Nicole Jäger schildert in Ihrem Buch "Nicht direkt perfekt", die nackte Wahrheit übers Frausein. Denn sie findet: Jede Frau hat ein Recht auf ein gutes Körpergefühl, auf Weiblichkeit und darauf, verdammt glücklich zu sein!
EMOTION: Warum fällt es uns Frauen Ihrer Meinung nach so schwer, etwas Positives über uns selbst zu sagen?
Nicole Jäger: Frauen neigen zu sehr starker Selbstkritik und dazu, vorzugsweise all die vermeintlichen Makel deutlicher zu sehen als alles Schöne. Ich nehme an, dass das unter Anderem etwas damit zu tun hat, wie wir erzogen werden. Jungs werden zu Königen erzogen, Frauen zu Prinzessinnen bei denen es darum geht, möglichst gut auszusehen. Frausein und Weiblichkeit scheint am Ende des Tages stets eine Frage der Optik zu sein. So als wäre es vollkommen egal was für ein Mensch ich bin, ob ich eine gute Mutter, tolle Partnerin oder eben ein großartiger Mensch bin, was ich beruflich mache oder wie ich mich engagiere. Am Ende reduziert sich alles auf die Frage, wie eine Frau aussieht und das sorgt für ein so schwieriges Verhältnis zum eigenen Spiegelbild.
In Ihrem Buch beschreiben Sie eine Szene, in der Sie vor dem Spiegel stehen und laut das Wort "Fett" sagen. Was hat es damit auf sich?
Ich spreche in dem Kapitel darüber dass man den Umgang mit seinem eigenen Spiegelbild lernen muss und dass wir akzeptieren müssen, dass dieser Körper, der uns dort entgegen blickt, nun einmal der aktuelle Stand der Dinge ist. Und oftmals sind wir unzufrieden mit unserem Gewicht. Dabei haben wir beinahe schon Angst drauf angesprochen zu werden und neigen dazu, einem Wort, das unseren "Makel" beschreibt sehr viel Macht über uns zu geben. Das Wort "Fett" ist so ein Wort, welches Wunden reißt und ganze Selbstwertpaläste einstürzen lassen kann. Dabei ist nicht das Wort das Problem, sondern dass wir es so negativ aufgeladen haben. Fett ist ein Wort wie klein, blond, kurzsichtig oder lila. Es ist ein Attribut, beschreibt vielleicht einen Körper und wir müssen damit aufhören einem Wort wie "Fett" so viel Macht zu geben, dass es uns am Ende des Tages von den Beinen reißen und alles versauen kann, wenn es uns jemand an der Bushaltestelle entgegen brüllt.
Nicht direkt perfekt
Warum glauben Sie, dass nichts Falsches daran ist, sich für andere hübsch zu machen und Bestätigung zu suchen?
Wir suchen alle nach Bestätigung. Ständig und das ist ebenso normal wie es kein Problem ist. Wie diese Bestätigung aussehen muss oder darf bestimmt wohl jeder individuell. Ich finde es vollkommen in Ordnung zu sagen: "Ja klar mache ich mich für Dich hübsch." Warum denn auch nicht? Es ist doch auch ein Kompliment für beispielsweise meinen Partner, dass ich mir Mühe für ihn und somit für uns gebe. Sich für sich selbst schön und attraktiv zu machen und zu geben ist wichtig und eine Grundvoraussetzung aber ich glaube, dass es nicht verwerflich ist, wenn man begehrt und wahrgenommen werden möchte.
Machen wir unsere Zufriedenheit damit nicht zu sehr von der Meinung anderer abhängig?
Nein. Zufriedenheit muss erst einmal aus mir heraus kommen. Solange das nicht stattgefunden hat, können wir Komplimente gar nicht erst annehmen und glauben unserem Gegenüber sowieso nicht. Ich sage ja nicht, dass man alles nur für andere tun soll. Ich sage, dass es Okay ist das zu tun wenn man das braucht. Und oft braucht es eben ein gutes Wort, ein Lächeln, ein verschmitzter Blick oder eine zugeschobene Telefonnummer. Zudem kommen wir um die Meinung anderer nicht herum. Wir ziehen uns jeden Schuh an, auch wenn er noch so drückt, sobald jemand was gemeines sagt und halten das für normal. Sobald man aber sagt, es sei angenehm von anderen mit Wohlwollen empfangen zu werden scheint es als müssten wir jedes Mal ausrufen: "Ich mache das alles nur für mich. Mir doch egal ob Du mich hübsch findest." Wir müssen uns vor Gemeinheiten schützen, nicht vor Komplimenten.
Wir müssen damit aufhören einem Wort wie "Fett" so viel Macht zu geben.
Nicole Jäger, Autorin von "Nicht direkt perfekt: Die nackte Wahrheit übers Frausein"Tweet
Warum ist es wichtig, dass wir lernen Komplimente anzunehmen?
