Eckart von Hirschhausen wird nicht länger als Entertainer touren. Der 55-Jährige will sich stärker auf seine wissenschaftlichen Wurzeln besinnen und gegen die Erderwärmung kämpfen. Was hat er vor? Und wie sieht es eigentlich mit seiner eigenen CO2-Bilanz aus?
Ende März hat Eckart von Hirschhausen eine erfolgreiche Tour beendet. Das war's. Der Zustand der Welt treibt ihn so sehr um, dass der Mediziner und Gründer der Stiftung "Gesunde Erde – Gesunde Menschen" in Zukunft seine Energie und sein Kommunikationstalent nutzen will, um darüber aufzuklären, wie Gesundheit und Klimawandel zusammenhängen. Wir sprechen über unsere kranke Erde, wieso es jetzt uns alle und viele Ideen braucht und übers Tanzen.
Was hat dich geprägt, Eckart?
Ich bin in einer kleinen Berliner Wohnung mit drei Geschwistern aufgewachsen. Meine Eltern sind beide als Kinder deutschsprachiger Eltern aus Estland umgesiedelt und geflüchtet. Ich habe also einen unsichtbaren Migrationshintergrund. In meiner Familie war es wichtig, sich durch Bildung ein besseres Leben aufzubauen, das ist meinen Eltern gelungen. Sprachen lernen, etwas verstehen können, das kann deine Welt verändern. Und schon lange begleitet mich das Gefühl durchs Leben: Ich kann vermitteln, erklären, ich weiß, dass nützlichstes Wissen heilsam ist, und ich kann Menschen zum Lachen bringen.
Du hast Medizin studiert, promoviert und bist dann als Entertainer erfolgreich geworden. Wie haben deine Eltern das aufgenommen?
Meine Eltern kannten mich bereits auf jedem Kinder- und Gemeindefest als Zauberer. Gegen meinen unbändigen Willen auszuscheren, haben sie sich nie gewehrt, und sie waren auch kein Bremsklotz, als ich mich von der Medizin über den Wissenschaftsjournalismus zur Bühnenkunst gewendet habe.
Wer oder was hat dir geholfen, der zu werden, der du heute bist?
Die Liebe zur Wissenschaft und die Humorprägung habe ich von meinem Vater, das soziale Engagement leben bei uns stark meine Mutter und meine Schwester. Loriot war mein Vorbild darin, einen Humor zu entwickeln, der sich nicht über andere lustig macht, sondern über die eigenen Macken.
Du hast dich entschieden, dein Tour-Leben zu beenden. Das bedeutet ja auch, die Bühnenpräsenz und damit den direkten Zugang zum Publikum aufzugeben, ein markanter Einschnitt!
Es heißt ja: Jeder Mensch hat zwei Leben – das zweite beginnt, wenn man versteht, man hat nur eins. Ich bin in der zweiten Lebenshälfte und frage mich: Was hinterlasse ich? Mein Wissen, meine öffentliche Stimme und auch mein Netzwerk will ich einsetzen, um etwas gegen das größte Problem zu tun, das wir gerade haben: Wir zerstören unsere Lebensgrundlage. Das ist so ein ernstes Thema, dass die ironische Brechung für mich nicht mehr der richtige Umgang damit ist, auch wenn ich meinen Humor hoffentlich behalten werde.
Fällt dir der Rollenwechsel schwer?
Nur weil man etwas gut kann, ist man nicht verpflichtet, es für immer zu machen. Mein Leben als Künstler ist oft anstrengender gewesen, als man denkt, vor allem war ich stark verplant. Zum Beispiel konnte ich letztes Jahr nicht zur Weltklimakonferenz, weil ich Auftritte in Bielefeld hatte und mein Publikum nicht enttäuschen wollte. Aber ich habe den Eindruck, die Menschheit befindet sich wirklich in einer Umbruchsituation. Ich auch. Und ich merke, wie sich gerade ganz neue Wirkungsfelder auftun.
