Zwei Teenager fahren mir ihren Eltern nach Kuba. Eine Reise, bei der die einen merken: Es gib eine Welt ohne Internet. Und die anderen eine ganz neue Seite an ihren Kindern entdecken.
Andrés’ Wahl fiel auf Kuba, nachdem ich gegen Hawaii Veto eingelegt hatte. Zu weit, zu teuer und für mich auch irgendwie zu langweilig. Andrés ist 17, macht nächstes Jahr Abitur und meiner Frau Marcela und mir schwante, dass dieser Sommerurlaub der letzte mit der ganzen Familie sein würde. Deshalb durfte er sich das Reiseziel aussuchen.
Natürlich interessierte mich, nach welchen Kriterien mein Sohn ein Urlaubsziel auswählt. Klar: Sonne, Strand, Wärme. Aber das war nicht das einzige: Tatsächlich orientierte sich Andrés auch an einer Statistik, die er in den Weiten des Internets aufgestöbert hatte, nämlich der Anzahl an Morden pro Land und 100.000 Einwohner. Und siehe da: Kuba belegt hier in Lateinamerika einen guten Platz – man pflegt dort wenig zu morden. Ich wäre in diesem Alter nicht auf ein derartiges Selektionskriterium gekommen.
Aber der heutige Teenager ist anders. Er reist beispielsweise nicht mit dem Rucksack, wie das früher selbstverständlich war, sondern zieht den Rollkoffer vor. Der Rucksack ist ihm peinlich. Mir dagegen wäre es peinlich, mit dem Rollkoffer über staubige Kiesstraßen zu rumpeln – wie unpraktisch und schnöselig! In dieser Hinsicht habe ich mich am Schluss durchgesetzt – die Kinder akzeptierten einen Rucksack.
Unsere Tochter Antonia, 15, wollte einen neuen Rucksack, denn die im Keller vorhandenen waren ihr definitiv zu uncool. Ihr schwebte army-farbenes Modell vor, aus grobem Stoff, ohne Gestell. Ein Rucksack, mit dem garantiert war, dass man sich nicht mehr als 500 Meter damit fortbewegen konnte, ohne einen Bandscheibenvorfall zu kriegen. Was ja exakt den Zweck erfüllt hätte – nämlich nicht zu Fuß gehen zu müssen. Nach diversen Shitstorms einigten wir uns dann doch auf einen der Rucksäcke aus dem Keller.
Mietwagen statt Linienbus
Eigentlich hätte ich den Kindern gern vorgeschlagen, mit Linienbussen durch Kuba zu tingeln – schließlich kriegt man dann mehr Kontakt zu den Einheimischen, man erfährt etwas über deren Lebensrealität und erweitert so seinen Horizont. Aber alle Reiseführer rieten derart unisono davon ab, dass wir uns zur Mietwagenbuchung durchrangen, obwohl so ein Auto, mit Versicherung und diversen Nebenkosten schon einen Hunderter pro Tag kostet. Im Nachhinein wird ja nicht alles so heiß gegessen wie gekocht: Sprich man kann ganz gut auf eigene Faust und mit öffentlichen Verkehrsmitteln (oder sogar auf Lastwagen) durch Kuba reisen. Gerüchte, nach denen die einen als Tourist nicht mitnehmen, stimmen nicht.
Wir reisen mit Marcelas Schwester und ihrem Mann. Über Havanna entlädt sich ein gewaltiges Tropengewitter, als das Flugzeug abends um neun aufsetzt. Um uns herum gehen verästelte Blitze nieder, die Landepiste steht unter Wasser und beim Aussteigen haben wir das Gefühl, uns durch eine Wand aus Hitze und Feuchtigkeit drängeln zu müssen. Wir haben uns für drei Tage eine „Casa particular“ in Havannas Zentrum gebucht, was so viel wie Privatwohnung heißt. Danach war alles offen.
Eine herzliche Begrüßung
Wir nehmen ein Taxi in die Stadt. Die Kinder hängen wie gewohnt gekrümmt über ihren iPhones. Allerdings nicht sehr lang. Denn das Internet ist weg. Wenn sie gewusst hätten, dass es so schnell auch nicht wieder auftauchen würde, ich glaube, sie hätten die Reisezielfrage noch einmal aufgerollt. So kommt es, dass ihnen erst mals etwas draußen auffällt. Es gibt keine Leuchtreklame, es gibt überhaupt keine Werbung, obwohl wir mitten durch die Stadt fahren. Mangels Leuchtreklame und dank heftigem Regen erscheint einem die Stadt einfach nur schwarz.
Irgendwann liefert uns der Taxifahrer in einer dieser schwarzen Straßen ab. Eine Tür öffnet sich, Neonlicht überflutet uns und unter einem enormen eiernden Ventilator fällt uns eine üppige, in tropische Farben gekleidete Frau entgegen: Triny, unsere Vermieterin. Sie heißt uns willkommen, indem sie uns mit ihrer Umarmung fast zerquetscht, danach geht es schnaufend die Treppe hoch und wir landen in unserer Wohnung. Eine geblümte Couch lädt zum Hinsetzen ein. Vom Zimmer blickt man auf eine Häuserruine gegenüber, aus der Licht dringt. Das oberste Stockwerk ist komplett eingestürzt. Ein halbnackter Mann steht dort, umgeben von zahlreichen Pfützen, die er mit Hilfe eines Brettes auf die Straße entleert. Wir sind definitiv zu müde, um uns einen Reim auf all das zu machen. Schlafen ist eine gute Idee.
Der erste Morgen in Havanna
Antonia ist schon wach und weist mich ohne Umschweife darauf hin, dass es hier kein Wlan gebe. Ich gebe ihr beiläufig zu verstehen, dass dieser Zustand bis zu unserer Rückkehr ein chronischer bleiben werde und sehe dabei aus dem Fenster. Ich stelle fest, dass praktisch alle Häuser so aussehen wie das gegenüber, allerdings in unterschiedlichen, gern auch grellen Farben; dass auf dem Bürgersteig Schutthaufen liegen und dass auf der Straße für die frühe Morgenstunde schon viele Menschen sind, die aber allesamt auf unterschiedliche Art nichts tun.
Da steht auch ein Mann, der mir sicher bei der Frage des Brotkaufs weiterhelfen würde. Er trägt Badeschlappen, eine schlabbrige Jeans, der Oberkörper nackt. Opulenter Bauch, mit Stolz getragen, kupferbraun. In der Hand eine Zigarre. Antonia kommt mit, wohl in der Hoffnung auf ein Internetcafé. Der Mann meint, man müsse nur lange genug warten, dann käme ein Brotwagen vorbei. Wir bleiben also lange genug und ratschen mit ihm. Bayern München kennt er, und er weiß, dass wir Kapitalismus haben. „Dafür dürft ihr hierher reisen, als Belohnung, weil ihr den ständigen Stress aushalten müsst und abhängig vom Geld seid.“ Dann fragt er mich beiläufig, ob ich ein paar Pesos habe, er müsse noch Rum kaufen. So vergeht gut und gern eine Stunde, Antonias Geduld hat erstaunlich lang gehalten. Jetzt will sie aber endlich Brot und Facebook.
Jorge – so heißt der Mann – meint, wir seien wohl im Stress, wir können Brot auch woanders kaufen, er bietet an, uns zu begleiten. Er geht voraus, durch die Straßenschlucht aus viertel, halb und auch mal ganz ein gestürzten Häusern, die Badelatschen machen klatsch, klatsch, wir hinterher. Er biegt auf eine große Straße ein, den Prado, Havannas Prachtstraße. Seine Badelatschen machen klatsch, klatsch. Hier ist nichts mehr eingestürzt. Die Straße wird gesäumt von neoklassizistischern Prachtbauten. Ich schwitze als er sich vor dem berühmten Hotel Nacional kurz zu uns umdreht und dann geradewegs hineinlatscht. Der Portier macht dem dicken Mann mit nacktem Oberkörper und Zigarre in der Hand die Tür auf und der schlappt durch die Lobby – in einer Haltung, als sei er der Hoteldirektor. Er fragt, welches Brot wir haben wollen und übersetzt der Verkäuferin mein Spanisch in sein Spanisch.
Antonia fragt nach einem Internetanschluss. Unser Mann in Havanna organisiert das gleich, muss allerdings feststellen, dass das Hotel-Internet gerade nicht funktioniert. Sonst gibt es nur die Post, aber die hat zu, es ist Sonntag.
Auf dem Weg nach Hause reiht sich Jorge spontan in eine nicht allzu lange Schlange ein. Vor ihm stehen vier, fünf Leute mit leeren Mineralwasserflaschen in der Hand. Der Vorderste bekommt seine gerade aus einer Luke, so groß etwa wie ein DIN-A-4-Blatt, frisch gefüllt herausgereicht. Rum. Der ist hier an jeder Straßenecke zu haben, leichter als Brot, sagt Jorge und hält die Hand auf. Eineinhalb Liter kosten 20 Pesos, also knapp einen Dollar – billiger als Mineralwasser.
La Habana Vieja - der historische Stadtkern
Havannas Stadtkern
Von unserer Wohnung sind es nur fünf Minuten zum berühmten Malecón, der acht Kilometer langen Strandpromenade Havannas. Nun ist das in Havanna eben nicht so wie im gerade mal 150 Kilometer entfernten Miami: Hier gibt es keine Cafés, keine Bars, keine Speiseeisstände, nicht mal Palmen - es gibt gar nichts außer einem breiten Bürgersteig. Ein paar Angler lehnen auf der Balustrade, sonst nur blaues Meer und ein paar Felsen, dazwischen Pfützen, in denen Krebse herumkrabbeln.
Auf der vierspurigen Straße kommt ab und zu ein bunter Oldtimer vorbei und hinterlässt eine Abgasfahne, dass einem der Atem stockt. Als wir schließlich in Havanna Vieja, dem kolonialen Stadtkern ankommen, sind wir fast erleichtert, andere Touristen zu sehen. Es gibt hier auch Läden und Restaurants.
Alles ist hübsch hergerichtet, wir fühlen uns wie 300 Jahre zurückversetzt – die kolonialen Häuschen mit den in warmen Gelb- und Rottönen angestrichenen Fassaden, den Säulengängen und Verzierungen, die grob gepflasterte Straße. Man hört förmlich das Hufgeklapper der stolzen Pferde mit ihren noch stolzeren spanischen Kolonialherren drauf, man riecht den verbrannten Zucker, sieht die hohen Masten der Galeeren im nahe gelegenen Hafen. Die Touristen-Highlights sind es zu Recht: Die wunderschöne Fassade der Kathedrale, „Stein gewordene Musik“, hatte der Nationaldichter Alejo Carpentier dazu gesagt, die Bodeguita del Medio, Hemingways Stammlokal. Statt Internet gibt es auf der Plaza de Armas Bücher. Ich freue mich schon, leider gibt es aber fast ausschließlich Literatur über die kubanische Revolution sowie Biografien ihrer Heroen.
Politisch interessierter Nachwuchs
Antonia will einen Salsa-Kurs machen. Tatsächlich gibt es an jeder Ecke eine Schule. Wir brauchen nur hineinzugehen und schon ist für den nächsten Tag gebucht. Am Abend lungern wir auf unserem geblümten Sofa herum und die Kinder wollen plötzlich über den Kommunismus reden. Ich glaube, das ist das erste Mal, dass wir über Politik reden. Ich staune erneut, als Antonia meint, dass Jorge ja schließlich Recht habe: Unser Wirtschaftssystem mache uns vom Geld abhängig wie einen Junkie. Und dass es Jorge ja nicht schlecht habe, so mit seinem dicken Bauch und der Zigarre – der müsse nicht arbeiten. Später erzählt uns Triny, dass Jorge eine Art Vagabund sei und von der Nachbarschaft sowie dem lokalen Komitee zur Verteidigung der Revolution durchgefüttert werde. Wie schön, dass eine Revolution auf so lebenspraktische Art verteidigt wird!
Havanna mit Pubertierenden ist absolut zu empfehlen. Was mich tief berührte, war die Neugier, die in Antonia und Andrés entflammte. Die Fragen, die sie stellten, ihre Versuche, die vielen Widersprüche zu verstehen und zu erklären. Das alles passierte wie von selbst.
Die andere Seite erleben wir am Tag drauf im Stadtmuseum, untergebracht im Palast des Vizekönigs. Neben zahlreichen goldumrahmten Porträts der verschiedensten Revolutionshelden (Kuba hat da aus jeder Epoche was im Angebot) lernen wir die bildschöne Gladis kennen. Sie ist Museumswärterin und erklärt uns mit einem derartigen Stolz die Geschichte ihres Landes, dass auch die Kinder aufmerksam zuhören. Dabei geben die ausgestellten Objekte nicht so wahnsinnig viel her: ein Revolver vom selben Modell, mit dem Maceo einst die Spanier beschossen haben mag, ein Dosenöffner vom selben Modell wie...
Aber Gladis hat noch mehr zu erzählen: von ihrem Leben als allein erziehender Mutter in einer der Häuserruinen in Havanna Centro, von ihrem kargen Monatsgehalt (von dem man sich exakt 10 Dosen Coca Cola kaufen kann, was man selbstverständlich nicht tut) und von den Sorgen um ihre Haut, die glatt ist wie ein Pfirsich, aber jetzt, wo sie in die Jahre komme, bräuchte sie ein wenig Pflege.
Die hat reden, mit ihren 35, denke ich. Am Schluss bedankt sie sich für ein paar Münzen und erzählt uns, dass sie dieses Jahr 50 wird. Antonia packt daraufhin abends sämtliche Cremes ein, die sie mitgebracht hat und bringt sie höchstpersönlich vorbei. Viva la revolución!
Salsa tanzen in Kuba
Marcela und Antonia machen sich dann zu ihrem Salsa-Kurs auf. Es wird langsam Abend, das obligatorische Gewitter ist schon niedergegangen. Jetzt stehen sämtliche Fenster und Türen offen, um die frische Luft hereinzulassen. Die Dachrinnen spucken noch Fontänen, unter denen das eine oder andere Kind tanzend duscht, die Alten schieben ihre Sessel auf die Straße und man sieht in die Wohnungen hinein, als sei Privatsphäre auch so eine Erfindung des Kapitalismus. Wo sonst hat man die Möglichkeit, derart ungeschminkt in das Leben der Menschen hineinzusehen? Havanna hat da viel zu bieten: Die alten Häuser haben sehr hohe Decken, oft Gewölbe mit Säulen. An den Wänden hängen Gemälde, Heiligenbilder, daneben das Che-Guevara-Porträt, Fernseher laufen und Musik dudelt.
In die Salsa-Schule muss man auch nicht hineingehen, um den Unterricht zu sehen. Ich setze mich mit Andrés in den offenen Bierausschank gegenüber, und wir sind live dabei.
Die Tanzlehrerin ist nicht viel älter als Antonia, etwas pummelig und in ein hautenges lila-oranges Tanzkostüm gekleidet. Als die Musik einsetzt, bleibt uns der Mund offen stehen. Hat sie irgendwelche Muskeln, die wir nicht haben? Der Hüftschwung ist unbeschreiblich. Arme Antonia, arme Marcela – ob sie jetzt gleich hinschmeißen? Es ist ihnen sichtlich unangenehm, dass die riesigen Fenster sperrangelweit aufstehen. Unsere gut mit Rum abgefüllten Tischnachbarn sind aber ganz mit sich beschäftigt bzw. mit dem Absingen melancholischer Songs, bei denen sie sich von Strophe zu Strophe gegenseitig ablösen. Sie singen nicht mal falsch, so dass man die Mischung mit dem Salsa von gegenüber eigentlich ganz gut vertragen kann.
Unterwegs mit dem Mietwagen
Ein paar Tage später fahren wir mit dem Mietauto los. Wir entscheiden uns für die Standard-Tourismus-Route Ost über Varadero, Playa Girón, Cienfuegos, Trinidad und Santa Clara. Weiter wird nicht geplant. Wir vertrauen auf Kuba und die Überraschungen, die es für uns parat hält. Und auf die guten Spanischkenntnisse, die meine Frau dank ihrer chilenischen Wurzeln hat.
Die erste Überraschung ist eher unerfreulich: In der Früh gibt es mal wieder nichts Gescheites zum Frühstück zu kaufen. Wir hetzen von Geschäft zu Geschäft: entweder wartet man auf eine Lieferung, oder die Lieferung ist schon ausverkauft oder es gibt überhaupt keine Lieferung. Am Schluss gibt’s nicht mal Brot – wir essen Reis mit Bohnen. Ich bin also schon etwas genervt, als ich mich dann auch noch im Straßenchaos von Havanna verfahre, mich zwischen Raffinerien und Plattenbausiedlungen verheddere und dennoch kategorisch dagegen wehre, einfach jemanden zu fragen. Es gibt Kreisverkehre, da stehen an den Ausfahrten keinerlei Schilder, wo es hingeht. Ich schaffe es schließlich – nach dem Sonnenstand.
Touristenfalle Vadadero
Dann Mittagessen in einem Café am Straßenrand. Eine kubanische Großfamilie ist kurz vor uns eingetroffen und hat sich breitgemacht und wahnsinnig viel bestellt. Wir sitzen bis vier mit knurrendem Magen am Tisch und hören dem Onkel zu, der in Miami lebt und den Daheimgebliebenen großspurig von seinem Luxusleben erzählt. Man kann die Sehnsucht förmlich greifen, die er in ihnen entfacht. Während des Wartens komme ich auf die Idee, mal in Matanzas nach Unterkünften zu fragen. Wir klauben Münzen zusammen und finden tatsächlich eine funktionierende Telefonzelle. Wo wir durchkommen, hagelt es allerdings Absagen – completo, full, Mist. Schließlich kommt endlich unser Essen. Und wir finden nach vielen Versuchen noch eine Unterkunft – ein fensterloses Apartment in der Touristenfalle Varadero. Allerdings nicht am Strand, wo die Touristen in Saus und Braus leben, sondern in einer der Arbeitersiedlungen, die zwischen den Küstensümpfen und der vierspurigen Autobahn auswuchern. Den Sonnenuntergang erleben wir aber genauso wie jeder 5-Sterne-Urlauber. Und so was hat keiner von uns je gesehen. Die Wolkentürme des abziehenden Gewitters leuchten rosa und violett, der weiße Sand und das Meer glühen ebenfalls rosa.
Varadero ist für mich ein echter Motivationskiller: Wozu ins kubanische Mallorca fahren, wenn es doch so viele interessantere Orte in Kuba gibt, mit genauso schönen Stränden, aber ohne Hotelburgen? Das sehen meine Kinder anders: Sie wollen so viel Varadero wie möglich. Mithilfe ihrer Mutter, die sich auch eine Woche Entspannung und Komfort wünscht, überreden sie mich zu einem Aufenthalt in einem All-inclusive-Resort. Am nächsten Morgen sitzen wir im einzig funktionierenden Internetcafé unseres Kubaaufenthalts und buchen über ein deutsches Onlinereisebüro "4 Sterne all incl. in Varadero". Dank der Buchung sind unsere Kinder einverstanden, erst mal noch ein bisschen echtes Kuba zu erkunden.
Ein Besuch in der Krokodilfarm
Wenn man von Varadero nach Süden fährt, taucht man sehr schnell in die andere Realität Kubas ein, genauer gesagt nach 5 Kilometern. Cárdenas ist eine Ansammlung aus geduckten Häuschen mit unbefestigten Straßen und vielen Pferdefuhrwerken, arm und verlottert. Hier wohnen die Reinigungskräfte, Gärtner, Barkeeper und Animateure von Varadero, alle diejenigen also, die im Hotel den Hintereingang benutzen. Ab hier geht es durch Zuckerrohrfelder, an still gelegten Zuckerfabriken vorbei (irgend ein Apparatschik hatte wohl mal die abstruse Idee, es sei besser, den Zucker roh statt raffiniert zu exportieren). Und irgendwann verfährt man sich dann auch, weil auch hier kaum eine Straße richtig beschildert ist. Macht nichts, dafür steht ja in Agromonte Enrique am Straßenrand, rotes T-Shirt, breites Grinsen. „Wollt ihr zur Krokodilfarm?“, fragte er routiniert – und, oh Wunder – genau da wollten wir hin. Er würde mit uns mitfahren und uns den Weg zeigen gegen ein kleines Entgelt von 30 Dollar. Wir lehnen dankbar ab – zur Strafe schickte er uns in die exakt entgegengesetzte Richtung.
Wir schaffen es dennoch zu unserer Farm, quälen uns in der Hitze an den Krokodilteichen vorbei und wären schon fast auf unserem Rundgang eingedöst, da hören wir hinter uns ein Wasserplatschen und so etwas wie ein Hammerschlag. Das waren doch tatsächlich gierige Krokodile, die nach Fischen schnappen, die ihnen vom Wärter angeboten werden. Die Kinder sind begeistert – die Speicherkarten unseres Fotografen war innerhalb weniger Minuten gefüllt mit Bildern schnappender Krokodile.
Besonders sympathisch finde ich, dass man sich im Anschluss bei der schönen Roxana auf die Terrasse setzen kann und wirklich lecker zubereitetes Krokodilfleisch bekommt. Selbst die Kinder essen mit (schmeckt wie Chicken McNugget), dabei sind die normalerweise eher kritisch, was nicht-industriegefertigte Nahrungsmittel betrifft.
