Der Angst ins Auge zu sehen. Den eigenen Verstand einzuschalten. Und zu riskieren, dass man scheitert. Warum wir uns all diese Dinge oft nicht trauen, obwohl sie das Leben so viel wertvoller machen, erklärt emotion-Kolumnistin Ina Schmidt
"Und sie hat mehr Mut als ihr alle zusammen", verteidigt Mary McCarthy die Äußerungen ihrer Freundin Hannah Arendt vor den Schmähungen der meist männlichen Kollegen im New York der 60er-Jahre. Ein Satz, der das Gerede verstummen lässt, wenn auch nur für einen Moment. In Margarethe von Trottas Film über die Philosophin Hannah Arendt, der gerade in den Kinos lief, geht es beständig um Mut. Den Mut zu einem selbstständigen Denken, das auf unbequeme Weise konsequent für das einsteht, was es für richtig hält.
Erfahrungen für die es Mut braucht
Hannah Arendts Leben war geprägt von Erfahrungen, für die es Mut brauchte. Sie lebte im nationalsozialistischen Deutschland, erfand sich im Exil neu – und konfrontierte sich mit dem, was ihr am meisten Angst machte: dem Phänomen des Bösen. Ihr Mut lag darin, die Gegebenheiten anzuerkennen, ohne sich ihnen auszuliefern. "Ich will verstehen" – das war es, worum es ihr ging. Und dieser Wille setzt sich so mancher Erkenntnis aus, die dem Wunsch nach Sorglosigkeit und Karriere im Wege steht. Das auszuhalten ist alles andere als leicht. Jeder von uns kennt diesen Zwiespalt, diese innere Not – ob in ganz persönlichen Momenten oder durch das, was wir in den Nachrichten hören. Ein bisschen mehr Mut zum eigenen Denken würde auch auf der politischen Bühne nicht schaden, wenn wir wohlwollend davon ausgehen, dass die Fähigkeit dazu wirklich gegeben ist.
Philosophen wussten es schon lange
Schon der Aufklärer Immanuel Kant forderte den Mut ein, "sich seines eigenen Verstandes ohne fremde Hilfe zu bedienen". Darin steckt zugegeben ein großes Wagnis, das Bekenntnis zu sich selbst, seinen Möglichkeiten und Grenzen. Der Philosoph Karl Jaspers wiederum – er war Hannah Arendts Lehrer und später ein väterlicher Freund – hat einmal gesagt, die moderne Tapferkeit liege darin, das Wagnis des Scheiterns einzugehen, sich auf den Versuch einzulassen, ohne immer schon das Ergebnis zu wollen.
Mutig zu sein bedeutet also nicht nur, im entscheidenden Moment von der Klippe zu springen, sondern in den Widerstand zu dem zu gehen, was uns die Welt da draußen als unumstößliche Wahrheiten zu verkaufen versucht. Und das gilt eben auch für die eigenen kleinen und großen Wahrheiten: Geht die Welt tatsächlich unter, wenn ich meinen Job kündige? Kann meine Familie es wirklich nicht verstehen, wenn ich allein in den Urlaub fahre? Warum machen uns die möglichen Konsequenzen unseres Handelns (die wir ja meist noch gar nicht kennen) oft so viel mehr Angst als die Möglichkeit, einen ganz persönlichen Sieg zu feiern?
Erst wenn wir uns Menschen wie Hannah Arendt zum Vorbild nehmen und der Angst auch mal ins Gesicht sehen, haben wir es zur höchsten Form des Mutes gebracht, wie es der dänische Philosoph Søren Kierkegaard formuliert. Denn Angst ist alles Mögliche, aber ganz sicher "nichts für Feiglinge".
Philosophie ist nur was für Intellektuelle? Eben nicht, sagt Ina Schmidt, selbst Philosophin. Denn Aristoteles & Co. können auch heute im Alltag helfen. Sie hat die Initiative „denkraeume“ gegründet, mit der sie die Weisheit großer Denker aus dem Elfenbeinturm der Wissenschaft in den Alltag holt