Wir haben es verdient, komplimentiert zu werden. Jeder Mensch hat das. Das Problem ist nur, dass wir so sehr damit beschäftigt sind uns nicht gut genug zu fühlen, dass wir es kaum glauben können, wenn ein anderer es tut. Das geht so weit, dass Frauen beispielsweise Männern die Kompetenz absprechen wenn sie sie schön finden. Ich höre ständig Frauen die sagen: "Ich weiß nicht was der an mir findet..." oder "Naja der muss das ja sagen weil er mein Mann ist" oder aber: "dann hat er aber einen schlechten Geschmack." Das ist aus zweierlei Gründen tragisch. Zum Einen ist es verletzend und respektlos demjenigen gegenüber, der uns komplimentiert, zum anderen aber sagt es sehr viel darüber aus, wie wir uns selbst sehen und dieses Bild scheint kein gutes zu sein.
Sie offenbaren in Ihrem Buch, dass Sie aufgrund von Haarausfall eine Perücke tragen und sich nach anfänglichen Problemen, nun unglaublich wohl damit fühlen. Wie haben Sie es bis dahin geschafft?
Es war ein sehr langer und 20 Jahre andauernder Weg der damit seine Wendung nahm, dass ich Krokodilstränen weinend unter der Dusche stand und meine Haare abrasierte um fortan Perücke zu tragen. Ich habe mich mein Leben lang unwohl gefühlt mit meinem eigenen, dünnen, sehr schütteren Haar. Mir war es peinlich und es hemmte mich sehr. Für Frauen sind Haare ein Statussymbol und ich bin nicht nur dick, ich habe auch noch fürchterliches Haar. Damit umzugehen war nicht leicht und den Schritt zu wagen zu sagen: "Okay, wenn mein eigenes Haar es nicht kann, dann trage ich halt Perücken" war ein Sprung ins kalte Wasser. Eine meiner besten Entscheidungen, denn seither bestimme ich, wie ich aussehen möchte und mache mir nicht mehr ständig Gedanken, wie meine Haare denn nun auf andere wirken könnten. Aber es war hart und einzusehen, dass mein Frausein nicht an einer Haarwurzel hängt, bedurfte viel Arbeit und Mut. Letzten Endes aber empfehle ich es jeder Frau, die unglücklich ist mit ihrem Haar. Perücken kann jeder tragen und es ist absolut keine Schande. Im Gegenteil sah ich nie besser aus als mit den Haaren, die nachts neben dem Spiegel schlafen.
Perücken kann jeder tragen und es ist absolut keine Schande.
Nicole Jäger, Autorin von "Nicht direkt perfekt: Die nackte Wahrheit übers Frausein"Tweet
Immer noch geht mit dem Thema Regelblutung viel Scham und Unwissenheit einher. Wie können wir das ändern?
Indem wir darüber sprechen. Zur Aufklärung von Jugendlichen sollte das Thema Regelblutung ein fester Bestandteil sein und zwar nicht nur die Tatsache dass Mädchen und Frauen bluten sondern auch alle Themen drum herum und was die Periode bedeutet und mit Frauen macht. Hormonell wie körperlich. Auch in Partnerschaften sollten wir mit unserem Gegenüber sprechen und ihm eine Chance geben, uns zu verstehen. Männer können das häufig nicht nachempfinden, weil sie es schlicht nie erleben. Wäre es umgekehrt, ginge es uns genau so. Also müssen wir darüber sprechen. Unbefangen und frei von Scham. 50% der Menschheit blutet und 100% der Menschheit gibt es nur, weil dies so ist. Zu menstruieren ist nichts, wofür eine Frau sich schämen muss. Es ist urweiblich und bedeutet Leben und Weiblichkeit – und Heißhunger auf Schokokuchen.
Sie haben Ihre Essstörung als Ihre große Schwester bezeichnet. Hat es Ihnen geholfen, Ihre Essstörung zu personifizieren und die Beziehung zu ihrer "Schwester" in Worte zu fassen?
Es hat vor allem dabei geholfen anderen Menschen zu erklären, wie eine Essstörung sich anfühlt und dass es dabei nicht um "der Dicke muss einfach weniger essen" und "die Dünne muss einfach mal mehr futtern" geht, sondern dass es um Emotionen geht die stark sind und manchmal sehr schmerzhaft. Eine Essstörung sucht man sich nicht aus aber wenn man sie hat, dann kann man lernen mit ihr umzugehen. Mir hat es geholfen meine eigene Essstörung nicht mehr nur als Feind wahrzunehmen sondern eben auch die Stärken in dieser zu sehen und festzustellen, dass sie auch ihren Nutzen hat. Seither lebe ich friedlicher mit meinen Ernährungsmacken.
Was sollten wir unseren Kindern über Emanzipation und Feminismus beibringen?
Wir sollten unsere Kinder darüber aufklären was diese Worte bedeuten und dass da nichts schlechtes dran ist, gleichberechtigt sein zu wollen. Wir sollten unsere Kinder, egal ob Junge oder Mädchen, zu selbstbewussten Menschen erziehen, die in der Lage sind, sich selbst und andere zu lieben, zu respektieren und wahrzunehmen. Wir müssen verstehen lernen, dass Gleichberechtigung nicht heißt, besser als jemand anderes sein zu wollen sondern dass wir in aller erster Linie, unabhängig vom Geschlecht, Menschen sind und als solche sollten wir alle die gleichen Rechte und Chancen haben.
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