"Eine andere Reise durch die Schweiz" heißt der Untertitel eines außergewöhnlichen Buches, das mir kürzlich in die Hände fiel. Fotograf Marco Volken hat eine komplette Bildserie Klohäuschen in der freien Natur gewidmet. Und das ist kein bisschen eklig.
Bildbände über die Gebirgswelt der Alpen gibt es viele, aber so etwas , das kann man für wahr behaupten, das hat es noch nicht gegeben. Volkens "Stille Orte" sind ungewöhnliche Toiletten, keine modernen sanitären Anlagen, sondern oftmals bloße Holzverschläge, Steinhaufen oder auch mal eine fast vollständig aus Glas bestehende Kabine. Manche sind in den Berg gehauen, andere erreicht man nur durch Klettern. Ein paar haben keine Türen. Eine trägt sogar einen Namen: "Helmut's Thron". Es gibt darunter welche, die in an so abenteuerlichen Punkten stehen, dass man Angst hat, samt Toilette abzustürzen, sobald sie betritt. Und dann gibt es noch die, die erst auf den dritten oder vierten Blick als Toilette zu erkennen sind. Echte Notdurft-Stätten, nicht mehr als ein Loch im Fels.
Auf manchen Bildern fügen sich die Bergtoiletten harmonisch in die Berglandschaft ein, bei anderen Bildern wirken sie eher wie Fremdkörper oder wie Raumschiffe von einem fremden Stern. Bei einigen Panoramaaufnahmen muss der Betrachter sehr genau hinsehen: Da werden die Stillen Orte zu Suchbildern, bis die Häuschen zwischen Felsen weit oberhalb der Baumgrenze gefunden sind.
„Am Anfang dieser Bildserie stand nicht eine Absicht. Sondern zufällige Entdeckungen in der freien Natur, oft an den unwahrscheinlichsten Orten“, schreibt Fotograf Volken im Nachwort des Buches. Über einen langen Zeitraum habe er bei seinen Bergtouren diese Orte zu allen Jahreszeiten zunächst nur nebenher fotografiert, vom improvisierten Donnerbalken bis zur aufwendig errichteten Blechhütte am Gletscherrand. Doch in den letzten zwei Jahren wurde die Arbeit an dem Fotoprojekt immer intensiver, oft pilgerte Volken mehrmals zu dem einen oder anderen Häuschen, bis der Abort endlich im perfekten Licht stand.
Wenn man sich die Bilder so anschaut, kommen Erinnerungen an eigene Bergtouren hoch. Ich kann mich zwar nicht entsinnen, jemals ein stilles Örtchen aufgesucht zu haben, das so abenteuerlich anmutete, aber ihr Geruch ist doch noch sehr präsent. Dieser Geruch steht in krassem Kontrast zu der wunderschönen Landschaft, in der die Toilettenhäuschen stehen. „Stille Orte“ Buch stinkt nicht, Gottseidank. Es ist ganz leise, verzichtet auf große Worte. Lediglich eine knappe Ortsangabe und die metrische Höhe zu jedem der Toilettenhäuschen oder improvisierten -verschläge ist den Bildunterschriften zu entnehmen.
Es ist die „Architektur der kleinen Dinge“, wie Volken es beschreibt, die dem skurilsten Buch des Jahres seine ganz eigene Poesie verleiht. Jedes stille Örtchen birgt eine Chance auf Anarchie. Und Erleichterung. Ein bessere Kombi kann man sich zu Weihnachten doch wirklich nicht wünschen, oder?
Mareile Braun ist Chefredakteurin von EMOTION Slow und liebt ihr Leben zwischen Gucci und Gummistiefeln. Wenn sie nicht gerade auf Fashion Weeks reist, bummelt sie zuhause gern mit ihrem Esel Pepe durchs Dorf.
Was sie sonst gerade bewegt: Yoga unter freiem Himmel, Tanzabende mit dem Gatten und ihre Workshops als "Slow-Down"-Trainerin.