Sie können überall auftauchen - Leute, die einen plötzlich und unvermittelt zur Weißglut treiben. Klar ist man dann schnell genervt. Dabei würde unsere Kolumnistin doch so gerne öfter mal entspannt reagieren.
Sonntagnachmittag in meinem Lieblingscafé. Meine Freundin und ich sitzen an einem etwas größeren Dreiertisch, auf dem Stuhl zwischen uns liegen unsere Mäntel und Taschen. "Ist hier noch ein Platz frei?", fragt eine Frau.
Und plötzlich knallen zwei absolut gegensätzliche Gefühle zusammen. Spontan möchte ich am liebsten rufen: "Tut mir leid, besetzt!" Aber ich sehe ja, wie knallvoll es ist, und käme mir deshalb absolut asozial vor, wenn ich dieser Spontaneität nachgäbe. Also presse ich ein "Ja" heraus, die Frau setzt sich und sofort ist es viel zu eng am Tisch.
Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust
Gerade noch habe ich meiner Freundin von meinem letzten Ehestress erzählt, jetzt fühle ich mich auf einmal befangen. Schließlich will ich nicht, dass eine wildfremde Frau mithört, wenn ich
über private Dinge rede. Also schweige ich, werde innerlich immer gereizter, während sich gleichzeitig ein zweites Gefühl in mir ausbreitet. Ein Gefühl, gemischt aus Selbstkritik und Ungläubigkeit.
Ich bin doch eine gereifte, entspannte Frau, die das Leben gelassen nimmt, keine, die sich über so eine Lappalie ernsthaft aufregt. Okay, ich sitze gequetscht neben jemandem, der gerade ein Pfund Knoblauch verzehrt haben muss, na und? Dieser Frau ist doch völlig egal, ob mein Mann sein schmutziges Geschirr immer auf, nie in die Spülmaschine stellt.
Alles richtig, und trotzdem. Zwei Seelen wohnen, ach, in meiner Brust, da geht es mir genauso wie Goethes Faust. Die eine ist schnell mal genervt, die andere findet genau dieses schnelle Genervtsein total uncool. Denn ich mag genau das auch an anderen Menschen nicht. Ich will nicht als stockschwingende Griesgramgreisin enden, die spielende Kinder aus ihrem Vorgarten verscheucht. Ich will so sein wie das englische Ehepaar aus Manchester, dessen Auto ich kürzlich so zuparkte, dass es nicht einsteigen konnte. "Sorry, wie lange haben Sie gewartet?", fragte ich. "Nur eine halbe Stunde", erwiderten sie lächelnd. Umgekehrt hätte ich vermutlich einen kleinen Tobsuchtsanfall gekriegt.
Es hätte schlimmer kommen können
Natürlich ich weiß ich, dass Ungeduld und Gemecker nichts bringen. "Die Qualität deiner Gedanken bestimmt die Qualität deines Lebens" - dieser Satz steht auf einem Plakat, das in meinem Fitnesscenter hängt, ich gehe jeden Morgen daran vorbei und nicke innerlich. Trotzdem habe ich oft Gedanken von eindeutig schlechter Qualität - und finde sie manchmal auch völlig berechtigt. Wenn mich zum Beispiel einer dieser Radfahrnazis fast umfährt und mir als Krönung den Stinkefinger zeigt. Oder wenn ich am Käsestand meines Wochenmarktes stehe und vor mir ist einer dieser Graugänse (ja, so nenne ich Frührentner in diesen Momenten), Weidenkörbchen überm Ellenbogen, der in aller Ruhe sämtliche Käsesorten durchprobiert, dann kann ich nicht Mutter Teresa sein.
Vielleicht muss ich mich einfach damit abfinden, dass ich nicht die coole Sau bin, die ich gern öfter wäre. Aber immerhin eine, die kürzlich um drei Uhr morgens von einem Anruf geweckt wurde.
"Sie können Ihren Sohn abholen", sagte der Polizist. "Ist ihm was passiert?", fragte ich entsetzt. Zum Glück saß mein Liebling "nur" in der Ausnüchterungszelle. "Lassen Sie ihn schmoren", sagte ich, legte auf und schlief wieder ein. Es hätte schlimmer kommen können.
Evelyn Holst hält Ausschau. Hinter dem Fenster ihrer Hamburger Wohnung. Und natürlich vor der Haustür. Immer wieder stellt sie fest: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn …