Buchautorin Shirley Seul mag keine To-do-Listen. Sie plädiert für To-be-Listen. Wie diese unser Leben ein bisschen leichter machen - darüber haben wir mit ihr gesprochen.
Emotion.de: Sie sind ganz klar kein Fan von To-do-Listen. Warum eigentlich?
Shirley Seul: Ich bin kein Fan von To-do-Listen, die den Alltag beherrschen! Ohne die Ergänzung einer To-be-Liste dominiert die To-do-Liste nämlich auch Bereiche des Lebens, in denen es eher darauf ankommt, mal nichts zu erledigen. Gerade im Privatleben wird bei immer mehr Menschen immer mehr "abgearbeitet".
Hilft aufschreiben denn nicht, den Kopf und die Gedanken frei zu machen?
Doch, unbedingt! Was aufgeschrieben ist, flattert nicht mehr als unerledigt im Kopf herum. Aber: Wenn ich Tag für Tag nur noch To-do-Listen abarbeite, ist mein ganzes Leben irgendwann eine To-do-Liste. Spontane Ereignisse, auch die Schönen, werden dann als Störung gewertet. Das ist bedenklich, denn ein Kennzeichen des Lebens ist ja eben seine Unberechenbarkeit. Wer versucht, das Leben "abzuarbeiten" wie eine Liste, verhindert damit genau die wundervollen Situationen, in denen wir uns besonders lebendig fühlen.
Wie erklären Sie sich diesen weit verbreiteten To-do-Listen-Zwang?
Wir leben in einer Leistungsgesellschaft, in der es auf's Funktionieren ankommt. Manchmal macht es ein wenig den Eindruck, als wären wir zu Maschinen geworden. Als solche sollen wir optimale Leistung bringen. Die Aufgaben, die erledigt werden müssen – privat und beruflich – werden immer komplexer. Da geht es mancherorts gar nicht ohne Liste. Und es macht ja auch ein gutes Gefühl, so eine Liste zu schreiben – es ist ein bisschen, als hätte man schon alles erledigt. Man glaubt, mit einer Liste hat man alles unter Kontrolle. Es fragt sich bloß, ob es der Sinn des Lebens ist, es unter Kontrolle zu bringen.
Sie stellen in Ihrem Buch "Das Leben ist keine To-do-Liste" die Frage: "Gibt es eine Häkchenkrankheit?". Müsste ich diese Frage beantworten, würde ich sagen: Ja, definitiv, und ich bin betroffen. Aber gibt es sie wirklich – die Häkchenkrankheit?
To-do-Listen-Junkies schreiben am Vorabend eine halbe bis Stunde lang ihre Listen für den nächsten Tag. Dort finden sich dann nicht nur Aufgaben, sondern auch Zeitlimits dafür, und es werden selbst Tätigkeiten wie Duschen und Zähneputzen fest eingeplant. Das deutet auf Suchtverhalten. In meinem Buch benutze ich das Häkchen als Metapher, denn wer zu viele Häkchen auf der Liste macht, hängt irgendwann sein Leben an den Haken.
Sie plädieren für eine To-be- statt einer To-do-Liste. Was meinen Sie damit?
Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich auf Häkchenjagd. Da sehen Sie an einer Litfaßsäule einen Mann stehen, bei dessen Anblick sich Ihr Herzschlag beschleunigt. Wenn Sie Ihrer To-do-Liste folgen, werden Sie pflichteifrig das tun, was die Liste vorgibt. Wenn Sie nach dem Prinzip der To-be-Liste leben, werden Sie sich mal an die Litfaßsäule ranpirschen. Oder es duftet nach Apfelkuchen, der Sie an einer Hausecke stehenbleiben lässt – weil Ihnen Ihre Oma einfällt, die nicht mehr lebt und die sie sehr lieb gehabt haben. Sie klauen sich die Zeit und atmen Apfelkuchenduft ein. Und vielleicht ist dieser Apfelkuchenmoment einer für die Ewigkeit, an den Sie sich noch lange erinnern. Wer strikt auf seiner To-do-Liste unterwegs ist, kriegt so etwas gar nicht mit. Er sieht immer nur sein Ziel – das nächste Häkchen.
Ein Kennzeichen des Lebens ist seine Unberechenbarkeit.
Shirley SeulTweet
Gelassener werden, positiv denken, nicht so anfällig sein – auch um diese Vorsätze geht es in Ihrem Buch. Haben Sie den ultimativen Tipp, wie wir diese Vorsätze in die Tat umsetzen können?
Ganz einfach – und total schwierig: Im Jetzt sein! Meistens sind wir gestresst und von negativen Gedanken besetzt, wenn wir uns mit Dingen beschäftigen, die in der Vergangenheit oder in der Zukunft liegen. Und so sitzen wir vielleicht im Auto, fahren durch eine wunderschöne Gegend oder durch Regen und haben es gemütlich und sind überhaupt nicht vorhanden, kriegen nichts von dem mit, was ist.
Wenn Sie sich das nächste Mal beim Abdriften in Vergangenheit oder Zukunft ertappen, konzentrieren Sie sich auf Ihren Körper. Spüren Sie Ihren Atem. Mit jedem Einatmen erfüllen Sie sich mit Neuem, mit jedem Ausatmen lassen Sie etwas los, zum Beispiel negative Gedanken. Nehmen Sie wahr, was ist – jetzt in diesem Moment. Und auf einmal sind Sie da. Mit Ihren Sinnen gelangen Sie ins Jetzt. Und das ist das Einzige, was zählt, denn es ist das Einzige, was wirklich ist.
Ist Häkchen machen für Sie gleichbedeutend mit Leistungsdruck?
Im Häkchenrausch durch den Parcours des Alltags zu fetzen, kann viel Spaß machen. Im Belohnungszentrum des Gehirns wird Dopamin ausgeschüttet. Aber man sollte darauf achten, Herr oder Frau über die Häkchen zu sein und nicht zu Getriebenen im Erledigungswahn, zu Dopaminjunkies zu werden. Wenn man sich zu viel aufbürdet, die Dosis steigert, immer mehr schaffen will, setzt man sich selbst unter Leistungsdruck. Das mag eine Weile gut gehen, doch dann fühlen wir uns genervt, gestresst, urlaubsreif.
Was raten sie zwanghaften To-do-Listen-Schreibern wie mir?
Seien Sie mal richtig mutig und starten Sie einen Selbstversuch. Werden Sie sozusagen trocken für eine Woche. Ich garantiere Ihnen: Das wird eine spannende Zeit!
Und noch etwas: Überprüfen Sie Ihre Hobbys kritisch: Mögen Sie Ihre Freizeitaktivitäten wirklich oder sind manche nur noch eine Gewohnheit? Denn manchmal schieben wir Häkchen, die eigentlich auf die To-be-Liste gehören, auf die To-do-Liste, und dort tun sie uns nicht gut. Wenn Sie also den Verdacht haben, dass Sie in Ihrer Freizeit genauso funktionieren wie im Job, sollten Sie eventuell an eine Häkchenverpflanzung denken.
Wie merken Sie sich Dinge, die Sie nicht vergessen dürfen?
Wenn Sie wirklich wichtig sind, vergesse ich sie nicht. Ansonsten schreibe ich sie auf. Wie anfangs gesagt: Eine To-be-Liste zu führen heißt nicht, auf die To-do-Liste zu verzichten. Das Problem ist doch, dass viel zu viele Dinge, die wir eigentlich schön finden, irgendwann nur noch abgehakt werden. Wir gehen zum Sport, und das tollste Gefühl dabei ist es, wenn es vorbei ist – abgehakt. Wir treffen eine Freundin, obwohl wir am liebsten zu Hause auf dem Sofa bleiben würde und sind heilfroh, wenn wir beim Abschied von der Freundin ein Häkchen machen können. Wir behandeln schöne Dinge wie Punkte, die erledigt werden müssen. Dabei sollten wir uns Zeit für die Dinge nehmen, die uns wirklich wichtig sind.
Wer das Cover Ihres Buches sieht und auch darin blättert, fragt sich vielleicht: Sind das Vögel oder Häkchen, die da überall schweben. Verraten Sie uns die Antwort?
Ich bin nur für Buchstaben zuständig. Die Grafik hat der Verlag sich ausgedacht. Das Cover hat mir sofort gefallen, so soll es sein: Häkchen sind keine Hackebeilchen, die uns zu immer mehr Leistung treiben, sondern haben Flügel und tragen uns zu vielen schönen Augenblicken!
Shirley Seul ist erfolgreiche Belletristik- und Sachbuchautorin. Sie lebt im Fünfseenland bei München. Auf ihrer Website finden Sie weitere Informationen: www.flipper-privat.de