Weißt du schon, wofür du dein Plus an Zeit nutzen willst?
Ich habe den Kopf frei für Gespräche mit Wissenschaftler:innen, NGOs, Politiker:innen, Kommunikator:innen. Ich drehe Dokumentationen und halte Vorträge für Kongresse und Unternehmen, zum Thema "Klimaschutz ist Gesundheitsschutz" und zu den konkreten Lösungen. Und wenn die Welt gerettet ist, starte ich sofort eine Comeback-Tour.
Viele merken die Umbruchzeiten und ziehen dennoch keine Konsequenz.
Klar, ich könnte es mir leichter machen. Die zweite Lebenshälfte ist ja eigentlich nicht die Zeit, in der man sich komplett neu erfindet. Aber ich beschäftige mich seit vier Jahren intensiv mit dem Zusammenhang von Klimawandel und Gesundheit, ich starte nicht bei null. Als Arzt will ich aufklären und Leben schützen, ich will mehr nutzen als zu schaden.
Wir kennen alle das Bild von dem abgemagerten Eisbär, der sich auf dünnem Eis bewegt. Hast du den im Kopf?
Nein. Der Eisbär ist das falsche Symbol. Wir müssen nicht das Klima retten, sondern uns. Das betrifft jeden Menschen, auch heute schon. Wenn wir ständig räumlich und zeitlich Distanz schaffen, geht es uns nicht nahe. Die Klimakrise ist jetzt schon mit ihren Hitzewellen tödlich, die Pandemie hat gezeigt, wie neue Infektionen auf uns zukommen, weil wir Menschen die Wildtiere zum Kontakt mit uns zwingen. Die Zahl der Allergien nimmt unfassbar zu, Luftverschmutzung ist heute der Killer Nummer eins.
Was fehlt dir im öffentlichen Diskurs?
"Was hat das mit mir zu tun?", "Was kann ich tun?", "Was haben wir zu gewinnen?" – das sind die Fragen, die fehlen. Ich stoße jeden Tag auf Zahlen, Fakten, Zusammenhänge, wieso spricht niemand darüber? Ich sehe mich da in einer Vermittlerrolle.
Energiekrise, Müll, Stürme und Überschwemmungen – haben nicht längst alle kapiert, dass unser Wohlstands-Schlaraffenland brennt?
Nee, bis hin zu Menschen in der Regierung nicht! Deshalb will ich Ideen pflanzen, die können schneller wachsen als Bäume. Jede:r einzelne kann etwas tun.
Warum lähmt das Thema so viele?
Weil sie Angst und Verzweiflung spüren. Aber die gehören zur Klimakrise dazu. Die Angst, dass wir unsere Lebensgrundlage zerstören, ist berechtigt. Keine Angst zu haben wäre irrational. Wir müssen rauskommen aus der Wut und Ohnmacht. Aktiv zu werden hilft gegen die Hilflosigkeit. Und ist sehr wirksam.
Willst du nicht auch oft vom Balkon schreien, um alle wachzurütteln?
Ja, zum Beispiel nach der Flut im Ahrtal. Ich hatte das Gefühl, wie wir als Bürger:innen immer wieder vertröstet werden, ist Teil einer politischen Vernebelungsstrategie. Das hat uns schon 30 Jahre gekostet. Meine Ungeduld nimmt zu. Keiner löst große Probleme allein, wir benötigen jede:n auf diesem Weg.
Hat die Wut Platz in diesem Diskurs?
In Emotion steckt das Wort "Motion", also die Bewegung. Gefühle sind erlaubt, sie haben die Funktion, etwas zu markieren, was uns wichtig ist. Wissenschaftliche Studien sind oft so verklausuliert, dass du keine Emotionen mehr darin finden kannst. Es macht mich jedes Mal wieder fassungslos, wie viel Hass Greta Thunberg oder Luisa Neubauer abbekommen, weil sie beim Thema Klimakrise Kompetenz und Emotionen zeigen.
