Feenkleid oder Ritterburg? Jungs und Mädchen wollen sich unterscheiden. Ob es Gender überhaupt gibt, fragt sich unsere Kolumnistin.
Es ist paradox. Jährlich werden Millionen Euro in die Genderforschung gesteckt, deren Ziel es ist zu beweisen, dass es das biologische Geschlecht gar nicht gibt. Und gleichzeitig teilt sich die Kinderwelt so sehr in Rosa und Hellblau wie noch nie: Mädchen tragen Prinzessinnenkleider, Hello-Kitty-Schulranzen und haben Radiergummis mit Feenaufdruck im Federmäppchen. Jungs hingegen bereiten sich lieber in Star-Wars-Fahrrädern und Piraten-Hausschuhen auf den späteren Drachenkampf vor.
Was sich die Eltern selber nicht mehr zugestehen - dieser Eindruck drängt sich mir zumindest auf -, leben sie gemeinsam mit ihren Kindern aus. Denn ihre Lebenswirklichkeit und die politische Realität sehen längst ganz anders aus. Inzwischen reiben sich wohl fast alle Frauen, aber auch fast alle Männer an neuen und alten Rollenmodellen. Viele befinden sich in einem permanenten Selbstfindungsprozess.
"Heute wird das Geschlecht mehrdimensional verstanden", lese ich auf der Internetseite des sogenannten Genderkompetenzzentrums, einer Art outgesourcten Behörde des Bundesfamilienministeriums. "Das biologische Geschlecht ist also nicht die Grundlage von Gender, sondern ein Teil davon. (...) Gender signalisiert, dass Geschlecht keine 'natürliche' Gegebenheit ist." Aber warum haben wir dann so eine Sehnsucht, zumindest für unsere Kinder diese anscheinend unnatürliche Gegebenheit zu manifestieren? Weil sie uns fehlt? Eine Professorin der Berliner Humboldt-Universität erklärt sogar, dass es bis zu 16 verschiedene Geschlechter gebe, die wir nun alle noch kennenlernen und dann natürlich respektieren müssten. Ganz schön verwirrend, finde ich. Und ehrlich gesagt, ganz schön schrecklich.
Es stellt sich die provokante Frage: Lebt sexuelle Lust gar nicht von der Attraktion zwischen testosterongesteuerten Kerlen und östrogenbetonten Mädels? Ist das alles nur noch reaktionärer Mist? Aber soziale und historische Prägung hin oder her: Waren nicht Kleopatra, Madame Pompadour und Marilyn Monroe Vollweiber ihrer Zeit? Adonis, Siegfried und Marlon Brando Traummänner in ihren Epochen? Oder ist das alles nur ein Riesenmissverständnis, und zwar seit hundert Millionen von Jahren?
Wenn meine vierjährige Tochter aus dem Kindergarten kommt, weiß sie hingegen ganz klar, dass Jungs Jungs sind. Und dass Leon (aber eben nie Maria, Anna oder Lara) mal wieder Bauecken-Verbot hat, weil er "Quatsch gemacht" hat. Und dass nur Mädchen Spangen im Haar tragen. Soll ich ihr diese Gewissheit nehmen? Mit der Kindergärtnerin ein ernstes Wort reden und für Leon Puppenstubenverbot fordern? Oder ihm beim nächsten Kindergeburtstag mal einen Lillifee-Radiergummi schenken? Ich glaube nicht, dass er interessiert daran ist, eine neue Gender-Facette an sich kennenzulernen.
Bettina Röhl trifft viele Menschen. Die Publizistin und Buchautorin ist bekannt für ihren kritischen Blick - dabei mag sie es eigentlich harmonisch.