Weiter geht’s zur Schweinebucht an der touristisch eher unbeliebten Südküste Kubas. Wir finden hier gleich eine Casa Particular, und ab da werden wir nahtlos weiter empfohlen an andere Zimmervermieter, so dass wir nie wieder suchen müssen. Man hätte von dort auch prima aufs Meer gesehen, hätte nicht ein enormes Propagandaplakat die Sicht versperrt. So schauen wir eben auf das Abbild eines kubanischen Panzers mit der Überschrift "Der glorreichste Sieg der Revolution". Das Holzgerüst eignet sich nach Auskunft unserer Vermieterin hervorragend zur Befestigung von Wäscheleinen, auch habe die Konstruktion bisher noch jedem Tropensturm standgehalten.
Die Kinder lieben den Felsenstrand und schnorcheln um die Wette. In manchen Momenten hatte ich das Gefühl, sie waren glücklich, alle Coolness ablegen zu können und wieder ganz Kind sein zu dürfen.
Ausflug nach Trinidad
So ähnlich ging es uns auch mit dem Reiten ein paar Tage später. Wir haben uns in Trinidad eingemietet, ein lebendiges Museum der Kolonialzeit, ein absolutes Muss für jeden Kuba-Touristen. Von hier machen wir einen Ausflug in die wilde Sierra de Escombray und landen ungeplant auf einer alten spanischen Finca. Rundherum laufen Schweine und Hühner, auf einer Koppel grasen Pferde. Wir gehen reiten, alle zum ersten Mal. Es wird ein Streifzug durch zehn Meter hohe Bambushaine, Zuckerrohrfelder und über Wiesen. Hinter uns pfeifft der Guajiro und weist den Pferden den Weg, wir sind wie versetzt in einen Film der 50er-Jahre. Die Kinder sind begeistert. Wir auch. Als wir Halt an einem Bach machen, plantschen sie so unbeschwert. Marcela und ich sind gerührt von unseren beiden Großen, in denen wir plötzlich die Kleinen wiedersehen, und wir spüren, wie offen ihr Herz gerade ist, was unser Herz gleich mit zum Überfließen bringt.
Wir besuchen einige stolze Städte: Santa Clara, das Mekka des Che-Guevara-Kults, oder das prachtvolle Cienfuegos, doch am Ende sind es die Begegnung mit der Natur und den warmherzigen Kubanern, die unsere Kinder die Welt anders sehen lassen. Unser Rhythmus hat sich verlangsamt, wir nehmen uns Zeit für die Menschen und die Menschen für uns.
So wird auch für mich der gefürchtete All-inclusive-Aufenthalt ganz erträglich: Unser Spanisch hilft uns, uns mit den Mitarbeitern der Anlage anzufreunden, und wir werden von ihnen umsorgt: Vom Zimmermädchen bekommen wir Mangos, vom Barkeeper selbst gerollte Zigarren. Und am Ende wissen wir schneller als Andrés selbst, dass er sich in eine Kubanerin verliebt hat. Als wir nach Havanna zurückmüssen, tauschen die beiden Adressen, denn Facebook und WhatsApp hat das Mädchen nicht.
Zum Flughafen nehmen wir ein Taxi, einen giftgrünen Ford von 1952, liebevoll gepflegt. Ein letzter Tribut an das schöne Kubaklischee. Als wir übers Rollfeld spazieren, beginnt es zu gießen, und tropfnass verabschieden wir uns von diesem wunderbaren Land.
Reisetipps für Kuba
REISEZEIT
Von Mitte November bis Ende April herrscht das angenehmste Klima auf Kuba. Es ist nicht zu heiß und man muss keine Orkane oder tropische Schauer fürchten.
ANREISE
Zum Beispiel Condor (ab Frankfurt nach Havanna, Hin- und Rückflug ab etwa 800 Euro in der Nebensaison, www.condor.de)
UNTERKUNFT
"Casa Particukar": Wohnen bei einer Gastfamilie / in einer privaten Unterkunft, individuelle Unterkunft in den Kategorien "Günstig", "Mittelklasse" oder "Premium", über www.mycasaparticular.com
REISEROUTE
Roadtrip: Die stilvollste Art, Kuba zu erkunden, ist, sich einen bonbonfarbenen Oldtimer zu mieten, über www.cubacar.info