Artensterben, Erderwärmung, Polschmelze – hätten Politiker:innen und Wissenschaftler:innen uns nicht früher mehr Informationen zumuten sollen?
100-prozentig! Es hieß viel zu lange: Ist weit weg, betrifft uns nicht. Aber viele haben in den letzten beiden Jahren kapiert: Es ist hier, es ist jetzt und nicht irgendwann. Aber es ist schwer, die Welt ehrenamtlich zu retten, wenn andere sie hauptberuflich zerstören. 10 Prozent der Menschen auf dieser Erde machen 50 Prozent des Drecks. Wir brauchen auch mehr Prominente, die den Mund dazu aufmachen. Das Wichtigste, was ein einzelner heute machen kann: nicht allein zu bleiben. Deshalb habe ich ja auch als alter Einzelkämpfer eine Stiftung gegründet mit zehn Vollprofis.
Was lernst du als alter weißer Mann denn auf diesem Weg?
Jeden Tag Neues! Ich erlebe einen kooperativen Spirit, Diversität und die zentrale Rolle spielen dabei engagierte Frauen aus allen Generationen. Welche Rolle meine Stiftung und ich haben, steht in keinem Organigramm. Denn ein wesentlicher Teil der Arbeit ist informell: Menschen zusammenzubringen, damit ein Austausch von Wissen und ungewöhnliche Allianzen entstehen.
Gerade unsere Generation ist viel geflogen, isst Fleisch und sammelt zu viel Zeug an. Muss man perfekt sein, um bei der Klimabewegung mitzumachen?
Nein, man muss kein veganer Radfahrer sein, um mitzumachen. Wusstest du, dass der persönliche ökologische Fußabdruck von der Ölindustrie, von Unternehmen wie BP, initiiert worden ist?
Nein.
Das Ziel war, die Verantwortung von den großen Verursachern der Verschmutzung abzulenken und auf uns als Individuen zu verteilen. Ich rede lieber vom Handabdruck. Das heißt, was kann dein konkretes Handeln an den großen Dingen verändern? Noch ist es billiger, in Deutschland mit dem Flieger unterwegs zu sein als mit dem Zug. Kerosin darf nicht weiter bezuschusst werden, Schnellstrecken für die Bahn müssen ausgebaut werden. Es ist traurig, dass die Bahn als zentrales Verkehrsmittel so versagt in der Verkehrswende. Wir können weniger Fleisch essen, schauen, dass es in den Kantinen Bio-Essen gibt, die Mehrwertsteuer auf Obst und Gemüse muss gestrichen werden – daran können wir politisch mitwirken.
Trotzdem die Frage: Wie groß ist dein CO2-Fußabdruck?
Der liegt zwischen 10 und 20 Tonnen, je nachdem, was man von meinen beruflichen Tätigkeiten dazurechnet.
Was tust du dagegen?
Ich esse pflanzenbasiert, fahre viel mit dem Rad, beziehe Ökostrom, Heizung runter und wenig neue Klamotten bringt auch was. Ich bin auch Botschafter für "Atmosfair" und kompensiere nicht nur Flüge, sondern den gesamten Fußabdruck mit "ForTomorrow". Da kauft man europäische Zertifikate weg, damit es teurer wird, die Welt dreckig zu machen. Eine coole Idee. Und was oft vergessen wird: Geldanlage! Ich bin bei der GLS-Bank und investiere in erneuerbare Energie in Deutschland und global. Das Wirksamste sind nicht Jute-Beutel, sondern jute Politik, wie der Berliner sagt.
Es gibt den Begriff der "aufgeklärten Verschmutzer:innen", bitte erklär mal.
Das meint die aufgeklärte Berlin-Mitte-Familie, die oft der Umwelt mehr schadet, als die Alleinerziehende mit Hartz-IV. Letztere kauft vielleicht aus Kostengründen das Billigfleisch, aber die anderen haben größere Wohnungen, größere Autos, konsumieren mehr und fliegen öfter in Urlaub. Menschen, die das Thema Nachhaltigkeit in den Mund nehmen, sind eben nicht unbedingt die, die den kleineren CO2-Abdruck haben.
Warum zerstören wir wissentlich unseren Planeten?
Wir Menschen denken gern schlau – und handeln blöd. Das kenne ich auch als Arzt. Es ist ja nicht so, dass Raucher nicht wüssten, dass es gefährlich ist. Aber als Jugendlicher sind dir ja Schlaganfall und Krebs egal, du willst dazugehören.
Was kann helfen, uns zu verändern, jetzt, wo uns die Zeit wegläuft?
Drohungen helfen nicht und reine Einsicht leider auch nicht. Was wirklich etwas bewirkt, sind soziale Normen und Rahmenbedingungen. Viele ignorieren die Situation, weil andere sie auch ignorieren. In der Psychologie heißt das "pluralistische Ignoranz". Alle sollten "Don't Look Up" gucken, den Film mit Jennifer Lawrence. Oder "Wir amüsieren uns zu Tode" von Neil Postman lesen. Wir sind leider Meister:innen im Weggucken und unterstützen uns beim Ignorieren von Problemen. Daher ist es wichtig, die Mauer des Schweigens zu durchbrechen. Soziale Prägung verändert Verhalten. Heute rauchen 18-Jährige weniger als vor 20 Jahren und nicht alle wollen ein Auto, weil sie das von anderen kennen.
Warum ändern wir dann die Rahmenbedingungen nicht schneller?
Oft sind andere Dinge gerade eiliger – die Bundeswehr-Reform, der Ukraine-Krieg, Gasspeicher füllen etc. Das kennen wir doch alle auch aus unserem eigenen Alltag. Und es fehlen häufig die politischen Mehrheiten. Erst wenn es bequemer und günstiger wird, mit dem Rad in die Stadt zu fahren, wie in Amsterdam und Kopenhagen, fangen wir damit an. Ideen sind ja da, wir brauchen Pioniere, die uns Alternativen vorleben.
Siehst du etwas, wo wir uns als Gesellschaft hinbewegen wollen?
Wir brauchen tatsächlich Ziele. Wir wollen ja nicht nur weg vom Braunkohlekraftwerk und Verbrennungsmotor, sondern brauchen Visionen, für die es lohnt, aufzustehen. Ich habe schon mit 17 Referate über Tempolimit und Waldsterben gehalten, das ist bald 40 Jahre her und der Wald ist kränker als je zuvor. Ich will mir mit 80 Jahren nicht vorwerfen lassen, ich hätte meine Fähigkeiten nicht genutzt, um zu vermitteln, wie es um unseren Planeten steht. Deshalb bin ich auch zwischendurch nicht gut drauf. Wir sollten es alle schöner haben.
Und wenn du Leichtigkeit brauchst?
Meine Frau sagt manchmal: "Du wirst so grantig, bitte beschäftige dich mal mit etwas anderem." Wandern tut mir gut. Tanzen ist mein Lebenselixier, meine Frau kann super feiern und reißt mich da mit. Wasser ist mein Element. Ich schwimme gerne. Beim Kraulen bekomme ich den Kopf frei. Lebensfreude zu kultivieren ist wichtig in Krisenzeiten. Ich gucke in leere Augen, spüre Erschöpfung und sehe viele ausgebrannte Wissenschaftler:innen – Selbstfürsorge ist wirklich nichts Egoistisches.
Warum tust du, was du tust?
Ich kann und will mich nicht dümmer stellen, als ich bin. Es lohnt sich, zu kämpfen. Um jede vermiedene Tonne Dreck. Um jedes Zehntelgrad. Wir könnten es so viel schöner haben als jetzt. Und gesünder!
Dieser Artikel erschien zuerst in EMOTION 6/23.
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