Unsere Kolumnistin wird von ihren Freundinnen oft um Rat gebeten. Weil sie eine kluge Frau ist. Deshalb weiß sie auch: hält sich eh keiner dran. Und sie selbst schon gar nicht.
Du musst strenger sein, sage ich zu einer Freundin, lass dir von dieser frechen Göre nicht immer auf der Nase herumtanzen. Die schimmeligen Essensreste unter ihrem Bett, die deine Tochter zu faul ist, selbst wegzuräumen, lass weiterschimmeln. Und dann komme ich nach Hause, werfe einen Blick auf den Schrottplatz, der mich hinter der Tür zum Zimmer meines Sohnes, der gerade woanders chillt, erwartet, und ohne mich wie eine totale Idiotin zu fühlen, räume ich auf. "Findest du nicht, dass deine UGGBoots wie Fell gewordene Klumpfüße aussehen?", frage ich meine Schwester, ohne ihr zu beichten, dass ich selbst ein Paar zu Hause habe. Die ich, obwohl ich sie wirklich hässlich finde, am liebsten den ganzen Winter tragen würde, weil sie so superbequem sind. Ich muss nur aufpassen, dass ich meiner Schwester nicht begegne.
"Lass das nervige Mama-Stalking"
Es ist ein seltsames Phänomen mit den guten Rat- und Vorschlägen. Man macht sie, aber selbst beherzigt man sie nicht. Man hört sie sich an und nickt, weil man weiß, dass der Ratgeber total recht hat, aber dann - gar nichts. Trotzdem bin ich wirklich gern Ratgebertante. Wenn jemand mich anruft und fragt: "Hast du mal 'ne Minute?", dann antworte ich: "Auch zwei" und lasse alles stehen und liegen. Dabei weiß ich inzwischen, dass meine Freundinnen zwar nach einem oft stundenlangen Telefonat mit einem: "Danke Eli, das war ein guter Rat. Genauso werde ich es machen" den Hörer auf legen, aber dass sich nichts, aber auch gar nichts ändert. Durch Zufall erfuhr ich kürzlich, dass meine Kollegin, deren Mann sie seit Jahren dauerbetrügt, ihn keineswegs verlassen hat, sondern gerade mit ihm Liebesurlaub in der Karibik macht. Obwohl sie genau weiß, dass es nach ihrer Rückkehr wieder losgeht mit den späten "Meetings" und den nicht benutzten Sportklamotten, die sie in seiner Tasche findet, nachdem er angeblich im Fitnessstudio war.
Oder meine Freundin, die ihren 16-jährigen Sohn, für den das Wort "Pubertätsstress" neu erfunden werden müsste, jede Viertelstunde mit einem Handyanruf "Wo bist du, was machst du?" beglückt – sie wird es weiter tun. Und zwar direkt nach einem tränenreichen Müttertreffen, bei dem ich meinen Lieblingssatz: "Kinder brauchen Wurzeln und Flügel, also lass dieses nervige Mami-
Stalking", gesagt habe und sie: "Du hast recht, wenn er was will, meldet er sich schon." Auch meine Nachbarin besucht ihre alte Mutter noch immer jeden Tag, obwohl sie dafür durch die ganze Stadt fahren muss und oft mit dem Satz: "Du siehst schlecht aus, Kind, das hast du nicht
von mir", begrüßt wird.
Donut statt Diät
Warum befolgt man gute Ratschläge nicht selbst, warum gibt man sie ständig? Weil der Blick von außen immer klarer ist als die Betrachtung des eigenen Innenlebens, sagt eine befreundete Psychologin. Weil Fehler bei anderen zu entdecken viel leichter ist, als genau dieselben Fehler endlich bei sich selbst in Angriff zu nehmen. Und weil wir so hartnäckig an unseren Macken, Zwängen und falschen Verhaltensweisen kleben. Genau deshalb habe ich vor Kurzem mit einer Freundin über unsere Gewichtsprobleme geredet und mir auf dem Rückweg vom Café, wo wir beide lustlos grünen Tee genippt hatten, einen fetten Donut gekauft. Zum Glück hat sie mich nicht gesehen. Es hätte also schlimmer kommen können.
Evelyn Holst hält Ausschau. Hinter dem Fenster ihrer Hamburger Wohnung. Und natürlich vor der Haustür. Immer wieder stellt sie fest: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn …