, Spaghetti Carbonara bestellen will und jemand: "Mein Internist hat bei mir Verdacht auf Fettleber festgestellt, sei lieber vorsichtig", zu mir sagt und dann der Nächste von Grünkohl-Smoothies schwärmt, dann sage ich zum Kellner: "Meine Pasta bitte mit ganz viel Speck!"
Ach, manchmal sehne ich mich nach der Zeit zurück, als es um Liebeskummer und heiße Affären ging, wir alle noch rauchten und alkoholfreies Bier ein Getränk für Magenkranke war. Selbst Babystress oder Teenieärger – her damit! Bloß nicht wieder einem alten Jugend- freund die Hand drücken wollen, der sie dann mit dem gellenden Aufschrei: "Nicht so fest, ich habʼ Arthrose im Daumen!" zurückzieht.
Ich will auch nicht immer ganz genau wissen, wer von meinen männlichen Freunden aus welchen Prostatagründen Kürbiskernkapseln schluckt, obwohl ich es irgendwie rührend fand, wie ein guter Bekannter, rüstige Endsechzig, stolz erzählte, dass er nach seiner Hüft-OP einen Katheter strikt abgelehnt hat, weil er sich vor der hübschen jungen Kran- kenschwester nicht blamieren wollte.
Es ist nicht zu leugnen, ab spätestens Mitte Fünfzig haben sich die alten Sex ’n’ Drugs- und Rock ’n’ Roll-Themen leise davongeschlichen, dafür sind jetzt die Krankheit-, Wellness-, Renten-Probleme angesagt. Fast jede Freundesrunde fängt so an, bis ich ganz laut sage: "Schluss damit! Anderes Thema! Wer hatte diese Woche richtig guten Sex?" Allgemeines Schweigen und dann fangen wir alle an zu lachen. Okay, hatte keiner. Jedenfalls nicht diese Woche. Aber keiner von uns hat zu hohe Cholesterinwerte. Es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...