Schokolade ist Gottes Antwort auf Brokkoli heißt es. Und auf entsetzlich anstrengende Stadtviertel voller SUVs, luxuriösem Feingebäck, grenzabsurden Mieten und gut geföhnten Berufs-Gattinnen, weiß unsere Kolumnistin – und freut sich über Eszet-Schnitten
Der Mann, der letzten Sonnabend in der Bäckereischlange vor mir stand, war mindestens Ende Fünfzig, wie die Dreiviertelglatze verriet, für die er eine eigene Postleitzahl brauchte. Aber er hatte diesen stolzen "Guckt alle mal, was ich noch für junges Sperma habe"-Blick, denn an seinen Beinen klebten zwei süße, kleine Mädchen im Kita-Alter, die "Papa, Papa, kauf uns das rote Herz!" riefen. Das rote Herz war ein kleines Blätterteig-Marzipan-Kunstwerk in Babyfaustgröße und kostete vier Euro. Da es das Herz in weiteren Farben gab, kaufte Papa alle. Kostenpunkt: vierzig Euro.
Durchgestylte Mittvierziger mit iPhone 6 am Ohr
Beim Fischhändler diskutierte eine Mittdreißigerin, Typ "Mein Mann arbeitet, ich bringe sein Geld unter die Leute", mit dem enervierten Verkäufer, ob die Crevetten in seiner Pastete auch wirklich "fangfrisch" seien. Auf der Straße saß ein Bettler mit Hund, Pappschachtel und einem Schild, auf dem "Bin durch einen Augentumor erblindet, bitte um eine kleine Spende" stand. Niemand beachtete ihn. Bis auf einen durchgestylten Mittvierziger, einen dieser großen, schlanken Erfolgstypen, die an ihrem iPhone 6 festgewachsen sind, der im Vorübergehen einen flüchtigen Blick auf den Obdachlosen warf, "ekelhaft, diese Penner, sie versauen ja das ganze Stadtbild" murmelte und mit dem Fuß nach dem Hund stieß.
Was ist aus dem Eppendorf von früher geworden
Das sind so diese Momente, wo mir mein Stadtviertel zutiefst unsympathisch ist, obwohl es Eppendorf heißt und zu den begehrtesten in Hamburg gehört. Weil es hier noch viele Altbauten gibt und es in Spuckweite zur Alster liegt. Vor vielen Jahren war Eppendorf eine Studentenoase, die Altbauwohnungen bevölkerten wilde Wohngemeinschaften. Jetzt wohnen da, wo früher gekifft, gesoffen und geliebt wurde, gut situierte Familien, blonde Gattinnen parken ihre SUVs frech in absoluten Halteverboten. Die Mieten sind unbezahl-, die Coffeeshops unbegehbar, weil voller Latte-Macchiato-Mütter, die sich dort mit ihren oft sehr schlecht erzogenem Nachwuchs breitmachen.
Ich spiele kein Golf und habe keine Finca auf Mallorca
Ich wohne seit 24 Jahren hier, aber eigentlich passe ich nicht nach Eppendorf. Weil ich kein Golf-Handicap und keine Finca auf Mallorca habe, selten auf Events gehe, lieber Bratkartoffeln am Küchentisch esse als Hummer im Surf-&- Turf-Edelschuppen. Und mir diese "Ich rede am liebsten mit Geld und Erfolg"- Attitüde völlig fremd ist. Soll ich wegziehen? Dahin, wo es netter ist? Doch dann stehe ich im Supermarkt an der Kasse und hinter mir legt ein alter Mann eine Packung Eszet-Schokolade auf das Laufband. Und plötzlich wird mir ganz warm ums Herz. "Legen Sie sich die Schokolade auch aufs Brot?", frage ich ihn, denn das war mein Schönstes, als ich Kind war. Er lächelt. "Sie auch?", antwortet er, ich nicke. "Mit ganz dick Butter drauf", fährt er fort, "und nur auf Weißbrot." Wir grinsen uns an. "Banane und Apfelmus geht auch", sage ich und ich weiß nicht genau warum, aber die Welt ist plötzlich wieder in Ordnung. Es hätte schlimmer kommen können.
Weiterlesen: alle Artikel von Evelyn Holst
Evelyn Holst ist Expertin für Klartext. Und für Humor (hat viel davon), Familie (hat selbst eine) und Frauen (ist ja eine). Ihr Lebensmotto: Es gibt keinen Grund zum Jammern. Es sei denn...